Versicherungen
4. September 2013

Einfallsreichtum gegen Zinsarmut

Die Lage ist schwierig, aber nicht hoffnungslos. Die Gothaer erschließt sich eine Vielzahl neuer Renditequellen, um sich dem Niedrigzinsumfeld zu entziehen. Dabei ergaben sich auch Neuinterpretationen von Opportunitäten, Spread-Investments, Private Equity oder Real Estate – und eine gute Gesamtverzinsung. Wer sucht, der findet also.

Stolze 8,12 Prozent hat die Nettoverzinsung bei Lebensversicherungen betragen – allerdings im Jahr 1985. 2012 hat sich dieser Wert in etwa halbiert. Dass die Verzinsung weiter sinkt, ist absehbar, da als Folge der EZB-Niedrigzinspolitik Neuanlagen nur noch zu Zinsen ­angelegt werden können, die unter den in den Beständen im Schnitt vorhandenen Garantiezinsen Scala Verzinsung dürfte sogar recht schnell sinken, da zum Beispiel allein im Jahr 2011 die Brutto­neuanlage der Lebensversicherungen bei 131 Milliarden Euro und ­damit bei einem­ knappen Fünftel der Gesamtanlage lag. Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) beziffert die zins­bedingten Mindereinnahmen für das Jahr 2012 mit vier ­Milliarden Euro. Als weitere Belastung kommt die Zinszusatzreserve hinzu.   

Doch noch ist nicht aller Tage Abend. „Es stimmt nicht, dass man keine ausreichende Renditen mehr findet“, erklärt Christof Kessler, der das gesamte Portfolio inklusive der Immobilien der Gothaer verantwortet und Vorstandssprecher der Gothaer Asset Management ist. „Aber es ist mühsamer geworden, und es wird mehr Einfallsreichtum benötigt.“ Dieser Einfallsreichtum zahlt sich offenbar aus: Sowohl der durchschnittliche Kupon des Bestandes per Ende 2011 als auch die 2011 und 2012 durch diversifizierte Kapitalanlage erzielte Rendite bei Neuanlagen im Festzinsbereich lagen über dem Garantiezins der Gothaer­ von 3,2 Prozent.  

Der Schlüssel für diesen Erfolg liegt in der strategischen ­Mischung über möglichst viele Kapitalanlagearten. Dabei zieht die Gothaer ­jedoch nicht die üblichen Stellhebel „Durationsmanagement“ und „Bonität“. Die Duration der Gothaer liegt unter dem Branchendurchschnitt, und bei der Bonität wird weiter ein hohes Niveau angestrebt. Das Attribut „aktiv“ der Gothaer-Management bezieht sich eher auf eine­ ­aktivere Mischung: Derzeit plant die Versicherung, die Immobilien­quote auf zehn  Prozent auszubauen. Erneuerbare Energien sollen auch das erste Mal spürbar aufgebaut werden. Anleihen aus dem Bereich unter­halb von Non-Investment-Grade werden dagegen zugunsten besserer ­Anleihen abgebaut. In einer Pressemitteilung nennt der scheidende Finanzvorstand Jürgen Meisch als weiteren­ Schwerpunkt „erstrangige und nachrangige Darlehen an mittelständische Industriefirmen, die interessante Investitionsfelder bieten.“

Sovereign-Schnäppchen

„Wir haben unsere Portfoliorendite, indem wir Volatilitäten ­verkaufen, erhöht“, erwähnt Kessler einen weiteren Stellhebel. Dabei kann es sich auch um Steepener handeln, also um Wetten auf die ­Veränderung der Steilheit der Zinskurve. Die Volatilität ist aber auch hilfreich, um das ein oder andere Sovereign-Schnäppchen zu ­machen. Je nach aktueller Markteinschätzung der Konsolidierungsbemühungen und des Rückzahlungswillens eines Staates entstanden Kauf­gelegenheiten. „Beispielsweise haben wir 30-jährige Italiener mit einer­ Rendite von fünf Prozent eingekauft.“ Ursprünglich als Spread-­Investment eingekauft, mutiert ein solcher Einkauf, auch im Hinblick auf die Duration der Verbindlichkeiten der Gothaer, oft zu einem ­Carry-Investment. Ein weiteres Beispielinvestment bei Staatsan­leihen: Litauen.­     

Eine Währungsstrategie der Gothaer ist, Fremdwährungsemissionen von europäischen Emittenten in Euro zurückzuswappen. Kessler nennt als Beispiel die im Vergleich zu den Euro-Emissionen höher verzinsten Dollar-Emissionen der Deutschen Telekom. Das Risiko bei einem solchen Trade liegt vor allem darin, dass die kurzen Zinsen in US-Dollar einmal geringer als die Euro-Zinsen gleicher Laufzeit ­werden. Für Locals, also in einheimischer Währung denominierte Schwellen­länderanleihen, existiert ein Vorratsbeschluss, der allerdings mit Blick auf die derzeitige Attraktivität der Kupons noch nicht umgesetzt wurde. 20 bis 25 Prozent der Währungsrisiken beziehungsweise die kleineren Währungen will die Gothaer offenlassen.

