Die grüne Industrierevolution
In seiner Umweltenzyklika ruft Papst Franziskus zur Abkehr von fossilen Energieträgern auf. Ob diese päpstlichen Worte aus dem vergangenen Jahr für den regen Zulauf in der Divestment-Bewegung sorgten, lässt sich nicht sagen. Sagen lässt sich jedoch: Immer mehr institutionelle Investoren steigen aus Kohleinvestments aus – auch in Deutschland.
An einem Donnerstag im Juli 2016 sind durch die ehrwürdigen Hallen der Berliner Humboldt-Universität nicht nur die gewohnten Horden an Studenten in Shorts und Flipflops gewandelt. Unter sie mischten sich auch zahlreiche Anzugträger. Der Grund: die Konferenz „From Divestment zu Green Investment“, für die Professor Dr. Dr. Sabine Kunst, Präsidentin der Berliner Lehranstalt, die Räumlichkeiten zur Verfügung stellte. In ihrer Rede auf der abschließenden Abendveranstaltung lobte sie ihre angelsächsischen Kollegen von Georgetown, Yale und Co. für ihre Vorreiterrolle in der Divestment-Bewegung, die für einen Ausstieg aus Investments in fossile Brennstoffen eintritt. Nach dem Vorbild der Anti-Apartheid-Bewegung der 80er Jahre fordern immer mehr Studenten in den USA ihre Universitäten dazu auf, sich von Investments in Kohle & Co. zu verabschieden – was diese zum Großteil auch tun. Mit Bedauern erklärte die Präsidentin der Humboldt-Universität, in dieser Bewegung keine aktivere Rolle übernehmen zu können: „Dafür bräuchten wir erst noch die entsprechenden finanziellen Rücklagen, um Divestments tätigen zu können.“
Über entsprechende finanzielle Rücklagen verfügt die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU). Im vergangenen Jahr führte sie ihrem Stiftungskapital 38 Millionen Euro als Rücklage zu. Und nomen est omen: Die Umweltstiftung investiert ihr Vermögen, das inzwischen rund 2,15 Milliarden Euro umfasst, seit Anfang 2016 nicht mehr in Unternehmen, deren Geschäftsmodell zu einem erheblichen Teil auf Kohle basiert. „Als langfristiger Kapitalanleger glauben wir nicht, dass Kohleinvestments sowohl ökonomisch als auch ökologisch noch sinnvoll sind. Bestehende Anleihen lassen wir auslaufen und Aktien werden nach und nach abgebaut“, erklärt DBU-Finanzchef Michael Dittrich. Die Bestände von ehemals knapp 40 Millionen Euro wurden bereits auf unter zehn Millionen Euro verringert. Bei der Entscheidung, welche Unternehmen aus dem Anlageuniversum verbannt werden, orientierte sich die DBU unter anderem an einer Liste mit den 200 „schlimmsten“ Unternehmen, die von der Vereinigung „Go fossil free“ veröffentlicht wird. „Das waren bei uns im Wesentlichen zwei Unternehmen: Arcelor Mittal und RWE. Der Rest sind nur kleine Positionen“, führt Dittrich aus.
