Die ESG-Vermessung der Welt
China oder Russland, Ghana oder der Senegal? ESG-Scoring-Modelle geben Investoren Aufschluss über die Investierbarkeit. Von diesen Modellen profitieren auch deutsche Anleger.
Schweden, Norwegen, die Schweiz, Island und Luxemburg: So lautet die Top 5 des jährlichen ESG Country Report von Candriam. Turkmenistan, Iran, Libyen, Simbabwe und der Sudan bilden dagegen die Bottom 5. Auffällig ist an dem Report vor allem, dass die Nachhaltigkeitsexperten von Candriam, ehemals unter Dexia Asset Management firmierend, gleich 49 von 123 analysierten und bezüglich ihrer Nachhaltigkeit bewerteten Staaten als nicht-investierbar einstufen. Vom Investment-Bann erfasst wurde in den entwickelten Ländern aufgrund der Schuldenproblematik Griechenland.
In den 88 analysierten Entwicklungsländern fielen gleich 48 Staaten durchs Raster, darunter in diesem Jahr aus politischen Gründen auch die Türkei. Bei seiner Analyse stützt sich Candriam für die Ausschlüsse auf die Financial Action Task Force, FATF, die Staaten erfassen, die bezüglich Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung nicht über jeden Verdacht erhaben sind. Zusätzlich kommen Candriams eigene Analysen zu Highly-Oppressive Regimes zum Einsatz. Die nicht ausgesiebten Staaten werden dann bezüglich der vier gleichgewichteten Capital Domains „human, „social“, „natural“ und „economical“ mit einem Scoring-Verfahren bewertet.
Candriam attestiert Schweden und Norwegen, besonders gut mit Blick auf das Human, Social und Natural Capital abzuschneiden, etwas weniger gut dagegen beim Economical Capital. Traditionell versteht sich Schweden als Wohlfahrtsstaat und erhebt dementsprechend hohe Steuern. Dafür beschloss das schwedische Parlament, dass man bis 2045 klimaneutral sein und bis 2020 die niedrigste Arbeitslosenquote in der Europäischen Union haben möchte. Bei Norwegen fällt den Autoren ins Auge, dass trotz oder gerade wegen der hohen Abhängigkeit von der Ölindustrie bei den Investments seines staatlichen Ölfonds besonders stark ESG-Kriterien berücksichtigt werden.
Ein vertrautes Bild ist, dass die Skandinavier die Nachhaltigkeitslisten anführen und dahinter Deutschland und Österreich folgen. Deutschland erreichte Platz zehn, die USA Rang 38, gefolgt von Italien und Zypern. Das letztgenannte Trio bildet, von Griechenland und den einst zu Jugoslawien gehörenden Staaten abgesehen, das unrühmliche Tabellenende unter den entwickelten Ländern. Deutschland überzeugt die Studienmacher deutlich mehr im Social und Human Capital als im Natural und Economical Capital.
Ähnlich fällt die Bewertung der Vereinigten Staaten aus. Besonders schwach schneiden die USA in Punkto Energie und Klimawandel ab. Uneinheitlich fallen die Bewertungen der USA innerhalb des Social Capital aus: Überdurchschnittlich bezüglich Demokratie, Korruption und Governance, unterdurchschnittlich bezüglich militärischer Konflikte, Kriminalitätsrate und der Zahl der Gefängnisinsassen. Die Autoren der Studie erwarten nicht, dass es während der Präsidentschaft Donald Trumps signifikante Verbesserungen in der Nachhaltigkeit geben werde. Das wahrscheinlichste Szenario sei, dass es beim Status quo bleibe.
Unter den asiatischen Ländern können im Candriam-Rating nur Japan und Südkorea überzeugen. In Afrika sind Ghana, der Senegal, die Elfenbeinküste und Namibia positiv hervorzuheben. In Mittelund Südamerika überzeugen Costa Rica und Chile. Im Nahen Osten und Nordafrika sind es Israel, Marokko und Tunesien, die am besten abschneiden. Unter den Bric-Staaten lautet das Ranking Brasilien, Indien, China und Russland. Letztere beiden sind für Candriam nicht investierbar.