„Klassisches“ Emerging Market Debt in Hard Currency oder auch High Yield sieht die Gothaer derzeit als nicht attraktiv an. „Hier sind derzeit nur Long-Short-Strategien interessant. Heutzutage muss man dem Asset Manager auch die Möglichkeit geben, sich short zu posi­tionieren.“ Solche Strategien sind bei der Gothaer in der Hedgefondswelt angesiedelt. Diese kam einmal auf einen Anteil von sieben bis acht Prozent, wofür auch die Öffnungsklausel heran­gezogen wurde. Heute beträgt die Hedgefondsquote zwei Prozent. „Wenn wir passende­ Investments sehen würden, würden wir diese Quote auch wieder erhöhen“,­ so Kessler. Für risikoreichere Long-only-Investments kann sich Kessler dagegen noch bei Loans begeistern.  

Neudefinition von Opportunismus  

Ein Symptom der Zeit ist die geänderte Vorstellung von opportunistischen Investments. Heute sucht die Gothaer diese wie beschrieben bei Staatsanleihen und Hedgefonds. Früher waren es Real Estate und Private Equity. Diese Anlageklassen werden heute mehr aus der Carry-Perspektive betrachtet. „In der Vergangenheit wollte die Gothaer­ aus der Equity-Tranche von Real-Estate-Fonds zweistellige Renditen ziehen. Heute wählen wir lieber die Mezzanine-Tranche, die uns ­einen Carry von sechs bis sieben Prozent bringt“, vergleicht Kessler. Von der Kurssteigerungsidee hin zum Kuponcharakter ging es auch bei Private Equity, wo nun statt Buy-out-Fonds häufiger Mezzanine-Fonds gewählt werden.

Die im klassischen Private Equity üblichen Unternehmensbeteiligungen sind bei der Gothaer nun bei Erneuerbaren Energien zu ­beobachten. Auf diesem Feld will die Versicherung – auch um ihr Sachversicherungs-Know-how zu hebeln – mittelfristig 500 Millionen Euro beziehungsweise etwa zwei Prozent der gesamten Kapitalanlage ­investieren. Hoch hinaus geht es dabei übrigens auch geografisch: Der schwedische Windpark Markbygden liegt kurz vor der finnischen Grenze. Weiter geplant sind unter anderem Beteiligungen an fünf Wasserkraftwerken in der Türkei. „Wir erwarten für diese Investitionen attraktive Renditen zwischen sechs und acht Prozent. Stabile Cashflows, lange Laufzeiten, planbare Erträge und die geringe Korrelation mit anderen Kapitalanlagen machen diese Anlageform für uns sehr interessant“, lässt sich Finanzvorstand Jürgen Meisch zitieren.

Weniger ambitioniert erscheinen Kessler und sein Team bei Solvency II. „Im Moment betreiben wir keine weiteren Individualisierungsanstrengungen. Der Zeitdruck ist weg, und wir verfolgen erst einmal das Standardmodell und warten die weitere Entwicklung ab.“

Rückblickend erwies sich 2012 für den Gothaer-Konzern als ein erfolg­reiches Geschäftsjahr. Die gebuchten Bruttobeiträge stiegen binnen Jahresfrist um 3,2 Prozent auf rund 4,2 Milliarden Euro und damit stärker als der Markt, der um zwei Prozent zulegen konnte. Das Eigenkapital der Kölner kletterte um 29,5 Prozent auf rund 1,5 Milliarden Euro. Auch bei der Performance der verwalteten Assets machte die Gothaer einen kräftigen Sprung. So konnte das Ergebnis aus Kapital­anlagen im Jahr 2012 um 28 Prozent auf rund 1,2 Milliarden Euro gesteigert werden, was einer Rendite von 4,67 Prozent entspricht. Dahinter steckt wie beschrieben eine Anlagestrategie, die dem Niedrigzinsumfeld entspringt. Durch dieses haben sich in der Branche das Verständnis von Core- und Satelliteninvestments oder von Opportunitäten verändert. Passend zu dieser Anlagepolitik hat die Gothaer auch ihren neuen Finanzvorstand ausgesucht. Wie berichtet soll nächstes Jahr Harald Epple Jürgen Meisch beerben.

portfolio institutionell, Ausgabe 7/2013

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