Bei der Umsetzung ihrer Dekarbonisierungsstrategie geht die DBU mit Bedacht vor. So seien derzeit noch immer einige RWE-Anleihen im Portfolio, auf denen ein Kupon von über sechs Prozent steht. In Zeiten von Magerzinsen könne man diese nicht einfach verkaufen, man lasse sie sukzessive auslaufen. Im Jahr 2021 werden die letzten Anleihen fällig, die unter die Verbannung fallen. Auch bei den Aktien schaut Dittrich genau hin, bevor er verkauft: „Wir wollen keine unnötigen Abschreibungen. Als RWE letztes Jahr bei einem Tief von acht Euro stand, machte es keinen Sinn zu verkaufen. Inzwischen steht RWE wieder relativ gut da, und wir haben bereits einen erheblichen Teil der Position abgebaut.“ Darüber hinaus hat die DBU begonnen, den CO₂-Fußabdruck ihrer Kapitalanlage zu ermitteln. Bis Ende 2016 soll eine Aussage getroffen werden können, welchen CO₂-Ausstoß eine Million Euro des investierten DBU-Kapitals hat. Am Ende gehe es aber nicht allein darum, das effizienteste Anlageportfolio in puncto CO₂-Ausstoß zu haben, auch die Renditeseite muss passen. Dittrich ist jedoch überzeugt: „Der Rechtfertigungsdruck für CO₂-intensive Unternehmen wird höher.“
Zu einem Kohleausstieg haben sich in Deutschland neben der DBU und den Städten Münster, Berlin und Stuttgart bislang nur eine Handvoll institutionelle Investoren entschlossen. Dazu gehören die Bewegungsstiftung, die GLS Treuhand, das Presseversorgungswerk, das Wermuth Family Office und die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), die Ende 2015 eigenen Angaben zufolge mit 2,5 Prozent der Kapitalanlagen in entsprechenden Unternehmen investiert war. Heinz Thomas Striegler, Finanzdezernent der EKHN, möchte den Ausstieg aus fossilen Investments in fünf Jahren umsetzen: „Wir haben uns für einen gestuften Prozess entschieden, denn als Kirche betreiben wir eine verantwortliche Finanzpolitik und haben stets auch unsere Sicherheits- und Renditeziele im Blick.“
Nicht normativ, sondern gemeinsam
Unter den Mitgliedern der Divest-Invest-Bewegung findet sich auch die kapitalstärkste Adresse Deutschlands: die Allianz. Ende November 2015 kündigte der Münchner Versicherungskonzern an, keine kohlebasierten Geschäftsmodelle mehr zu finanzieren. Das treffe alle Unternehmen, die mehr als 30 Prozent ihres Umsatzes durch den Abbau von Kohle oder mehr als 30 Prozent ihrer Energieerzeugung aus der Kohle erzielen. Bei dieser Entscheidung ging es um Aktien im Volumen von 225 Millionen Euro und Anleihen in einem Wert von 3,9 Milliarden Euro. „Dekarbonisierung ist mehr als der Kohleaussteig. Aber Kohle ist der wichtigste Faktor. Wenn wir in den nächsten 30 bis 35 Jahren ein ‚Net Zero‘ erreichen wollen, muss laut Internationaler Energieagentur Kohle sukzessive ersetzt werden. Deshalb haben wir uns für den Ausstieg entschieden und mit einer ambitionierten 30-Prozent-Schwelle begonnen“, erläutert Dr. Urs Bitterling, Projektmanager für ESG-Themen bei der Allianz. Das Anlageuniversum werde dadurch eingeschränkt, aber in einem akzeptablen Rahmen. „Das war für uns sinnvoll und tragbar“, so Bitterling.
Warum sich die Versicherung für die 30-Prozent-Schwelle entschied und nicht auf 50 Prozent, wie einige andere Investoren, oder auf null Prozent ging, ist auf Einschätzungen der Internationalen Energieagentur zurückzuführen. „Wir haben aber auch viele Gespräche mit Nichtregierungsorganisationen, wie Germanwatch, Greenpeace, Urgewald und dem WWF, geführt. Unternehmen, deren Geschäft bereits weniger als 30 Prozent von Kohle abhängig ist, ist die Energiewende eher zuzutrauen. Das deckt sich mit unserem Ansatz. Wir sind nicht normativ, sondern wollen gemeinsam mit den Unternehmen Klimaziele erreichen. Wir werden weiterhin Rohstoffe und Energie brauchen. Wir können nicht einfach komplett aussteigen. Aber es braucht Veränderungen, die wir mit in Gang setzen wollen, und Investoren wie uns, die diese Veränderungen langfristig und zuverlässig finanzieren“, erklärt der ESG-Experte der Allianz. Man müsse heute noch nicht alle Lösungen parat haben, aber man muss sich dem Thema stellen. „Es geht darum, dass Unternehmen auch unter Klimagesichtspunkten ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell haben“, so Bitterling.
