Versorgungswerke
10. Oktober 2014

Die Satzung schützt Versorgungswerke vor Amors Pfeil

Drum prüfe, wer sich ewig bindet. Der Wahn ist kurz, die Reu kann auch für das betroffene Versorgungswerk lang sein. Berufs­ständische Versorgungswerke haben darum verschiedene Regelungen aufgestellt, die verhindern sollen, dass sich das Problem der Langlebigkeit nicht durch junge Witwen noch hebelt.

Die berufsständischen Versorgungswerke machen sich nicht nur um die Altersvorsorge ihrer Mitglieder verdient, sondern auch um die Versorgung von deren Hinterbliebenen. Diese ist im Vergleich zum Sozialgesetzbuch durchaus generös. Dabei fordern zwei Besonder­heiten der Anspruchsberechtigten die Versorgungswerke heraus: ­Einmal weisen die Mitglieder eine besonders hohe Lebenserwartung auf. Laut der Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen liegt diese bei Mitgliedern der berufsständischen Versorgungswerke im Durchschnitt um vier Jahre höher als bei der All­gemeinbevölkerung. Dabei beträgt gemäß dem Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels in Deutschland ohnehin die Lebens­erwartung bei Geburt für Frauen fast 83 Jahre­ und bei Männern 77 Jahre. Und die Tendenz ist steigend: Laut dem GDV erhöht sich die Lebenserwartung im Schnitt jährlich um drei Monate. Die zweite Herausforderung: Teils recht umfangreiche Satzungen von Ärzteversorgungswerken zur Regelung der Witwenversorgung ­lassen auf gewisse Herausforderungen schließen. Da ein Halbgott in Weiß auch in höherem Alter bessere Chancen auf dem Heiratsmarkt – und zwar auch bei jüngeren Frauen – haben dürfte, wird in den Satzungen meist sogenannten Versorgungsehen, möglicherweise am Sterbebett geschlossen, ein Riegel vorgeschoben. Aber auch andere Regelungen zur Hinterbliebenenversorgung verhindern, dass Amors Pfeil die Kalkulationen des Aktuars zerschießt.
Gemäß Analysen des Wiesbadener Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung hat sich in der Gesamtbevölkerung bei Eheschließungen der Altersunterschied zwischen jüngeren Frauen und älteren ­Männern seit Anfang der 1960er Jahre erhöht. Wurde 1961 noch jede fünfte Ehe zwischen einem Mann und einer zwischen fünf und zehn Jahren ­jüngeren Frau geschlossen und war in rund sechs Prozent der Fälle die Frau mehr als zehn Jahre jünger, so lagen diese Anteile im Jahr 2010 bei rund 24 beziehungsweise neun Prozent. Ebenfalls geht aus diesen Analysen hervor, dass bei den deutschen Männern Heiraten­ mit philippinischen und später thailändischen Frauen eine zunehmende Rolle spielt.

Männerüberschuss bei Berufsständlern
Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass diese Ergebnisse für die allgemeine Bevölkerung nicht auch für die freien Berufsstände gelten sollten. Besonders relevant für die freien Berufsstände ist aber das vom Bundesinstitut vorgestellte Analyseergebnis, dass „sich insbesondere die mit dem Bildungsniveau verknüpfte Hypothese bewährt, wonach hohes Bildungsniveau die Wiederheiratsneigung von Frauen senkt, die von Männern hingegen erhöht“. Gerade in den Alterskohorten ab 40 Jahren dominieren bei den Teilnehmern die Männer. Bei der Baden-Württembergischen Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte stehen in der Altersgruppe 61 bis 65 Jahre etwa 4.000 männliche Ärzte etwa 1.500 weiblichen Ärzten gegenüber. Bei der Nordrheinischen Ärzteversorgung dominieren ab dem Alter von 50 die Herren der Schöpfung. In der Altersklasse Ü59 zählt dieses Versorgungswerk im Jahr 2012 2.601 Ärzte, aber nur 988 Ärztinnen. Bei diesem Männerüberschuss ist auch zu beachten, dass 2010 bei 50-jährigen Witwern eine fünffache Wahrscheinlichkeit einer Wiederver­heiratung gegenüber gleichaltrigen Witwen vorliegt. Bezüglich­ des Analyseergebnisses zum Bildungsniveau ist noch anzumerken, dass nicht zuletzt von diesem die Einkommenshöhe abhängt.­ Wegen des Ehegattensplittings macht dann eine Eheschließung für einen gutverdienenden Arzt auch finanziell Sinn. Er erschließt sich durch die ­Vermählung seine private Steueroase. 

