Statement
31. Oktober 2022

Eine Frage der Definition

Interview mit Carlo Funk, EMEA Head of ESG Investment Strategy bei State Street Global Advisors: Zur Nachhaltigkeit führen von ­Ausschlüssen bis Impacts viele Wege. Was sind Standards, welche Wege sind derzeit besonders gefragt?

Die „ESG-Entscheidungsreise“ beginnt grundsätzlich damit, dass jeder Investor seinen eigenen ESG-Kontext bestimmt, zum Beispiel die Frage beantwortet, ob es bestimmte Nachhaltigkeitsaspekte gibt, die einem Anleger besonders wichtig sind, die, mehr oder weniger gezielt, ­angesteuert werden sollen. Weiterhin kann der Grund, weshalb ein Investor Nachhaltigkeitsaspekte integriert, sehr unterschiedlich sein: Handelt es sich um Risikomanagement, ist er finanziell oppor­tunistisch getrieben oder wird ein ­direkter „Real World Impact“ angestrebt (nur um einige zu nennen)? Mit anderen Worten: Möchte ein Anleger Nachhaltigkeitsaspekte primär als „Input“ im ­Portfoliokonstruktion nutzen oder ist der „ESG-Output“ das primäre Ziel?
Ein Anleger muss sich dann im Klaren sein, dass etwaige Ziele in Bezug auf Nachhaltigkeit einen direkten Einfluss auf die Art und Weise, wie das Geld angelegt wird, haben. Und hier sehe ich ­oft die ersten Hindernisse auftreten: Einige ­Investoren „mögen“ das Narrativ, das mit dem Thema „Nachhaltigkeit“ ­einhergeht, möchten aber grundsätzlich am liebsten, wenn es darum geht finanzielle Entscheidungen zu treffen „alles beim Alten“ ­belassen. Dies ist natürlich schwierig. Deshalb ist die genaue Definition der Zielsetzung, sowohl aus ESG- und finanzieller Sicht, wie am Anfang erwähnt, so wichtig. Wenn das verstanden ist, kann man die passende Strategie wählen. ­Daher finden alle genannten „Wege“ statt.

Warum ist Nachhaltigkeit nun ­Mainstream? Wegen der Regulatorik, wegen Investorenvereinigungen wie PRI oder AOA oder aus Überzeugung?

Ich denke, es ist eine Mischung. Diejenigen Investoren mit einer bereits vor­handenen Grundüberzeugung haben nicht auf den Regulator gewartet. Investorenvereinigungen wie die PRI sind ­extrem hilfreich, vor allem im Hinblick auf allgemeine Empfehlungen und Informationen, die sie zur Verfügung stellen. Und natürlich hilft eine Vereinigung wie die PRI, einen gemeinsamen Nenner zu ­bilden. Und die Regulatorik „zwingt“ ­natürlich nahezu alle Teilnehmer, auch diejenigen die das Thema ESG bislang abgelehnt haben, sich mit dem Thema zumindest auseinander zu setzen. ­Zusätzlich sollten Anleger sich im Klaren sein, dass es ja nicht den einen richtigen Weg gibt, daher ist die Aussage „ESG ist Mainstream“ teilweise auch kritisch zu hinterfragen, da es einer genaueren ­Definition bedürfte, was genau mit Nach­haltigkeit gemeint ist. Aber das Wissen steigt stetig und die Lernkurve für ESG-Investitionen wird immer steiler.

Laut Taxonomie ist Atomkraft ­nachhaltig. Investieren Anleger nun in entsprechende Aktien?