Für den Münchner Versicherungskonzern ist Nachhaltigkeit kein Neuland. Bereits 2007 wurde die Einheit „Allianz Climate Solutions“ gegründet, die heute 15 Mitarbeiter umfasst. „Den Gedankenanstoß dazu hat uns der WWF gegeben, mit dem wir 2005 zum Klimawandel ins Gespräch kamen. Unsere erste Reaktion war damals, dass dies ein Thema der Rückversicherer sei. Die Botschaft des WWF war, Klimaschutz geht nicht ohne die Kunden, und die bedient der Erstversicherer. Hinzu kommt unser Einfluss als großer und vor allem langfristiger Investor“, erklärt Karsten Löffler, Geschäftsführer bei Allianz Climate Solution. Diesen Einfluss wollte der Versicherungskonzern nutzen und begann, sich in puncto Nachhaltigkeit zu engagieren. Im August 2011 trat die Allianz den Principles for Responsible Investment (PRI) der Vereinten Nationen bei und gab ein freiwilliges Commitment ab, verantwortungsvoll zu investieren. Seit 2012 ist die Allianz klimaneutral. Ihre verbleibenden Emissionen gleicht sie durch Investitionen unter anderem in Waldprojekte (REDD) aus, die Zertifikate erzeugen. Dafür hat sich die Allianz an Wildlife Works Carbon beteiligt. Im November 2015 wurde schließlich der Ausstieg aus kohlebasierten Investments bekanntgegeben.
„Das Klimaabkommen von Paris gab einen weiteren wichtigen Anstoß zum Wandel für die Real- sowie die Finanzwirtschaft. Transparenz über Klimarisiken und den Carbon Footprint wird nun immer mehr zum Standard werden“, ist Löffler überzeugt. Bis es soweit ist, müsse jedoch noch eine Menge Arbeit geleistet werden. Ein Arbeitsfeld betrifft die Messmethode von CO₂-Fußabdrücken. „Es gibt hier noch keinen Konsens. Auf dem Markt sind verschiedene Ansätze zu finden, was auch der teilweise noch mangelnden Datenlage geschuldet ist“, merkt der Klimafachmann der Allianz an. Insbesondere im Finanzsektor seien Carbon Footprints nur schwer miteinander zu vergleichen. Zur Veranschaulichung führt Löffler ein Beispiel an: „Die Diskussion beginnt bei den verschiedenen Finanzinstrumenten. Werden die Emissionen nur den Eigenkapitalinvestments zugeschlagen, weil man als Investor nur dort Einfluss nehmen könne, oder auch den Fremdkapitalinvestments?“ Letztendlich helfe eine Aussage über die Höhe des CO₂-Ausstoßes ohnehin nur begrenzt. „Es ist ein Blick in die Vergangenheit. Bei Investments geht es aber um die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen, also die Strategie, sich auf die sich verändernden Rahmenbedingungen einzustellen und sie im Unternehmen aktiv zu gestalten“, so Löffler.
Auf Kommunikation beruht unterdessen die bevorzugte Nachhaltigkeitsstrategie von Union Investment. Die Divestment-Bewegung sieht der genossenschaftliche Vermögensverwalter hingegen kontrovers. „Wenn alle Investoren sämtliche Assets, die Kohlenstoff emittieren, abstoßen, werden die Kosten für Eigen- und Fremdkapital der betreffenden Unternehmen extrem steigen. Sie können sich das Geschäft nicht mehr leisten und verschwinden. Soweit die Theorie. In der Praxis würden hiervon vermutlich nicht börsennotierte Wettbewerber profitieren. Eine CO₂-Reduktion würde also nicht zwangsläufig erreicht. Wir halten es für sinnvoller, Unternehmen als kritischer Aktionär zu begleiten und sie damit zu einer Reduktion der Kohlenstoffemissionen zu bringen“, erklärt Dr. Thomas Deser, Portfoliomanager und Klimaexperte bei Union Investment.
