Statement
24. Juni 2022

Die regulatorische Quadratur des Nachhaltigkeits-Kreises

Wie gut gemeinte Leitplanken aus Brüssel bislang zu mehr Verwirrung als Klarheit führen.

Nachhaltige Geldanlagen werden erwachsen. Seit über 20 Jahren wuchsen sie heran – stetig, aber auf kleinem Niveau. Einst eine Nische mit meist institutionell Investierenden, deren Nachfrage auf ein Angebot zweier Handvoll traf. Die Community mit drei bis fünf Prozent Marktanteil war unter sich, Anlagestile inklusive Stärken und Schwächen der Produktanbieter waren bekannt.

2018 setzte ein Wachstumsschub ein. Denn im Januar besagten Jahres veröffentlichte eine 2016 formierte Expertengruppe der EU den Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums mit einer Vielzahl damit einhergehender Regulatorik-Stränge. Vier von sechs Vorschlägen des Reports beschäftigen Asset Owner und Asset Manager seitdem besonders stark:

  • (1) Die Taxonomie, die mittels mehrerer Hundert Seiten umfassender technischer Regulierungsstandards einen Großteil ökologisch-nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten definiert.
  • (2) Die Offenlegungsverordnung, die Finanzmarktteilnehmer mit ihren Produkten und Organisationen als Ganzes zur Transparenz über die Umsetzung von (mehr) Nachhaltigkeit zwingt.
  • (3) Die Mandatierung der ESAs, Nachhaltigkeit in ihr Aufgabengebiet einzubeziehen, was die nationale Aufsichtsbehörden auf den Plan rief.
  • Und (4) die Ergänzung der MiFID-II-Eignungsbeurteilung um Nachhaltigkeitspräferenzen.

Jeder einzelne, meist in delegierten Rechtsakten umzusetzende Regulierungsstrang macht in sich gesehen Sinn. Das Gesamtwerk dahingegen ist jedoch leider weder inhaltlich harmonisiert, noch zeitlich konsistent. Und die Tatsache, dass die EU erst jetzt an der Unternehmensberichterstattung sogenannter extra-finanzieller Indikatoren, der CSRD, arbeitet, ist in dieser Bewertung noch nicht mal einbezogen.

Je nach Methode ergeben sich unterschiedliche Resultate

Es kommt also auf den Markt zu, sich (1) zu streiten, ob ein und derselbe Aktienindex nun eine grüne Taxonomie-Konformitätsquote von 1,4 oder 3,2 Prozent hat. Denn je nach Mapping- und Schätzmethode (die EU hat sogenannte NACE-Codes für ihre Wirtschaftsaktivitäten, die anders sind als vom Markt genutzte Industrieklassifikationen) ergeben sich unterschiedliche Resultate. Und diese nähern sich durch den zwar sinnvollen, da zukunftsgerichteten, aber noch weit von Bilanzvorschriften entfernten Einbezug von CapEx und OpEx erstmal nicht an.

(2) Die als Labelling missbräuchliche Umdeutung der quasi selbstdeklarierenden Offenlegung nach Artikel 8 und 9 von nicht wenigen Produktanbietern, wird jetzt schon angemahnt. Denn es geht, wie der Name der Verordnung schon sagt, wohlgemerkt erstmal nur um Transparenz, nicht um die dahinterstehende (unabhängige) Beurteilung der inhaltlichen Qualität dessen, was dann offengelegt wird.

(3) Das anfänglich forsche Vorpreschen der Bafin mit eigener Anlagerichtlinie, die dann kurzerhand formell zurückgestellt wurde, obwohl trotzdem weiterhin danach gefragt wird und Bemühungen anderer nationaler Aufsichten (wie die Luxemburger CSSF) mit beispielsweise quotalen Anforderungen, bei denen unklar ist, wie eine reine Zahl mit der dahinterstehenden Nachhaltigkeitsgüte kompatibel ist, konterkarieren eine einheitliche europäische Vorgehensweise.

Dies (4) riskiert, dass eine von Regulatorik durchorchestrierte Anlageberatung zu einem Potemkinschen Dorf wird, da die drei MiFID-Präferenz-Cluster nur schwierig mit der gelebten Beratungspraxis in Einklang zu bringen sein werden und es nicht unwahrscheinlich ist, dass das Kreuzchen bei „nicht-nachhaltig“ gesetzt wird, um erstmal nicht in das offene Messer von Haftungsklagen zu laufen, aber trotzdem im Sinne der Nachhaltigkeit zu beraten – nur eben am formell gewünschten Prozess vorbei.

Finanzprodukte und Finanzinstrumente

Und bei all dem ist noch nicht einmal die Frage diskutiert, ob es um „Finanzprodukte“ (Terminus in der Offenlegungsverordnung) oder „Finanzinstrumente“ (Begriff der MiFID) geht, also auch um einzelne Aktien oder Anleihen. Auch die unterschiedlichen sprachlichen Begriffe wie das englische „promotion“ im Vergleich zum deutschen „Bewerbung“ sind beim Artikel 2(17) der Offenlegungsverordnung mitentscheidend für dessen Gültigkeitsbereich.

Es wird sich noch viel zurechtruckeln müssen, um den damaligen Sustainable-Finance-Verantwortlichen der Bafin zu zitieren. Schnallen wir uns also an, denn die Nachhaltigkeitsreise wird holprig bleiben!

Autoren:

In Verbindung stehende Artikel:

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert