Die große Rotation fällt eher klein aus
Kommt sie denn nun oder kommt sie nicht? Oder ist sie schon da? Die Great Rotation bringt die Anlegergemeinde zum Rotieren. Für die einen ist das Umschichten von Anleihen in Aktien das Warten auf Godot, für die anderen Realität.
Googelt man nach „Great Rotation“ findet sich Ende Januar ein fast ausnahmslos mit jedem Treffer wechselndes Meinungsbild, obwohl die Artikel alle im gleichen Zeitraum (November 2013 bis Januar 2014) veröffentlicht wurden. Zeit also für einen Blick auf die Fakten.
Wie zunächst eine von dem Asset Manager Flossbach von Storch präsentierte Analyse von US-Aktien- und Rentenfonds zeigt, waren von 2008 bis 2012 die Nettozuflüsse von Rentenfonds positiv und die von Aktienfonds negativ. Im vergangenen Jahr war es jedoch zum ersten Mal seit sechs Jahren andersherum. „Die Rotation von Anleihen in Aktien, die 2013 begonnen hat, dürfte sich 2014 fortsetzen“, schreibt Flossbach von Storch. Flossbach von Storch verweist kommentierend auf den angesichts des niedrigen Zinsniveaus zunehmenden Handlungszwang von Pensionsfonds und Privatanlegern. Deren Skepsis gegenüber dem Aktienmarkt könnte in Verzweiflung münden.
Einblick in die Portfolios großer Kapitalsammelstellen verschafft die OECD-Studie „Pension Markets in Focus“ aus dem vergangenen Jahr. Gemäß deren Daten sind für Pensionsfonds weltweit Anleihen und Aktien immer noch die beiden wichtigsten Anlageklassen. In den USA sind Pensionsfonds knapp zur Hälfte in Dividendentiteln investiert. Auch australische und chilenische Pensionsfonds liegen über dem gewichteten Aktienquoten-Durchschnitt von 40 Prozent. In über der Hälfte der OECD-Länder investieren Pensionsfonds mehr als 50 Prozent ihrer Assets in Fixed Income. Beweggründe für diese Investitionen in Kuponträger können Garantien, hohe Renditen auf Zinsträger in heimischen Papieren oder regulatorische Vorschriften sein.
Interessant für deutsche Institutionen: Laut den Studienmachern gibt es in vier Staaten Restriktionen für die Allokation in Anleihen und in 14 Staaten für Aktieninvestments. Außerdem lässt sich in den OECD-Statistiken noch eine deutsche Besonderheit beobachten. Während in den anderen Staaten die Asset-Klasse „Loans“ eher unbedeutend ist, beläuft sie sich für deutsche Altersvorsorge-Kapitalsammelstellen – den Schuldverschreibungen sei Dank – auf knapp 20 Prozent.
Was die Daten in einer dynamischen Betrachtung zeigen: In den meisten OECD-Ländern tendierten die Pensionsfonds dazu, Fixed Income zu reduzieren und einen Teil der dadurch frei werdenden Gelder in Aktien zu investieren. Besonders stark war diese Rotation in Mexiko und Polen. Von den 19 (von 29 aufgeführten) OECD-Ländern, die ihre Zinsträger reduzierten, erhöhten 15 die Dividendentitel. Wenig überraschend war im Zeitraum 2011/2012 mit 15 Prozentpunkten der höchste Rückgang der Fixed-Income-Quote in Griechenland zu verzeichnen. In den anderen Peripherieländern waren in dieser Statistik dagegen keine größeren Änderungen festzustellen. In deutschen Pensionsfonds stiegen die Anleihenquoten dagegen um 2,7 Prozentpunkte an. Auch die Aktienquote hatte mit 0,4 Prozentpunkten einen Anstieg zu verzeichnen. Nur in acht Staaten legten die Aktienquoten den Rückwärtsgang ein.
Jeder rotiert individuell
Im Big Picture lässt sich also eine Great Rotation durchaus erkennen. Allerdings empfiehlt sich eine Einzelbetrachtung jedes einzelnen OECD-Staates und vermutlich auch jeder einzelnen Institution. So hat zum Beispiel in Deutschland das Versorgungswerk der Ärztekammer Hamburg seit 2008 seine Allokation in Aktien und Private Equity deutlich ausgebaut, während das Volumen an Rententiteln allenfalls stagnierte. Ein Gegenbeispiel gibt das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin, das laut Geschäftsbericht 2012 in den vergangenen Jahren in Aktien aufgrund der hohen Volatilität nur niedrige Quoten investiert hat. Die beiden Versorgungswerke zeigen in ihrer Allokation aber auch, warum die Great Rotation von Anleihen in Aktien bei den institutionellen Anlegern allgemein oft eher klein ausfällt: Beide haben nämlich ihre Immobilienquoten ausgebaut. Insbesondere bei deutschen Versicherungen kommt als Great-Rotation-Dämpfer hinzu, dass bei deutschen Anlegern die Rotation vor allem innerhalb des Anleihenportfolios von Staatsanleihen in Unternehmensanleihen stattfand. Dies ergab eine Analyse der von Universal-Investment administrierten Masterfonds der Assekuranz.
