Die Suche nach dem idealen Pensionssystem
Es gibt keine Abkürzung auf dem Weg zu einem erstklassigen Pensionssystem. Doch man muss nicht alles neu erfinden. Spicken beim Nachbarn ist erlaubt. Wo lohnt sich das Abgucken und wo nicht?
Im Herbst 2017 ist es soweit: In Deutschland wird der 19. Bundestag gewählt. Der derzeit regierenden Koalition bleibt also nicht einmal ein Jahr, um ihre im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele für diese Legislaturperiode umzusetzen. Ein Punkt des Vertrags: die Stärkung der betrieblichen Altersversorgung (bAV) insbesondere bei Geringverdienern und in kleinen und mittelgroßen Unternehmen. Nach monatelangem Ringen um das geplante Sozialpartnermodell haben das Bundesarbeits- und Bundesfinanzministerium offenbar einen Konsens gefunden. Sie basteln derzeit an einem Referentenentwurf. Details waren bis zum Redaktionsschluss nicht bekannt. Klar war nur, dass ein möglichst unbürokratisches und einfaches Zuschussmodell für Geringverdiener und deren Arbeitgeber entwickelt werden soll.
Um in der Praxis für eine stärkere Verbreitung der bAV zu sorgen, ist eine klare und transparente Kommunikation unabdingbar. Dessen sind sich alle Beteiligten aus den Ministerien sowie von Arbeitgeber- und Gewerkschaftsseite bewusst, wie verschiedene bAV-Veranstaltungen in den zurückliegenden Wochen zeigten. Gelingt die Reform, könnte Deutschland im globalen Ranking der Pensionssysteme – dem Melbourne Mercer Global Pension Index (MMGPI) – aufsteigen. Denn einige Punkte, die Mercer und das Australian Centre for Financial Studies in ihrer bislang letzten MMGPI-Studie von 2015 als verbesserungsbedürftig bezeichneten, würden damit angegangen. Kritisiert wurden die Kommunikation zur Altersvorsorge mit den Mitgliedern, die bAV-Abdeckung, die Rentenhöhe bei Geringverdienern und die Erwerbsquote bei älteren Menschen. Für das 2016er Ranking, das voraussichtlich Ende Oktober dieses Jahres erscheinen wird, kommen die Reformbemühungen der deutschen Bundesregierung zu spät. Deutschland dürfte auf der Stelle treten und wie im Vorjahr mit rund 62 von maximal 100 möglichen Punkten im Mittelfeld – vor Frankreich und hinter Irland – landen. Das entspricht einer Note von C+, was so viel bedeutet wie: Das System hat einige gute Features, birgt aber auch große Risiken und Mängel, die adressiert werden sollten. Dieselbe Note haben ansonsten nur noch Irland und Singapur.
An Nummer eins im MMGPI-Ranking steht seit vier Jahren Dänemark. Mit 81,7 Punkten und der Note A haben die Indexbauer am dänischen Pensionssystem kaum etwas zu meckern. Allzu sicher sollte sich das skandinavische Land seiner Spitzenposition jedoch nicht sein. Die Niederländer sind ihnen dicht auf den Fersen. Im Ranking von 2015 stiegen sie mit 80,5 Punkten in die A-Klasse auf. Diese Note wird ab einer Punktzahl von 80 erteilt und bescheinigt dem jeweiligen Land ein „first class and robust retirement income system“, das gute Leistungen bietet, nachhaltig ist und ein hohes Level an Integrität aufweist.