Steter Tropfen
Für Engagements ist zweifellos einiges an Geduld gefordert. Dessen ist sich Deser bewusst: „Steter Tropfen höhlt den Stein. Wir haben keine überzogene Perspektive. Unternehmen haben eine langfristige Finanzierung. Kohle-, Gas- und Öl-Lagerstellen werden nicht nur für ein halbes Jahr angezapft, sondern es bestehen langfristige Verträge.“ Sollten sich Unternehmen gegenüber dem Engagement als dauerhaft renitent erweisen, setzt auch Union Investment auf Divestment. „Das ist nicht als Bestrafung gedacht, sondern weil wir mit den Risiken nicht leben wollen“, so Deser. Ein Beispiel ist Osram. Die Fondsgesellschaft hatte den Lampenhersteller mehrmals aufgefordert, den geplanten Bau einer neuen Fabrik für LED-Chips in Malaysia zu stoppen – ohne Erfolg. „Wir haben desinvestiert, weil uns die kurzfristigen Risiken zu hoch sind. Das kann sich zwar noch zum Guten drehen, dennoch sind wir lieber ausgestiegen“, so der Klimaexperte der Union Investment. Ein solcher Schritt sei jedoch immer nur Ultima Ratio.
Anders sieht man dies beim französischen Versicherungskonzern Axa. Im Frühjahr 2015 gab dieser bekannt, sämtliche Beteiligungen an Unternehmen aus dem Kohlesektor abzustoßen. Warum dies gerade für Versicherungsunternehmen relevant ist, erläuterte Dr. Christian Thimann, Head of Strategy, Sustainability & Public Affairs bei der Axa Group, im Nachgang der Berliner Divestment-Konferenz bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion: „Wir sind auf beiden Seiten der Bilanz vom Klimawandel betroffen: Einerseits zahlen Versicherungen für Klimaschäden. Bei der Axa waren es 2014 rund eine Milliarde Euro klimabezogene Schäden. Andererseits sind Versicherer auf der Anlageseite entsprechend investiert, zum Beispiel in Kohle, von der wir wissen, dass sie mehr und mehr infrage gestellt wird. Wir haben uns als erste Versicherung vor der Pariser Klimakonferenz entschlossen, uns aus diesen Investments zurückzuziehen – aus Verantwortung für die Gesellschaft und unternehmerischer Selbstverantwortung.“ Es ging dabei um Investments in Höhe von rund 500 Millionen Euro.
Klimawandel zum Mainstream
Seit dem Kohleausteig von Axa hat die Divest-Invest-Bewegung deutlich an Fahrt gewonnen. Innerhalb von drei Jahren ist die Zahl der Unterstützer von anfänglich 181 Institutionen mit 50 Milliarden Dollar auf über 500 institutionelle Investoren mit einem Vermögen von mehr als 3,4 Billionen Dollar gestiegen. Das ist ein klares Statement des Finanzsektors an die Klimasünder weltweit. Doch so klar dieses auch sein mag, es sind bislang nur Einzelinitiativen. Um größere Wirkung zu entfalten, gilt es, diese zu strukturieren und zu bündeln. Einen Beitrag dazu soll die vom Financial Stability Board (FSB) im Dezember 2015 eingesetzte Task Force on climate-related Financial Disclosure (TCFD) leisten, die sich aus 31 Vertretern aus dem Privatsektor, darunter Versicherungen, Banken und Industrieunternehmen, zusammensetzt. Ziel dieser Arbeitsgruppe ist es, ein Berichtswesen für Unternehmen zu entwickeln, das Investoren über ihre Klimastrategie der Unternehmen informiert. „Das Neue daran ist, nicht nur über den aktuellen Ausstoß zu berichten, sondern in die Zukunft zu blicken. Es geht darum, ob das Unternehmen einen Plan für die Zukunft hat, der im Einklang mit dem Klimaabkommen steht“, erklärte Thimann, der auch stellvertretender Vorsitzender der TCFD ist. Bis Ende 2016 will die Arbeitsgruppe dem FSB ihren Bericht mit Empfehlungen vorlegen. „Wenn wir es schaffen, dieses Berichtswesen für die wichtigsten Sektoren einzuführen, sind wir einen deutlichen Schritt weiter. Heute ist der Klimawandel oft nur ein Randthema, aber damit wird es zum Mainstream“, ist Thimann überzeugt.