Wer früher stirbt, gibt länger Hinterbliebenenunterstützung    
Wer früher stirbt, ist länger tot – und gibt länger Hinterbliebenenunterstützung. Die Relevanz des Postens „Hinterbliebenenversorgung“ ist also gegeben. Die Bedeutung der Versorgung von Witwen und Witwern ist an zwei Beispielen erkennbar. Bei der Bayerischen Ärzteversorgung handelt es sich bei den 30.553 Versorgungsempfängern im Jahr 2012 in 7.105 Fällen um Witwen und Witwer. Die Bremer­ Ärzte zahlen an 669 Mitglieder Altersrenten aus und an 208 Hinterbliebene Witwen-/Witwerrenten. Die Hinterbliebenen bekommen je nach Versorgungswerk prinzipiell meist 60 Prozent der Alters­rente des Verstorbenen. In Geldeinheiten ausgedrückt waren es zum ­Beispiel bei der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe 2012 knapp 52 ­Millionen Euro. Die Altersrenten beliefen sich in diesem Zeitraum auf knapp 300 Millionen Euro. Bei der Berliner Ärzteversorgung, die 55 Prozent der Altersrente des Verstorbenen gewährt, entfallen etwa neun Prozent der Gesamtaufwendungen auf Witwen-/Witwerrenten. Die Regelungen der Versorgungswerke zur Hinterbliebenenunterstützung sind im Vergleich zum SGB VI Paragraf 46 durchaus generös.­ Im Sozialgesetzbuch ist ein Anspruch nämlich nur für 24 Monate vorgesehen, und er besteht auch nur, wenn ein Kind erzogen­ wird, das 47. Lebensjahr noch nicht vollendet ist oder man ­erwerbsgemindert ist. Solche Einschränkungen finden sich in den Satzungen der Versorgungswerke nicht.

Die Bedeutung dieses Postens für die ärztlichen Versorgungswerke­ spiegelt sich auch in den diversen leistungseinschränkenden ­Nebenbedingungen vieler Satzungen wider. So ist beispielsweise bei den Ärzten Nordrhein und in manch anderen Satzungen zu lesen, dass Ehen, die im Ausland geschlossen wurden, nur dann einen Leistungsanspruch begründen, „wenn die Eheschließung nach dem allgemeinen deutschen Personenstandsgesetz oder nach vergleichbaren Personen­standsvorschriften Anerkennung findet“. Besonders viele Einschränkungen führt die Satzung des Versorgungswerkes der Ärzte­kammer des Saarlandes auf. In dieser Satzung beziehen sich Einschränkungen unter anderem auf den Altersunterschied der Vermählten. Wenn im Saarland der Verstorbene 20 Jahre älter ist als der überlebende Ehegatte, wird die Witwen- oder Witwerrente für jedes angefangene Jahr des 20 Jahre übersteigenden Altersunter­schiedes um ein Zwanzigstel, höchstens jedoch um fünf Zwanzigstel gekürzt. Allerdings weichen die Saarländer von dieser Regelung wieder­ ab, wenn die Eheschließung ansonsten heute gängige bürgerliche Muster aufweist. Nach fünfjähriger Dauer der Ehe wird nämlich für jedes angefangene­ Jahr der weiteren Dauer dem gekürzten Betrag ein Zwanzigstel der Witwen- oder Witwerrente so lange zugesetzt, bis der volle Betrag wieder erreicht ist. Die gleiche Vorschrift findet sich auch in der Satzung der Bezirksärztekammer Trier. Im Saarland entfällt die Kürzung zudem gänzlich, wenn aus der Ehe ein Kind hervorgegangen ist.