Der Effekt, dass die große Rotation eher klein ausfällt, weil die Investoren nicht nur zwei Asset-Klassen zur Verfügung haben, ergibt sich auch aus dem European Asset Allocation Survey 2013 von Mercer, in den Daten von 1.200 Pensionsplänen aus 13 Staaten beziehungsweise über 750 Milliarden Euro eingingen. Laut dieser Erhebung setzt sich mit Blick auf die Volatilität von Dividendentiteln der Trend rückläufiger Aktienquoten fort. Teilweise hat auch die Performance von Aktien in den vergangenen beiden Jahren das Funding Level erhöht, so dass es sich diese Pensionsfonds erlauben konnten, ihre Aktienbestände abzubauen. Dafür nahm der Anteil alternativer Asset-Klassen zu. Mittlerweile ist die Hälfte der in dieser Studie Befragten in Alternatives allokiert. Die Studie nennt als Beispiele Hedgefondsstrategien und Real Assets, wie Infrastruktur, Timber oder Agrikultur. Diese Expansionsbestrebungen verfolgen insbesondere die größeren Kapitalanleger. Zudem verweist auch die Mercer-Studie auf die Rotation innerhalb des Anleihenportfolios, das um High Yields, Emerging Market Debt, Private Debt und freiere Bondmandate erweitert wurde. Der Rückgang der Aktienquoten soll sich gemäß den Erkenntnissen von Mercer auch künftig fortsetzen. Aufgebaut werden dafür Bestände in Inflation-linked Bonds und andere „Matching Assets“ sowie in Alternatives. Mercer erwartet zudem ein steigendes Interesse an Fixed Income jenseits der Standardsegmente. Dieser Studie zufolge wird es also nichts mit der Rotation von Anleihen in Aktien. Wahrscheinlicher ist eine weitere Rotation in Alternatives.
Heliozentrische Allokation
Mark J. Kamstra, Lisa A. Kramer, Maurice D. Levi und Russ Wermers, beschäftigt bei verschiedenen Universitäten in den USA, gebührt der Verdienst, die Great-Rotation-Diskussion nicht nur durch ein Big Picture analysiert, sondern um eine kalendarische Perspektive erweitert zu haben. In ihrer Studie „Seasonal Asset Allocation: Evidence from Mutual Fund Flows“ (Oktober 2013) präsentierten die Autoren das Forschungsergebnis, dass Privatinvestoren im Herbst, wenn die Tage kürzer werden, risikoaverser werden. Die Forscher sprechen hierbei von einer „Seasonal Form of Depression“. Umgekehrt ist zu beobachten, dass im Winter und Frühling, wenn die Tage länger werden, die Risikoaversion geringer ausgeprägt ist. Somit fallen die Nettozuflüsse in Aktienfonds im Herbst gering und im Frühjahr hoch aus. Umgekehrt verhält es sich mit Geldmarktfonds. Diese Erkenntnisse bestätigen sich dadurch, dass im relativ nördlich gelegenen Kanada diese Kalenderrotation besonders stark und im auf der Südhalbkugel gelegenen Australien dieser Wechsel um sechs Monate verschoben ist. Im Herbst ist also der Bär los, und im Frühjahr werden die Bullen munter.
Aus diesen Erkenntnissen lassen sich (mindestens) drei sinnvolle Überlegungen ableiten. Erstens: Die Anbieterseite ist gut beraten, Werbemaßnahmen für entsprechende Produkte mit der Sonneneinstrahlung abzustimmen. (Am Rande: Erkenntnisse für Vollmond-Fonds für Esoteriker liegen allerdings nicht vor.) Zweitens: Manager von Mischfonds können in Anlageausschusssitzungen ihr Anlageverhalten um eine weitere Argumentationskomponente bereichern. Drittens: Dass im institutionellen Lager in Deutschland gegen Jahresende besonders viele Aktienmuffel anzutreffen sind, liegt womöglich nicht nur an der Stichtagsbetrachtung der Rechnungslegung. Darum könnte man experimentell eine Probandengruppe auf die Südhalbkugel versetzen, um zu eruieren, ob die Sonneneinstrahlung oder die Rechnungslegung den stärkeren Effekt haben.
Womöglich haben deutsche Anleger aber auch ein ganz anderes Verständnis von „Great Rotation“: nämlich, dass ihre Ansprechpartner auf der Sell-Side im Jahreswechsel von einer Adresse zur anderen rotieren.
portfolio institutionell, Ausgabe 2/2014
Autoren: Patrick Eisele In Verbindung stehende Artikel:
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