In der Mitte angekommen, ist der Klimawandel bereits in Frankreich. Im vergangenen Jahr verpflichtete die französische Regierung die institutionellen Investoren ihres Landes dazu, ihre Portfolien auf klimaschädliche Investments abzuklopfen und regelmäßig darüber zu berichten. Auch in Schweden hat die Regierung unlängst die Pensionsfonds aufgefordert, einen Report über ihren CO₂-Fußabdruck abzugeben. Schon bald könnten solche Reports auch für alle anderen Pensionseinrichtungen in der Europäischen Union zur Pflicht werden. In ihrem Richtlinienvorschlag vom 28. Juni 2016 fordern das EU-Parlament und der EU-Rat in Artikel 16 und 17, dass Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung ihre Gelder künftig unter Beachtung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien sowie Klimarisiken anlegen. „Die Regulierung berücksichtigt, wonach die Gesellschaft fragt“, zeigt sich Laurent Jacquier-Laforge, Chief Investment Officer (CIO) bei La Française, überzeugt. Der französische Vermögensverwalter ist auf den Dekarbonisierungszug bereits aufgesprungen. Im Juni 2015 wurde ein Fonds mit einer Zero-Carbon-Strategie aufgelegt, in dem rund 25 Millionen Euro Seed Money von französischen Investoren steckt. Der Name wirkt auf den ersten Blick irreführend, da der Fonds einen Best-in-Class-Ansatz fährt. „Wir streben nicht die Null an. Eine Reduktion auf 50 Prozent ist genug“, erläuterte Jacquier-Laforge bei einer Präsentation der Strategie im Juni dieses Jahres. Um den CO₂-Fußabdruck des Fonds gegenüber der Benchmark MSCI ACWI noch weiter zu reduzieren, werden dem Portfolio zusätzlich „grüne“ Solution Provider beigemischt. Im ersten Jahr konnte der Fonds mit seiner Strategie nicht die angestrebte positive Rendite für seine Anleger erwirtschaften. Die Performance war drei Prozent im Minus. Als Grund machte der La-Française-CIO die vorübergehende Talfahrt von Clean Tech aus.
Von Meilensteinen der besonderen Art
Auch wenn sich in Europa einiges tut, ist das nicht genug. Auch der Rest der Welt muss mitziehen. Alle ins Boot zu holen, darin sieht der Nachhaltigkeitsexperte der Axa die politische Krux. Während der Podiumsdiskussion im Nachgang der Divestment-Konferenz rief Thimann deshalb in Erinnerung: „One climate: Es ist ein globales Problem. Alle müssen an einem Strang ziehen.“ Nachdruck wurde seinen Worten durch die 30 Grad Celsius verliehen, die an jenem Donnerstag im Juli in Berlin herrschten und nicht via Klimaanlage gekühlt wurden. Dass diese Hitze an einem Sommertag in Deutschland zwar nichts ungewöhnliches ist, der Klimawandel dennoch real ist, bestätigen Daten der Weltorganisation für Meteorologie der Vereinten Nationen. Laut diesen lag die Durchschnittstemperatur 2015 etwa ein Grad Celsius über den Werten des vorindustriellen Zeitalters. Auch die Konzentration der Treibhausgase erreichte im vergangenen Jahr Höchststände. Laut der US-Klimabehörde NOAA überschritt die weltweite CO₂-Konzentration im Frühjahr 2015 den Durchschnittswert von 400 Teilchen pro Million. Dieser Wert gilt unter Forschern als bedeutender „Meilenstein“ auf dem Weg zu einer gefährlichen Klimaveränderung.