Kein Wunder, dass Columbia Threadneedle auf der Suche nach dem „idealen“ Pensionssystem in seinem neuen Paper „What constitutes a first class pension system?“ einen genaueren Blick darauf wirft, was Dänemark und die Niederlande miteinander verbindet. „Beide Länder zeigen: Es gibt keine Abkürzungen zur Exzellenz“, lautet die erste Erkenntnis von Chris Wagstaff, Studienautor und Head of Pensions and Investment Education bei Columbia Threadneedle. „Einfachheit und Großzügigkeit sind die Kennzeichen der Altersvorsorgekonzepte beider Regierungen. Beide Länder weisen Mehrsäulensysteme mit durchweg robusten Beitragsstrukturen auf. Zudem sind nur wenige vom Sparen ausgeschlossen“, merkt Wagstaff weiter an. So endet beispielsweise in Dänemark die Alterssicherung nicht, wenn jemand – aus welchem Grund auch immer – sein konventionelles Arbeitsverhältnis verlässt. Bei Arbeitslosigkeit übernimmt eine Versicherung die Beiträge für die zweite Säule, eine obligatorische Altersvorsorge, die vom dänischen Pensionsprovider ATP verwaltet wird und in die jeder Däne einzahlt, der mehr als neun Stunden pro Woche arbeitet. Läuft die Versicherung aus, deckt der Staat zwei Drittel der Beiträge an ATP ab. Auch Selbstständige können sich bei ATP beteiligen, wenn sie dies wollen. Laut OECD-Daten sind in Dänemark gut 90 Prozent der Beschäftigten mit einer betrieblichen Altersvorsorge ausgestattet. Dass der dänische Pensionsmarkt nicht nur einfach und gut strukturiert ist, sondern auch besonders nachhaltig, findet in einer anderen Kennzahl ihren Ausdruck: dem Anteil der Pension-Assets am Bruttoinlandsprodukt. Derzeit liegt dieser bei imposanten 168,9 Prozent.
Holland setzt zunehmend auf CDC-Schemes
Mit ähnlich beeindruckenden Zahlen warten die Niederländer auf, bei denen die zweite Säule ebenfalls quasi-obligatorisch ist. Mehr als 90 Prozent der Arbeitnehmer sind Mitglied in einem betrieblichen Altersvorsorgesystem. Neben branchenweiten Plänen gibt es individuelle Pensionsfonds von Unternehmen und speziellen Berufsgruppen. Strukturell sind diese nach wie vor mehrheitlich als kapitalgedeckte DB-Pläne (Defined Benefit) ausgestaltet, es hat jedoch bereits eine deutliche Verschiebung begonnen – hin zu hybriden DB-Plänen und sogenannten Collective-Defined-Contribution-Vereinbarungen (CDC). „Das Einzigartige an den CDC-Schemes ist der Sinn für Gerechtigkeit, der das System durchdringt. Jedes Mitglied steuert denselben Geldbetrag bei. Das Investmentrisiko wird kollektiv getragen“, schreibt Wagstaff von Columbia Threadneedle in seinem Paper. Er verhehlt dabei nicht, dass insbesondere der letzte Punkt zu Problemen führen kann, wenn ein Fonds in finanzielle Schwierigkeiten gerät, wie dies während der Finanzkrise teilweise der Fall war: „Die Pensionen mancher Rentner wurden gekürzt, um dem Funding der Systeme zu helfen, sich wieder zu erholen. Obwohl die Einschnitte minimal waren, sorgte dies für reichlich negative Presse und Proteste.“
Die niederländischen CDC-Vereinbarungen sind bekannt und werden auch in anderen Ländern geprüft. In Deutschland wird beispielsweise im Rahmen des Vorschlags zur Sozialpartner-Rente eine Absenkung der Risikobeteiligung der Arbeitgeber erwogen. In diesem Kontext werden Konzepte unter dem Namen „Defined Ambition“ (DA) diskutiert. Ähnliches gilt für Großbritannien. Dort suchte Steve Webb, Pensionsminister von 2010 bis 2015, nach einem Mittelweg zwischen den generösen Leistungszusagen und den erschwinglichen Beitragszusagen; in DA-Plänen sah er einen möglichen Lösungsansatz. Zu mehr als einem Gedankenspiel hat es jedoch nicht gereicht. „Leider kam Webb nicht mehr zu Defined Ambition, und sein Nachfolger hat dieses Thema beiseitegelegt“, merkt Wagstaff an. Auf den Weg hat Steve Webb in seiner Amtszeit dennoch einiges gebracht. Im Jahr 2012 wurde ein Gesetz eingeführt, das jeden Arbeitgeber verpflichtet, seinen Mitarbeitern eine betriebliche Altersvorsorge zu offerieren und über ein Auto-Enrolment umzusetzen. Für große Arbeitgeber ist die Vorgabe seit Oktober 2012 verbindlich, bis 2018 müssen alle Arbeitgeber nachgezogen haben. Der große Charme von Auto-Enrolment: Die Trägheit der Arbeitnehmer, sich aktiv um Altersvorsorge zu kümmern, wird damit umgangen. „Dass sich Menschen um den Ausstieg – statt um den Einstieg – bemühen müssen, wird nicht nur in Großbritannien mit großem Erfolg angewendet, sondern auch in den USA, Chile, Neuseeland und neuerdings in Kanada und bald in Irland“, kommentiert Wagstaff. Er ist überzeugt, dass in den nächsten Jahren noch weitere Länder hinzukommen werden. Auch in Deutschland ist die Diskussion um Opting-Out-Konzepte seit Jahren im Gange – bislang noch ohne Ergebnis.
