27. August 2015

Die Verlockungen der Benchmark

Ein Dauerbrenner im Asset Management ist die Frage, ob sich ein ­aktiv verwalteter Fonds an seine Benchmark klammern darf und trotzdem Gebühren verlangen kann, die über denen passiver Kapitalanlageprodukte liegen. Einblick in eine nicht enden wollende Debatte.

Große und weniger große Investoren rund um den Erdball ­beschäftigen sich derzeit mit einem leidigen Thema, das immer wieder für Zündstoff sorgt. Sie wollen gegen Fonds vorgehen, die den Anspruch haben, aktiv gemanagt zu sein, die ­ihre Benchmark stattdessen aber regelrecht ­umarmen. Im Englischen bezeichnet man diese „heim­lichen Indexfonds“ nach Aussage von John Rekenthaler, Vize­präsident der Forschungsabteilung von Morningstar, als „Closet ­Indexer“ beziehungsweise „Benchmark Hugger“. Diese in der Kritik stehenden ­Anlagevehikel, manche nennen sie verkappte Indexfonds, sind nach Auffassung Rekenthalers mehrheitlich schlechte Produkte. Sie führten den Investor, der auf einen aktiven Outperformer gesetzt hat, in die Irre. „Im Schnitt bringen diese Fonds vor Abzug der Gebühren ­etwa dieselbe Rendite wie ETF. Nach Kosten fallen sie wegen hoher Gebühren hinter den Index zurück.“ Dem Anleger bleibe damit eine niedrigere Nettorendite, als wenn er auf einen Indexfonds ­gesetzt ­hätte. Wer will das schon?

Die Zahl der Fonds, die ihre Benchmark „umarmen“ und dafür vom Anleger Gebühren verlangen, wie sie im aktiven Fondsmanagement üblich sind, hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder verändert. Morningstar zählte zuletzt 17 in Großbritannien angesiedelte „Closet Tracker“. Vor einem Jahr lag deren Zahl noch bei acht. Bei der Analyse hat Morningstar unter anderem den sogenannten Active­ Share von 593 Fonds analysiert. Diese noch recht junge Kennzahl,­ die sich mit „aktiver Anteil“ übersetzen lässt, gibt die prozentuale ­Summe der Abweichungen der Portfoliogewichte im Vergleich mit den ­Gewichtungen des Vergleichsindexes an. Kein großes Hexenwerk. Anhand dieser und weiterer Kennziffern, darunter auch der Tracking Error, hat Morningstar geprüft, inwiefern die Fonds von ihrer Benchmark abweichen – oder eben nicht.

Eine alleinige Betrachtung des Active Share wäre nicht zielführend. Ein Sprecher des deutschen Fondsverbands BVI weist darauf hin, dass der Aussagewert des Active Share bei isolierter Betrachtung ­begrenzt und die Kennzahl kein Performance-Indikator ist. Er besage nur, wie sich die Zusammensetzung des Portfolios von einer ­bestimmten Benchmark unterscheidet. Investoren, die ihre Fonds­manager vor allem am Active Share bewerten, könnten einem groben Fehler aufsitzen, wie folgendes Beispiel zeigt: Angenommen, ein ­Asset Manager schraubt den ­Active Share eines Fonds zunächst auf üppige 80 Prozent, nur um dann keinen Finger mehr zu krümmen, damit der Wert stabil hoch bleibt. Er wäre dann also passiv – trotz ­hohen ­Active Shares.