Ein anderer Meilenstein des vergangenen Jahres will genau dieser Entwicklung entgegenwirken: das Abkommen der UN-Klimakonferenz in Paris (COP21), in dem sich die Staats- und Regierungschefs auf ein Zwei-Grad-Ziel einigten. Um dieses zu erreichen, dürfte laut der Carbon Tracker Initiative die Welt bis 2050 nicht mehr als 565 Milliarden Tonnen CO₂ in die Atmosphäre blasen. Würde man alle bekannten Reserven verfeuern, wäre der Ausstoß jedoch fast fünfmal so groß. Und schon bei der Ausbeutung der Menge, die heute in den Büchern der Energieriesen steht, wäre mit 745 Milliarden Tonnen das gesamte CO₂-Budget aufgebraucht. Das heißt: Nur 20 Prozent der Gesamtreserven können bei Einhaltung des Zwei-Grad-Zieles unvermindert verbrannt werden, 80 Prozent sind „stranded“ Assets.
Wenn die Staats- und Regierungschefs mit dem Zwei-Grad-Ziel ernst machen, bekommen Energiekonzerne gravierende Probleme. Ihre Rohstoffreserven verlören erheblich an Wert, da ein Großteil davon im Boden bleiben müsste. Laut einer HSBC-Studie von 2013 müssten die großen Erdölkonzerne zwischen 40 und 60 Prozent ihres Wertes abschreiben. Auch Professor Dr. Alexander Bassen und Professor Dr. Timo Busch von der Universität Hamburg stellen in ihrer Studie, die Union Investment in Auftrag gab und im Juni 2016 veröffentlicht wurde, einen positiven Zusammenhang zwischen hohen Emissionen und der Wertschöpfung eines Unternehmens fest. Die empirische Analyse basierte auf einem globalen und 4.114 Unternehmen umfassenden Datensatz zu spezifischen CO₂-Emissionen sowie Finanzdaten von Thomson Reuters über zehn Jahre. Um die CO₂-Relevanz für die Aktien-Performance zu untersuchen, wurden verschiedene Aktienportfolios in Abhängigkeit von der CO₂-Intensität der jeweiligen Unternehmen gebildet.
Das Ergebnis: Das Portfolio aus Aktien von Unternehmen mit der niedrigsten CO₂-Intensität erzielt gegenüber dem Vergleichsindex eine Mehrrendite von 0,39, das CO₂-intensivste Portfolio eine Minderrendite von 0,38 Prozent. Durch die Strukturierung von Portfolios nach CO₂-Intensitäten könne also im Schnitt eine signifikante Überrendite von 0,77 Prozent erzielt werden. In einem zweiten Schritt untersuchten Bassen und Busch die Folgen einer Internalisierung der externen CO₂-Kosten für die Profitabilität ausgewählter Unternehmen. Für den Energiesektor stellten sie fest, dass fünf der acht untersuchten Stromversorger (Eon, EDF, Endesa, Enel und RWE) bei einer 100-prozentigen Übernahme der externen CO₂-Kosten keinen Gewinn mehr erwirtschaften würden. Ein ähnliches Bild zeige sich bei Rohstoffunternehmen.
Uneinsichtig oder zukunftsorientiert
Mit Blick auf diese Zahlen drängt sich die Frage auf: Setzt bei den Energie- und Ölkonzernen ein Umdenken ein? Die Antwort: teils, teils. Lobend hob die Carbon Tracker Initiative (CTI) in ihrem Report „Shell climate disclosure: Deja vu?“ Ende Mai 2016 den Öl- und Gaskonzern Total hervor, der seine Solarpräsenz durch eine Zwei-Milliarden-Akquisition eines französischen Batterieherstellers verstärken will. Ungeachtet dieses Positivbeispiels stellte CTI zwar einen zunehmenden Druck der Shareholder auf Öl- und Gaskonzerne aus den USA und Europa fest, jedoch ohne durchschlagenden Erfolg. Besonders uneinsichtig seien die US-Konzerne Exxon und Chevron. Mehr Einsicht beobachtet die CTI bei der niederländischen Shell-Gruppe, die dieses Jahr erstmals ein Zwei-Grad-Szenario publiziert hat. Der Wermutstropfen: Im Disclaimer des Papers „Energy Transition and Portfolio Resiliance“ lässt Shell wissen, dass man keine unmittelbaren Pläne habe, sich innerhalb der kommenden zehn bis 20 Jahren in Richtung eines Null-Emissionen-Portfolios zu bewegen. „Das zeigt die anhaltende Unnachgiebigkeit, die bestenfalls enttäuschend und schlimmstenfalls mauernd ist“, schreibt CTI in ihrem Report.