Im Saarland hat man offenbar aber auch Gründe, auf dem Totenbett abgeschlossene Versorgungsehen explizit auszuschließen. Paragraf 23 Absatz vier der Satzung sieht vor: „Keine Witwen-/Witwerrente erhält die Witwe (der Witwer), wenn die Ehe innerhalb eines Jahres vor dem Tod des Mitgliedes unter Umständen geschlossen wurde, die die Annahme rechtfertigen, dass mit der Heirat allein oder überwiegend der Zweck verfolgt wurde, der Witwe (dem Witwer) den Bezug der Witwen-/Witwerrente zu beschaffen.“ Ähnliche Hintergedanken hegen anscheinend auch die Versorgungswerke für Ärzte in Baden-Württemberg und Westfalen-Lippe. In der baden-württembergischen Satzung steht, dass kein Anspruch des verwitweten Eheteils besteht, wenn „die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende­ Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen“. Für Ärzte in Westfalen-Lippe gilt, dass wenn ein Mitglied nach Vollendung des 62. Lebensjahres heiratet beziehungsweise nach Eintritt der Berufsunfähigkeit und es vor Ablauf eines Jahres verstirbt, keine Witwen- beziehungsweise Witwerrente gezahlt wird.

Auch in einem weiteren Punkt ist das Versorgungswerk für saarländische Ärzte recht strikt. Kein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung besteht nämlich zudem bei einer Ehe, die das Mitglied erst nach Beginn der Altersrente geschlossen hat. Dies entspricht aber auch den Regelungen der meisten anderen Versorgungswerke. Beim Ärzteversorgungswerk in Bremen besteht bei Ehen, die nach Voll­endung des 70. Lebensjahres geschlossen werden, keine Hinter­bliebenenversorgung. Die Ärzteversorgung im Land Brandenburg zeigt sich ­besonders knauserig: „Wurde die Ehe nach Vollendung des 60. Lebens­jahres oder nach Eintritt der Berufsunfähigkeit der oder des Berechtigten geschlossen und bestand die Ehe nicht mindestens drei Jahre, so besteht kein Anspruch auf Rente.“ Gleiches gilt für die Thüringer­ Ärzte. Bei der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe sind es 62 Jahre beziehungsweise ein Jahr.

Solidaritätsprinzip versus neue Liebe
Gegen die Regelung in Koblenz klagte 2010 ein sich in ­Altersrente befindlicher Arzt, der erneut den Bund der Ehe schloss. Diesmal mit einer 23 Jahre jüngeren Frau. Das klagende Paar wurde jedoch vom Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht in Koblenz bestätigte diese Entscheidung (OVG Koblenz 6 A 10320/10.OVG vom 26. Mai 2010). Der Ausschluss von sogenannten nachgeheirateten Witwen von der Hinterbliebenenversorgung stelle eine zulässige Einschränkung des Solidarprinzips dar. Ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes und Vorschriften des Europäischen Rechts liegen nicht vor, so die Begründung. Zwar sei eine Benachteiligung von ­Personen wegen ihres Alters grundsätzlich unzulässig, allerdings ­seien die entsprechenden Regelungen durch legitime Ziele gerechtfertigt. Im Interesse der gesamten Versichertengemeinschaft handle es sich hier um eine zulässige Einschränkung des Solidarprinzips. Andere Versorgungswerke sind mehr daran interessiert, das Lebensglück ihrer Mitarbeiter auch noch nach dem Ruhestand oder der ­Berufsunfähigkeit zu fördern. Seit dem Jahr 2010 ist dies beispielsweise auch in Hessen der Fall. Für dieses Ärzteversorgungswerk ­beschloss die Delegiertenversammlung, dass eine Witwen-/Witwerrente nur dann ausgeschlossen ist, wenn die Ehe nach Beginn der ­Altersrente oder nach Eintritt der Berufsunfähigkeit weniger als fünf Jahre bestanden hat. Damit können auch Ehepartner einen ­Anspruch erwerben, die erst nach dem 65. Lebensjahr geheiratet ­haben. Diese Änderung sei laut Aktuar kostenneutral, weil die Wartezeit von drei auf fünf Jahre heraufgesetzt wurde.