Eines der Fondshäuser, das nach Einschätzung von Morningstar ­einen der gescholtenen „Closet Tracker“ unterhält, ist JP Morgan Asset ­Management (JPM). Eine Sprecherin in Großbritannien kontert die Schmähung als Closet Indexer auf Nachfrage der Financial Times mit dem Hinweis, dass derzeit einige der besonders hochkapitalisierten Aktien im Index attraktive Investmentgelegenheiten darstellen. Und in diese habe man investiert. So erkläre sich auch, dass der von ­Morningstar angezinkte JPM UK Managed Equity Fund einen ­vergleichsweise niedrigen Active Share zeigt. Deutsche Branchen­experten wiederum offenbaren die Unzulänglichkeiten des Active Share als ein mögliches Abgrenzungskriterium von aktiv und passiv gemanagten Investmentfonds mit folgendem Beispiel: Ein Indexfonds ist komplett ohne ­Indextitel bestückt, und mittels eines ­Swap-Geschäfts wird die Performance des Fondsportfolios gegen die Performance des Index getauscht; dann liegt ein Active Share von 100 ­Prozent vor, bei einem Tracking Error von null. Skurril, nicht wahr?

Investoren ziehen vor den Kadi
Angestoßen wurde die seit Jahren anhaltende Debatte um Closet ­Indexer zuletzt von der schwedischen Shareholder Association. Sie hatte Swedbank Robur, mit 90 Milliarden Euro Assets under Management zweitgrößter Asset Manager Schwedens, im Dezember 2014 vor dem schwedischen National Board of Consumer Disputes, einer Art Schiedsgericht, verklagt. Der Vorwurf: Swedbank Robur soll bei den aktiv gemanagten Investmentfonds „Allemansfond Komplett“ und ­„Kapitalinvest“ seit Ende 2004 zu hohe Gebühren vereinnahmt ­haben. Praktisch seien aktive Fees für passives Management bezahlt worden, so die Meinung der Klägerseite. Die Fonds waren für ­Privatinvestoren gedacht und wurden als aktiv verwaltete Fonds verkauft. Diese Klage wurde Anfang Juli mit der Begründung zurück­gewiesen, dass es an „verbal evidence“ mangele, dass die Fonds tatsächlich unter Vor­spiegelung falscher Tatsachen verkauft wurden (­siehe auch portfolio institutionell, Juli-Ausgabe 2015, Seite 8). Im Gegensatz zu Retail-­Anlegern könnte man bei institutionellen Anlegern voraussetzen, dass sie Investments in Fondsvehikel ungleich stärker im Auge ­behalten und bei Zielverfehlungen rasch gegensteuern – statt das Treiben tatenlos über Jahre hinweg zu verfolgen. Der Satz ist bewusst im ­Konjunktiv gehalten. Denn die Praxis sieht anders aus.

Unter den Investoren, denen hohe Gebühren und ein niedriger ­Active Share ein Dorn im Auge sind, befinden sich unter anderem US-­Pensionsfonds. Sie wollen juristisch klären lassen, ob ihnen „Benchmark-Hugging-Fonds“ untergeschoben wurden. Sollte dem so sein, dann wären ihnen aufgrund überzogener Kosten erhebliche finanzielle­ Schäden entstanden, argumentieren sie.

Weder schwarz noch weiß
Ist die Kritik an „Closet Indexern“ nun gerechtfertigt oder nicht? Nach Einschätzung von Bernd Baur, Gründungspartner von Delta Management Consulting, gebe es bei dieser Thematik weder schwarz noch weiß, wie er sich ausdrückt. Es sei eine Frage der Perspektive, ob sich ein Fonds zumindest temporär an seine Benchmark klammern dürfe oder nicht. „Wenn ein aktiver Manager antritt, muss für den Anleger auch der Wille erkennbar sein, dass der Fonds so verwaltet wird, dass er auch Mehrwert erzielt“, argumentiert er. Man dürfe dem Fonds­management aber keinen Vorwurf machen, wenn die Portfoliostruktur zu einem gewissen Zeitpunkt nah an der Benchmark angelehnt ist, so Baur. Anders sehe die Situation aus, wenn das Fondsmanagement tatsächlich keine Anstalten macht, die Werte im Portfolio sinnvoll umzuschlagen. Das wäre dann passives Management. Und das kann man günstig mit Indexfonds abbilden. Nach Einschätzung von Baur sollte nicht die Höhe des Active Share die Gebührenhöhe ­bestimmen, sondern der Mehrertrag gegenüber einer vereinbarten Benchmark – unter Berücksichtigung von kundenspezifischen ­Risikovorgaben.