Nur börsennotierte Unternehmen zum Umdenken zu bewegen, was sich als schwierig erweist, würde jedoch nicht reichen. „Die Börsen bilden nur ein Viertel der weltweiten Ölförderung ab. Der Großteil entfällt auf staatliche Ölfirmen. Um einen richtigen Hebel zu haben, muss man insbesondere Saudi-Arabien ins Boot holen“, sagt Dr. Thomas Deser von Union Investment. Überraschenderweise scheint eines der erdölreichsten Länder der Erde die Zeichen der Zeit erkannt zu haben, woran der Ölpreisverfall im vergangenen Jahr sicher nicht ganz unschuldig war. So plant Saudi-Arabien, fünf Prozent seines Erdölgeschäfts an die Börse zu bringen und die eingesammelten Mittel unter anderem in Erneuerbare Energien zu investieren. Das Ziel des Ölministers Scheich Yamani: Sein Land soll zur globalen Kraft in Solar- und Windenergie werden. „Die Steinzeit endete nicht, weil es an Steinen mangelte, und das Ölzeitalter wird zu Ende gehen, nicht aufgrund des Fehlens von Öl“, erklärte Scheich Yamini bereits 2000.
„Wir sind kurz davor, eine grüne Industrierevolution zu erleben“, ist Jochen Wermuth, Gründer und CIO von Wermuth Asset Management, überzeugt. Bereits in wenigen Jahren sieht er nur noch Elektroautos auf deutschen Straßen fahren. In den Ohren der deutschen Wirtschaft dürften solche Prognosen die Alarmglocken schrillen lassen. Und tatsächlich prognostiziert Wermuth, der selbst nicht an Engagement glaubt, Großkonzernen, wie Daimler, Siemens, VW und Co., keine rosige Zukunft: „Sie werden die grüne Industrierevolution eventuell nicht überstehen. Es könnte ihnen wie den Kutschen- und Peitschenbauern ergehen, die vor der ersten industriellen Revolution den US-Aktienindex dominierten und heute verschwunden sind.“ Für Wermuth liegt darin jedoch auch eine Chance für die deutsche Wirtschaft: „Wir können keine billigeren Elektroautos als China bauen, aber intelligentere, die auch ins Netz einspeisen.“ Ein gutes Beispiel sei die Nutzung von Elektrofahrzeugbatterien, die das Unternehmen „The Mobility House“, das von ehemaligen Siemens-Mitarbeitern gegründet wurde, entwickelt hat. Diese ermöglichen ein effizientes bi-direktionales Charging, das heißt, Strom wird geladen, aber auch ans Netz abgegeben. Dadurch werden Elektroautos zur Geldquelle für ihre Besitzer. „Die Batterien von Elektroautos könnten als Speicherkraftwerk dienen. Man könnte jedes Jahr 2.000 Euro pro Auto verdienen, in dem man unter anderem nachts Strom billig kauft und tagsüber einen Teil der Batterieladung teuer verkauft oder einfach nur als Reserve zur Verfügung stellt. Was es jetzt braucht, ist die entsprechende Regulierung, die es jedem Elektrofahrzeughalter erlaubt, dass man auch in das Netz einspeisen kann“, erläutert Wermuth, der selbst ein passionierter Elektroautofahrer ist.