Hier sprechen Sie einen ganz ­bestimmten Aspekt des ESG-Ökosystems an. Die ­Taxonomie definiert, bislang „nur“ im Umweltbereich, welche Aktivitäten als nachhaltig gelten. Diese Aktivitäten ­stellen im Übrigen nur einen relativ ­geringen Teil globaler Märkte dar (wir ­reden hier vom mittleren einstelligen Prozentbereich im Hinblick auf den MSCI World), weshalb bis dato die Taxonomie an sich, zumindest nach meiner Observierung, Kapitalflüsse noch nicht signifikant beeinflusst hat. Weiterhin gibt es auch hier relativ große regionale ­Unterschiede. Zum Beispiel ist das ­Thema Atomkraft in Frankreich zu ­weiten Teilen akzeptiert. In Deutschland sieht dies ­bekanntlich anders aus.
Neben Atomkraft scheiden sich im Übrigen auch die Geister im Hinblick auf die Klassifizierung von Gas als nachhaltige Aktivität (die EU-Taxonomie definiert es ja als „taxonomy aligned“ Aktivität). Dass Gas als Energiequelle für einen weiterhin relativ langen Zeitraum eine signifikante Rolle im Energiemix spielen wird, sollte mittlerweile den meisten Markteilnehmern klar sein. Ob diese realwirtschaft­liche Feststellung ausreicht, um Gas, in Isolation betrachtet, als „grün“ zu klassifizieren, wird daher heiß diskutiert. Und auch hier sehe ich europaweit die unterschiedlichsten Art und Weisen, wie ­Anleger damit umgehen: Einige Anleger nehmen die Taxonomie „beim Wort“ aber es gibt auch Anleger, die individuell die Taxonomie „überschrieben“, weil sie eine andere Meinung haben. Ob die EU-Taxonomie daher eine Einstellung zu einer gewissen Aktivität grundsätzlich verändern und damit signifikante Kapitalflüsse beeinflussen kann, bleibt fest­zustellen.

Spielen Taxonomie und SFDR ­außerhalb der EU eine Rolle?

Da die EU ein Vorreiter ist, machen sich auch andere Regionen hier entsprechend „schlau“, wie sie unter ­einem regulatorischen EU-Regime abschneiden würden. Vor allem für nicht EU-Investoren ist im Übrigen die regulatorische Landschaft in der EU recht verwirrend.
Ein Beispiel: SFDR wird oft als eine Art „Label“ gesehen. Dies ist grundsätzlich falsch. SFDR ist eine Tranzparenz­anforderung und kein Label per se.
Dann haben wir die eben schon besprochenen Taxonomie-aligned Geschäfts­aktivitäten. Diese sind jedoch so speziell, dass der Anteil in diesen Aktivitäten für breit diversifizierte Investoren gering ist. Und dann gibt es ja auch noch die ­Definition eines „nachhaltigen Investments“ unter Mifid, mit welcher sich der Markt recht schwertut. Unter dem Strich, nutzen daher Nicht-EU-Investoren die EU-Regulierungen rein informativ. Und manche adaptieren Teile der EU-Regulierung und etablieren dann ihre ­eigenen Anforderungen, wie Großbritannien zum Beispiel.

Welche ESG-Umsetzung wirkt sich besonders positiv oder negativ auf Rendite und Risiko aus?

Hier kann ich leider keine definitive ­Antwort geben, da die Vielfalt in Bezug auf die Art und Weise, wie Nachhaltigkeits­aspekte im Investitionskontext berücksichtigt werden, sehr unterschiedlich sind. Wir befinden uns also in einem ­anderen Regime im Gegensatz zu klassischeren Faktoren, wie zum Beispiel ­„Value“- oder „Growth“-Faktor-Investing, für die es sowohl Jahrzehnte an Daten, als auch eine breite Übereinkunft gibt, wie solch ein Faktor zu definieren, ­zu messen und zu bewerten ist.
Allerdings sind wir der Überzeugung, dass finanziell materielle Nachhaltigkeitsaspekte einen Einfluss auf die ­langfristige Wertschöpfung haben und Investoren sich dieser deshalb bewusst sein sollten. Es gibt eine Vielzahl an ­Research, sowohl im akademischen wie auch praktischen Bereich, die sich dieser Frage annehmen. Die Schwierigkeit hier ist oft aber der Startpunkt, nämlich die Definition von Nachhaltigkeit, die ­oftmals unterschiedlich ausfällt und daher Strategien oft schwer vergleichbar macht.
Der beste Weg kann der Versuch einer Attributionsanalyse sein. Eine solche Analyse versucht zu isolieren, welchen Einfluss die ESG-Integration auf die Portfolioallokation und dementsprechend auf die Wertentwicklung hat. Die Ergebnisse ­fallen dann, je nach ESG-Ansatz, ­Anlageklasse, Zeitraum et cetera unterschiedlich aus.

Sind mit Aktien und Anleihen Impact Investments möglich? Nein, weil auf einem Sekundärmarkt kein Geld in neue Projekte fließt? Es fehlt die Zusätzlichkeit.