Der frühere Leiter im institutionellen Asset Management von Fidelity­ Worldwide Investment, Dr. Hans-Jörg Frantzmann, hat sich in einem Gastbeitrag im „Absolut Report“ (5/2014) zum Thema Active­ Share zu Wort gemeldet. Frantzmann, heute Berater bei RMC Risk Management Consulting, ist der Meinung, dass der Active Share vor allem ­geeignet ist, dem Portfoliomanager einen Anhaltspunkt dafür zu ­geben, welches Aktivitätsniveau er in seinem Portfolio vor dem ­Hintergrund seiner vermuteten Prognosestärke ansteuern sollte. ­Zugleich warnt der Experte, dass die Kennzahl kein Maß für das Abweichungsrisiko im engeren Sinne ist. Das grenzt ihn beispielsweise von der Kennzahl „Tracking Error“ ab, die er nicht ersetzen könne.

Bekanntermaßen ist der Tracking Error ein seit vielen Jahren in der Anlagepraxis verwendetes Maß für das Abweichungsrisiko eines Portfolios. Bernd Baur betont, dass diese Kennzahl angibt, wie hoch die Volatilität der aktiven Rendite war. Das heißt, der Tracking Error ist vergangenheitsbezogen und ohne Bezug zum absoluten Verlust­risiko. Im Gegensatz dazu gibt der Active Share Auskunft über Gewichtungsdifferenzen des Portfolios zur Benchmark. Damit liefert er einen Hinweis auf das Ausmaß der künftigen aktiven Rendite.

Nach Einschätzung Frantzmanns wiederum verlangen Investoren von aktiven Managern, dass sie ihre Anlageentscheidungen pointiert und mit Sachverstand, basierend auf ökonomisch fundierten und prognosestarken Analysen umsetzen. „Der Aspekt der pointierten ­Umsetzung, das heißt die Vermeidung des sogenannten Index Hugging oder Closet Indexation, wird durch ein hohes Active Share gut abgebildet“, meint Frantzmann. Angesprochen auf ein vom Investor ­anvisiertes Active Share Exposure von zum Beispiel 60 Prozent, weist Bernd Baur aber darauf hin, dass dies vom Fondsmanager entweder über pointierte Einzelwetten oder aber auch über viele kleineren ­Wetten erfolgen könne. Je konzentrierter die Wetten sind, um so wichtiger werde die Prognosefähigkeit, da die Auswirkungen auf die aktive Rendite deutlich höher sind als bei vielen kleinen Wetten. Es sei eine Entscheidung zwischen Klumpenrisiko und Risikodiversifikation.

Wenn Investoren dazu tendieren, den Active Share als zentrale Größe zu betrachten, stellt sich für Bernd Baur die Frage, warum sie überhaupt noch eine Benchmark haben. Überspitzt gesagt gehe die Bedeutung der Benchmark verloren. Ihr Sinn sei die Übersetzung der Investmentziele mit den Anforderungen an die Kapitalanlagen in eine­ investierbare Anlagestrategie. Je weiter von dieser Anlagestrategie (Benchmark) abgewichen wird, umso mehr entfernt man sich von den festgelegten Investmentzielen. Ergo: Je höher der Active Share, desto mehr stellt sich die Frage, warum eine Benchmark vorgegeben wird. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass das für viele Investoren so ­leidige Thema der „Closet Indexer“ in seinen Facetten sehr vielfältig ist. Und ein Ende der Debatte ist nicht in Sicht.

Von Tobias Bürger

portfolio institutionell, Ausgabe 8/2015

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