Mit Freedom und Choice schießt sich Großbritannien ins Abseits
Obwohl Großbritannien mit der Einführung von Auto-Enrolment im allgemeinen Trend liegt, schwimmt das Königreich in einem anderen Punkt gegen die Strömung. Seit April 2015 gelten die „pension freedoms and choice“. Das heißt, Rentner sind nicht länger dazu gezwungen, ihre Pensionstöpfe zu „annuitisieren“. Diese „neue Freiheit“ wird von Pensionsexperten, wie Wagstaff, kritisch gesehen: „Dänische und niederländische Sparer haben keine solchen Wahlmöglichkeiten. Stattdessen sind sich die Arbeitgeber, die Regulatoren, die Regierung und die Sparer beider Länder bewusst, dass Beiträge in eine robustes Altersvorsorge im besten Interesse aller sind.“ Das brachte Dänemark und den Niederlanden im MMGPI von 2015 die Bestnote A ein, während Großbritannien in dem Pensionsindex aufgrund des „freedom and choice“-Gedankens um 2,6 auf 65 Punkte herabgestuft wurde. Um den Score seines Pensionssystems zu verbessern, wird Großbritannien eine Rückkehr in die alte Welt empfohlen.
Briten ticken anders als Dänen und Niederländer, die eine eher integrative Kultur pflegen. „In Großbritannien mögen die Menschen nicht, wenn man ihnen sagt, was sie mit ihrem Geld machen sollen, und sie misstrauen einem übermäßigen staatlichen Eingriff“, so Wagstaff, der selbst Brite ist. Doch auch in Ländern, in denen eine ähnliche Mentalität anzutreffen ist, stößt Großbritanniens Weg auf Verwunderung. So gehen die einst zum Empire gehörenden Australier den umgekehrten Weg. Lange waren Pensionsexperten auf der Suche nach einem einfachen Altersvorsorgeprodukt, das einen höheren Grad an Sicherheit bei den Rentenauszahlungen bietet, als es in Australien die Norm ist. Annuities könnten die Lösung sein, ist das Financial System Inquiry (FSI) überzeugt. Deren Berechnungen haben 2014 gezeigt, dass Rentner, die ihr Einkommen über ein CIPR (comprehensive Income Product for Retirement, äquivalent zum britischen Annuity) beziehen, von einer Anhebung zwischen 15 und 30 Prozent profitieren würden. „CIPR würden signifikant höhere und geschmeidigere private Alterseinkommen bringen, während das Risiko sinkt, die Ersparnisse zu überleben“, schrieb das FSI in seinem finalen Report vom November 2014.
Ideal ist auch das australische Rentensystem damit noch nicht, es steht mit 79,6 Punkten auf dem dritten Rang im MMGPI und an der Schwelle zur Erstklassigkeit. „Es kann kein verbindliches und universell gültiges, perfektes Pensionssystem geben, das zu allen Ländern und zu jeder Zeit passt“, konstatiert der Pensionsexperte von Columbia Threadneedle. Dennoch lässt sich von anderen Ländern lernen.
Von Kerstin Bendix
portfolio institutionell, Ausgabe 10/2016
Autoren: Kerstin Bendix In Verbindung stehende Artikel:
Schreiben Sie einen Kommentar