Eine Besonderheit bei der Hinterbliebenenversorgung weisen die Ärzte in Baden-Württemberg auf. Diese scheint noch aus Zeiten zu stammen, zu denen es einfacher war, den Rechungszins zu ver­dienen. Anspruch darauf besteht nämlich nur, wenn die Ehe bereits vor dem 1. Juli 1977 geschieden wurde und zudem mindestens fünf Jahre bestand.­ Solche Altfälle können aber noch heute Folgen haben. Zwar erhöhen sich für das Versorgungswerk nicht die Auszahlungen, ­jedoch die Zahl der Adressaten: Im Falle mehrerer Berechtigten ­„erhält jeder von ihnen auf Dauer den Teil der zu berechnenden ­Witwen- oder Witwerrente, der im Verhältnis zu den anderen Berechtigten der Dauer der Ehe mit dem Teilnehmer während dessen Teilnahme entspricht. Dem überlebenden Eheteil stehen in diesem Fall mindestens 30 von Hundert, den übrigen Berechtigten höchstens 70 von Hundert der zu berechnenden Witwen- oder Witwerrente zu.“

Diese Besonderheit weist auch – wenn auch weniger detailliert – die Ärzteversorgung im Land Brandenburg auf. Wenn aus mehreren Ehen unterhaltsberechtigte Ehegatten vorhanden sind, so wird die Hinterbliebenenrente unter ihnen zu gleichen Teilen aufgeteilt. Die Ärzteversorgung in Thüringen weist eine weitere Besonderheit auf, die auf ein gewisses Misstrauen gegen die Hinterbliebenen deutet und mit der man offenbar alle Eventualitäten ausschließen möchte: „Hinterbliebene haben keinen Anspruch auf Rente, wenn sie den Tod des Mitgliedes der Ärzteversorgung Thüringen vorsätzlich herbei­geführt haben.“

Wie geschildert weisen die Satzungen der 18 Ärzteversorgungswerke einige Unterschiede auf. Je nach Ehekonstellation kann dies das Gefühl vermitteln, benachteiligt zu sein. So ist in einem Internetforum nachzulesen, dass eine Arztfrau sich auf eine Kürzung ihrer Witwenrente um 60 Prozent einstellen muss, da sie 27 Jahre jünger als ihr Gatte ist. Nachschläge sorgen in ihrem Fall nur für eine Wertaufholung, wenn die Ehe für 22 Jahre besteht, worüber sich aber die Arztfrau offenbar nicht ganz sicher ist. Sie wird in dem Forum jedoch von Rechtsanwalt Thomas Mack belehrt, dass „es den Versorgungswerken grundsätzlich unbenommen ist, unterschiedliche Regelungen zu treffen, solange sie sich im Rahmen der Gesetze bewegen“. Für die Ungleichbehandlung bestehe ein sachlicher Grund, da bei einem­ hohen Altersunterschied die Wahrscheinlichkeit längerer Renten­zahlungen entsprechend höher liegt.

Die Ärzteversorgungswerke haben also einige Vorkehrungen getroffen, um das Problem der Langlebigkeit durch junge Witwen nicht noch zu hebeln. Als nachteilig mag es sich zudem noch erweisen, dass für die Witwen eine Wiederverheiratung finanziell­ oft keinen Sinn ergeben dürfte. In diesem Fall endet nämlich je nach Satzung die Hinterbliebenenunterstützung. Manche Satzungen beinhalten jedoch Abfindungen, um den Witwen den Weg in eine neue Ehe finanziell besser zu ebnen. Je jünger die Witwe, desto höher die Abfindung.

Von Patrick Eisele


portfolio institutionell, Ausgabe 9/2014

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