Nicht nur auf den Straßen sieht Wermuth das Ende des Ölzeitalters gekommen. Seines Erachtens könnte der Strom in Deutschland bereits 2025 zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Energien kommen: „Solarenergie setzt immer neue Maßstäbe. In Dubai kostet eine Kilowattstunde inzwischen nur noch 2,99 US-Cent. Um kompetitiv zu sein, müsste der Ölpreis bei fünf Dollar pro Barrel liegen. In Berlin sind wir bei sieben Eurocent und in Bayern bei sechs Eurocent bei Großanlagen.“ Völlig unverständlich ist ihm, warum die Bundesregierung weiterhin fossile Brennstoffe subventioniert, ohne die Kosten für die Gesundheit – 150 Dollar pro Tonne der CO₂-Emission – einzurechnen.
Doch nicht nur die deutsche Politik bekommt ihr Fett weg. Harsche Kritik übt Wermuth am Emission Trading System (ETS) der Europäischen Union, das zu viele Emissionsrechte ausgegeben und damit den Preis kaputt gemacht habe. Dieser liege inzwischen bei sechs Euro pro Tonne und müsse dringend angehoben werden. „Die EU-Kommission sollte heute und langfristig durch den Aufkauf von Quoten wenigstens einen Preis von 30 Euro pro Tonne für CO₂-Emissionsrechte garantieren, wie der Internationale Währungsfonds vorschlägt. Allein die Umweltkosten durch Klimawandel pro Tonne CO₂ werden vom IWF auf 50 Dollar pro Tonne geschätzt und die Gesundheitskosten durch Luftverschmutzung von Kohlekraftwerken und Kraftfahrzeugen auf zusätzliche 67 Dollar pro Tonne. Bei Gesamtkosten von 117 Dollar pro Tonne CO₂ ist ein Minimalpreis von 30 Euro pro Tonne nicht viel. Falls Polen ein Veto einlegen möchte, sollte es durch Transfers ‚gekauft‘ werden. Dieses wichtige Preissignal darf nicht länger fehlen“, so Wermuth.
Eine historische Chance
Zwar ist Jochen Wermuth seit Jahrzehnten ein Greenpeace-Unterstützer, darf aber keinesfalls als Öko-Guru abgetan werden. Als Private-Equity-Investor investiert er nur in Unternehmen, die einen positiven Impact im Bereich Umwelt haben und eine Rendite bringen: „Ich kann ressourceneffizient sein und Rendite erwirtschaften, das schließt sich nicht aus. Im Gegenteil: Je ressourceneffizienter, desto besser für die Umwelt und desto besser für die Rendite.“ Von einer historischen Chance sprach mit Blick auf das Zinsumfeld Dr. Axel Weber, Präsident des Verwaltungsrates bei der UBS, während der öffentlichen Podiumsdiskussion im Nachgang der Berliner Divestment-Konferenz: „Nachhaltigkeit geht nicht zulasten von Erträgen. Im Gegenteil! In der Schweiz ist am Freitag nach dem Brexit die komplette Zinsstrukturkurve negativ geworden. Die am längsten laufende Anleihe hat das Verfallsdatum 2064, und auch diese wurde negativ.“ Sein Blick richtete sich insbesondere auf Infrastruktur: „Es werden 1.000 Milliarden Dollar gebraucht, um die Wende bei Nachhaltigkeit zu schaffen. Das ist mit öffentlichen Mitteln allein nicht zu schaffen. Die Finanzbranche muss sich hier einbringen und nachhaltige Projekte finanzieren.“ Nach Ansicht von Weber braucht es dafür jedoch globale Regeln und einen globalen Markt, ähnlich wie bei Corporate Bonds: „Diese versuchen wir derzeit, für Infrastruktur aufzustellen.“ Für die UBS ist die Hinwendung zu Infrastrukturinvestments gewissermaßen ein Zurück zu den eigenen Wurzeln. Vor über 150 Jahren wurde die Schweizer Bank gegründet, um Infrastruktur zu finanzieren. Damals ging es um den Bau des Eisenbahnnetzes, heute geht es um den Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft. „Wir müssen jetzt handeln“, so Webers Plädoyer – gerichtet an das Auditorium an der Humboldt-Universität an jenem heißen Donnerstag im Juli.
Von Kerstin Bendix
portfolio institutionell, Ausgabe 08/2016
Autoren: Kerstin Bendix In Verbindung stehende Artikel:
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