Unter den 88 Schwellenländern landet Russland nur auf einem beschämenden 59. Platz. Im Vergleich zum Vorjahr büßte Russland sieben Plätze ein, was Candriam damit begründet, dass Russlands Energiemix, vor allem aus Gas, Kohle und Atomkraft besteht und damit immer mehr hinter anderen Staaten zurückbleibt. Zudem leidet Russlands Economic Capital unter dem schwachen Ölpreis. Dieser belastete zusammen mit den verhängten ökonomischen Sanktionen auch das russische Bankensystem. Mehrere russische Banken erscheinen Candriam als schwach kapitalisiert. Für Russlands Zukunft zeigen sich die Analysten von Candriam nur wenig optimistisch. China konnte sein Gesamtergebnis verbessern, weist aber besonders große Mängel bezüglich Demokratie und Korruption auf. Lobend erwähnen die ESG-Experten die chinesischen – aber auch die indischen – Investments in Erneuerbare Energien. Bis 2020 plant China, 361 Milliarden Dollar in Renewables zu investieren.
Die Herausforderungen für Debt-Investoren, so Candriam summa summarum – bleiben damit herausfordernd. Insgesamt erwarte man in den entwickelten Märkten Stabilität, wobei die USA und Großbritannien aufgrund des Brexit im Scoring etwas zurückfallen könnten. Die Anstrengungen der EU, die Steuersysteme zu harmonisieren, könnte für die Schweiz und Irland eine Herausforderung darstellen. Im Rückwärtsgang sieht Candriam in Europa auch Polen. Eher verbessern dürften sich dagegen Frankreich, die baltischen Staaten, Tschechien und die Balkanländer.
Nutzer eines ESG-Scoring-Modell: die Allianz Leben
Auf Nachhaltigkeits-Scoring-Modelle stützt sich seit dem vergangenen Jahr auch die Allianz Leben. Wie bei Candriam haben auch bei diesem Scoring Nichtregierungsorganisationen mitgewirkt. „Wir wollen in zukunftsträchtige Assets investieren. Und wir wollen wissen, mit welchen Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen wir bei einzelnen Anlagen rechnen müssen“, teilte damals Chefanleger Andreas Lindner mit. Deshalb messe man mit dem Scoring, inwieweit sogenannte ESG-Kriterien in den Kapitalanlagen eingehalten werden. „Mit dem Scoring decken wir eine weitere Risikodimension bei unseren Investments ab und verbessern dadurch das Risiko-Rendite-Profil unserer Kapitalanlagen“, so Andreas Lindner weiter. Beim Scoring misst der Lebensversicherer nun systematisch die Kapitalanlagen von mehr als 8.000 Unternehmen und Staaten in Bezug auf ihre Nachhaltigkeit.
Im Zentrum stehe die nachhaltige Entwicklung dieser Anlagen. Chefanleger Lindner: „Die Emittenten der Anlagen werden anhand von 37 Kernthemen wie beispielsweise Treibhausgasemissionen, Energieeffizienz, Arbeitssicherheit, Datenschutz, Korruption und Geldwäsche bewertet: Dabei greifen wir auf die Daten des externen und weltweit führenden Rating-Spezialisten MSCI ESG Research zurück.“ Im Anschluss werde den Managern ein definierter ESG-Schwellenwert vorgegeben. Dieser muss jedoch nicht rigoros eingehalten werden. „Unter diesem Wert dürfen sie momentan Titel nur erwerben, wenn sie stichhaltige Gründe dafür haben. Überzeugen uns die Argumente der Anlagenmanager, können sie am Investment festhalten“, so Lindner. „Gleichzeitig ermuntern wir den Anlagenmanager, den Dialog mit dem Emittenten zu suchen, um gemeinsam nach Wegen zur Verbesserung des ESG-Wertes zu suchen.“ Bewertet werden im ESG-Scoring alle handelbaren Wertpapiere.
portfolio institutionell, Ausgabe 10/2017
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