Hier sprechen Sie einen extrem interessanten Punkt an. Ein Großteil der im Markt, und auch teils von Regulatoren, angewendeten Sprache fokussiert sich auf den „ESG-Output“ – also, was wird in Bezug auf Nachhaltigkeit in der Realwirtschaft erreicht. Wobei sich die meisten (liquiden) ESG-Anlagelösungen auf den Bereich des „ESG-Inputs“ fokussieren, also welche Nachhaltigkeitsinformationen bei der Investitionsentscheidung ­berücksichtigt werden.
Dies ist ein ­„Mismatch“. Eine direkte „Impact-Kausalität“ im Sekundärmarkt – mit Ausnahme vielleicht einer Signalwirkung oder im Falle von Green Bonds – ist schwer zu messen. Nicht nur, aber auch aus diesem Grund, ist das Thema ­Stewardship, also der Dialog mit Firmen und entsprechendes Abstimmungsverhalten, so wichtig. Dies ist besonders wichtig im Kontext von breit diversifiziert passiven Investments.

Bei passiven Investments kann man die Unternehmen aber nicht mit Desinvestitionen unter Druck setzen.

Dieser These widerspreche ich. Natürlich ist es ein leichtes zu behaupten, dass nur unter „Androhung von Verkauf“ ein ­echter Druck auf Unternehmen gebildet werden kann. Eine Signalwirkung ist dort sicherlich vorhanden. Jedoch ist mir die These, dass dies der einzige Weg ist, zu kurz gedacht. Denn dieses Argument ­vernachlässigt gänzlich, was wir soeben besprochen haben: nämlich, dass es bei jedem Verkauf auf dem Sekundärmarkt wiederum einen Abnehmer und damit neuen Anteilseigner gibt. Und hier ist mitnichten garantiert, dass dieser zum ­Beispiel mit Blick auf Stewardship und Abstimmungsverhalten dem Thema Nachhaltigkeit die gleiche Priorität gibt.
Im Umkehrschluss verstehen Unter­nehmen, dass passive Anleger jahrelang (zumindest für die Zeit, in der das Unternehmen im Index vertreten ist) eine durch Nachhaltigkeit geprägte Stewardship-Strategie verfolgen und, wenn nötig, durch Abstimmungsverhalten durchzusetzen versuchen. Daher sehen wir das Thema Stewardship als einen der wichtigsten Pfeiler unserer ESG-Strategie, nicht obwohl, sondern gerade weil wir eine Spezialisierung im passiven Bereich ­haben. Das Thema Stewardship im Anleihebereich rückt auf der Agenda immer mehr in den Vordergrund, wenngleich wir uns in einem früheren Stadium als im Aktienbereich befinden.

Den Investoren drückt der Schuh beim ESG-Reporting. Den Anlegern fehlen entsprechende Angaben der Unternehmen. Wie sieht State Street diese Entwicklung?

Das Reporting, mit allen Facetten und auch regionalen Unterschieden, ist eine Herausforderung für die gesamte ­Industrie. Vor allem auch deswegen, da meistens eine signifikante Abhängigkeit von ESG-Research-Häusern besteht, und deren Daten, oftmals eine relativ geringe Korrelation aufweisen (je nach Kontext natürlich). Im Bereich Asset Management stellen wir signifikante Ressourcen ab, um den Anforderungen von Investoren und Regulatoren bestmöglich gerecht zu werden.
Weiterhin stellt dies jedoch auch eine ­Opportunität da, neue ­Reporting- und Analyse-Tools anzubieten. In diesem ­Bereich ist State Street, als ­einer der ­weltweit führenden Asset Custodians ­aktiv und bietet hier entsprechende ­Lösungen an.

Rüstung war immer ein klassischer Ausschlusssektor. Hat sich hier etwas geändert? Oder unterscheiden Investoren zwischen Rüstung und kontroversen Waffen?

Diese Frage ist im Grundsatz gar nicht unähnlich zur Frage der Taxonomie und Atomkraft da hier eine „Definitionsentscheidung“ getroffen werden muss. Ich stelle jedoch fest, dass seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine eine Debatte im Hinblick auf Rüstung stattfindet.
Dieses Beispiel zeigt, dass vor allem beim Thema Ausschlüssen der Teufel im ­Detail steckt und die Definition von „Rüstung“ sehr unterschiedlich ausfallen kann. Die Debatte wurde daher definitiv auf eine andere Ebene gehoben.
Außerdem war es auch vor dem Krieg in der Ukraine mitnichten so, dass ­Rüstung von einem Großteil der Investoren ­uni­sono ausgeschlossen wurde. ­Vielmehr wurde hier zum Großteil eine Differenzierung zwischen unterschiedlichen ­Arten von Rüstung gemacht. Zum ­Beispiel zwischen Rüstung die im ­Hinblick UN-Konventionen „anerkannt“ ist und kontroversen Systemen, die nicht anerkannt sind.

