Strategien
16. Juli 2014

„Die Risikowahrnehmung hat sich verändert“

Tobias Bürger befragt Nigel Cresswell, ­Leiter ­Investment Consulting bei Towers Watson, zum Thema Extremrisiken und hinterfragt daran anknüpfende Aspekte für die Portfoliokonstruktion.

Herr Cresswell, institutionelle Investoren machen sich zunehmend Sorgen über ­Extremrisiken. Was verstehen Sie darunter?
Extremrisiken sind Ereignisse, die aufgrund geringer Eintrittswahrscheinlichkeit nur selten auftreten. Sie können jedoch eine signifikante Auswirkung auf das Wachstum und den Erfolg der Anlageziele ausüben.

Wie können Investoren ihre Kapitalanlagen strukturieren, damit diese im Falle eines Tail-Events nicht im Gleichklang abstürzen?
Ein Ansatz zur Vorbeugung von abnehmenden Diversifikationseffekten ist die ­Integration von Diversität im Anlageport­folio. Das bedeutet, dass man das Portfolio nicht nur über mehrere Anlageklassen diversi­fiziert, sondern auf möglichst verschiedene Renditetreiber und Risikoprämien streut. Zu diesen Treibern zählen zum Beispiel neben Aktien- und Kreditprämien auch Liquiditäts- und Versicherungsprämien.
Oft beobachtet man, dass Investoren trotz einer guten Diversifikation nur über wenige Rendite­treiber diversifiziert sind. Eine ­breitere Streuung über mehrere Rendite­treiber und Risikoprämien hingegen kann auf kostengünstige Weise bereits viel zu ­einer robusten Anlage beitragen.

Sehen Sie weitere Schutzmechanismen?
Investoren sollten Anlageklassen und -ansätze ins Portfolio integrieren, die ­einen Wertverlust im Falle von Tail-Ereignissen ­begrenzen. Dazu gehören beispielsweise ­derivative Strategien zur Absicherung von Extremereignissen. Ich denke dabei zum ­Beispiel an Optionen, um einem Wertverlust von Aktien in sinkenden Märkten vor­zu­beugen. Aber auch physische Anlageklassen wie Gold, Cash und „Safe Haven“-Staats­anleihen, die in Extremsituationen durch die erhöhte Nachfrage an Wert gewinnen, ­können sich hier durchaus als nützlich ­erweisen. 
Das Niedrigzinsumfeld sorgt für enge Risikobudgets. Wie sehen Sie das?
Momentan zeigt sich der Trend, dass sich die Haltung der Pensionseinrichtungen bezüglich der Absicherung bestimmter ­Risiken in Anbetracht der aktuellen Kapitalmarkt­situation verändert hat. Oftmals liegt das nicht an Kostengründen, sondern an der veränderten Risikowahrnehmung der Inves­toren. Beispielsweise neigen viele Investoren zu einer eher zurückhaltenden Absicherung gegen das aktuelle Niedrigzinsumfeld, da sie dieses eher als einen Normalzustand und weniger als Ausnahmesituation wahrnehmen.
Ein niedriger Rechnungszins und eine in dessen Folge auftretende Veränderung der Zins­kurve wird zwar weiterhin als stärkstes ­Risikopotenzial angesehen, doch bewerten Investoren ein zusätzliches Sinken des Rechnungszinses und dessen weitere Auswir­kungen auf die Verpflichtungsseite als ­weniger wahrscheinlich.

Die Absicherung kommt also zu kurz. ­Spielen Kosten dabei eine Rolle?
Sicherlich kann ein Grund für die eher geringe Umsetzung von Absicherungsmaßnahmen darin liegen, dass viele Investoren diese Absicherungen als zu kostenintensiv im Verhältnis zu ihrer geringen Eintrittswahrscheinlichkeit erachten. Oftmals ist eine vollständige Absicherung auch gar nicht ­nötig, da es effektivere und günstigere Möglichkeiten gibt, ein Portfolio robust gegen Tail-Risiken zu gestalten.
Hierzu gehört vor allem die Etablierung eines guten Risikomanagementprozesses in den Investmentprozess: Zur Absicherung von Risiken müssen Investoren relevante ­Risiken, ihre Größe und ihren Effekt bestimmen können. Praktisch gesehen ist eine ­komplette Absicherung aller Risiken nicht möglich, da häufig neben den kalkulierbaren und bekannten Risiken andere Risiko­faktoren existieren, die in ihrer Gesamtheit nicht einschätzbar sind. Aus diesem Grund ist es wichtig, einen Investmentprozess aufzu­bauen, der es ermöglicht, Risiken rechtzeitig zu erkennen und flexibel darauf zu ­reagieren. 

Worauf sollten Investoren bei der Portfoliokonstruktion unbedingt achten?
Hier kommt es darauf an, den gesamten Investmentprozess robust gegen Risiken zu gestalten. Hierbei reicht es häufig nicht aus, das Port­folio lediglich um derivative Hedging-Strategien, wie zum Beispiel Risiko-Overlay-Strategien zur Steuerung der Asset-Allo­kation oder zur ­Sicherung von Fremdwährungsrisiken, zu ergänzen. In unsicheren Marktphasen und in seitwärts tendierenden Märkten ­stoßen diese Strategien häufig an ihre Grenzen, da sie zum Beispiel Markt- und Investor-Irrationalitäten nicht berücksich­tigen. Für ein ­robustes und gegen extreme Marktverwerfungen gerüstetes Portfolio ist ein ganzheit­licher Ansatz entscheidend. Ein ­effektives ­Risikomanagement kann sich vollends nur dann entfalten, wenn es in Bezug zum gesamten Anlageprozess gestellt wird. Hierbei muss bereits vor der Strategiefest­legung und -implementierung eine Best-Practice-Risikokultur aufgestellt werden, die Verantwortungsbereiche festlegt und dem Thema Risiko in der Unternehmenskommunikation ausreichend Beachtung schenkt.
Bei der Steuerung und Messung von ­Risiken kommt es auf einen ganzheitlichen Ansatz an, der drei verschiedene Aspekte umfasst: die Größe, die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Höhe der Auswirkung auf die Bilanz und den Anlageerfolg. So lassen sich die relevanten und kritischen Risiken ­priorisieren.

Von Tobias Bürger

portfolio institutionell, Ausgabe 6/2014

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