Net Zero ist eine typische ­Stoßrichtung. Ist nun mit gestiegenen Energiepreisen das S in ESG gefährdet? Sollten nachhaltige Investoren darum in Öl und Gas investieren?

„Net Zero“ ist sicherlich das global ­prominenteste Thema im ­Spektrum der Nachhaltigkeit. In einer holistischen und auf finanzielle Mater­ialität ausgerichteten Nachhaltigkeits­strategie spielt das „S“ jedoch immer eine Rolle. Wie zum ­Beispiel auch in unserem proprietären R-Factor-Modell.
Welche Geschäftsaktivtäten für einen ­Investor unter Nachhaltigkeitsaspekten akzeptabel sind, ist individuell zu entscheiden. Jedoch ist festzustellen, wie die unterschiedlichsten wissenschaftlichen Untersuchungen belegen, dass auf ­globaler Ebene und über die Zeit eine Transition weg von fossilen Brennstoffen hin zu Erneuerbaren Energien ­nötig ist. Nur so werden wir eine Chance haben, die Erderwärmung, mit allen damit einhergehenden Konsequenzen, in Einklang mit dem Pariser Abkommen zu bringen.

State Street SPDR hat auch ein nachhaltiges ETF-Angebot. Wie unterscheidet sich deren ­Performance zu den klassischen Indizes? Inwiefern muss Ihr Haus nachhaltige Kompromisse machen, um den Tracking Error zu begrenzen?

Das Abweichungsrisiko (Tracking Error) gegenüber dem Ausgangsindex (Mutterindex) hängt von dem gewählten ESG-Ansatz ab. Bei einem Ausschlussansatz (Exclusion) werden einzelne Titel in der Regel aufgrund titel-, geschäftsspezifischer oder sektoraler Kriterien vom Anlage­universum ausgeschlossen. Im Falle des S&P500 Index werden beispielsweise rund 20 Titel ausgeschlossen. ­Historisch betrachtet ergibt sich daraus ein Tracking Error von 0,6 Prozent. Wenn man dies um einen Best-In-Class-Ansatz erweitert, bei dem beispielsweise die 25 Prozent Titel mit dem schlechtesten ESG-Score ausgeschlossen werden, reduziert sich das Universum auf rund 192 Titel und einem historischen Tracking Error von 1,7 Prozent.
Die Abwägung zwischen Tracking Error und ESG-Ansatz und dem sich ergebenden Risiko-Rendite-Profil gilt es im Vorfeld mit potenziellen Anlegern und ­ihren Überlegungen abzustimmen. Ähnliches gilt für die Anleiheseite, wo wir derzeit mit Kunden in Gesprächen stehen.

Der SPDR® Stoxx Europe 600 SRI Ucits ETF ist zu 24 Prozent im ­Gesundheitswesen allokiert. Diese Branche ist nicht besonders ökologisch (Abfall)? Da Gesundheit im klassischen Stoxx Europe 600 nur auf 14 Prozent kommt und in dessen Top 10 auch Shell und Total enthalten sind, müsste der Tracking Error ziemlich groß sein?

Der ETF bildet den Stoxx Europe 600 SRI nach. Dabei wird eine Reihe von ­Emis­sionsintensitäts-, Compliance-, ­Beteiligungs- und ESG-Performance-Screens angewendet.
Unternehmen, die hinsichtlich ihrer Emissionsintensität unter den höchsten zehn Prozent rangieren, kommen nicht in die Auswahl. Daneben werden Unternehmen aufgrund ihrer Beteiligung an bestimmten umstrittenen Geschäfts­aktivitäten ausgeschlossen.
Die verbleibenden Wertpapiere werden in absteigender Reihenfolge ihrer ESG-Werte innerhalb jeder Branche geordnet. Danach werden die bestplatzierten ­Wertpapiere in jeder der Branchen ausgewählt, bis die Anzahl der ausgewählten Wertpapiere ein Drittel der Anzahl der Wertpapiere des ursprünglichen Index erreicht. Aufgrund dieser Kriterien ­(Index-/ETF-Systematik) ergibt sich ein Übergeweicht bei Gesundheitswerten und ein Untergewicht bei Titeln aus den Bereichen Energie, Versorgung sowie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe.

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