Die bAV lebt
Die deutsche bAV zermürbt sich in Reformdebatten. Hierbei gilt: viele Experten, viele Meinungen. Ob Bayer, Samson oder Lufthansa – jeder geht seinen Weg in der Hoffnung darauf, am Ende nicht durch neue Regularien ins Hintertreffen zu geraten.
Im Herbst 2017 ist es soweit. Dann steht in Deutschland die Wahl zum 19. Bundestag an. Der derzeit regierenden großen Koalition bleiben also noch gut 1,5 Jahre, um ihre im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele für diese Legislaturperiode umzusetzen. Ein Punkt auf dieser Liste betrifft die betriebliche Altersversorgung – genauer gesagt deren Stärkung. „Wir sehen in jeder Säule des Rentensystems Handlungsbedarf. In der zweiten Säule müssen wir unbedingt die Attraktivität für kleine und mittlere Unternehmen erhöhen“, so Yasmin Fahimi. Die Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bekräftigte mit diesen Worten Mitte Februar auf dem MCC-Kongress „Zukunftsmarkt Altersvorsorge“ den Willen der Regierung zum Handeln. Es gebe ein „handfestes Vertrauensproblem“, das sie und ihre Chefin Andrea Nahles noch in diesem Jahr angehen wollen.
Welche Lösung dem Arbeitsministerium vorschwebt, ist seit langem bekannt. An den Überlegungen rund um den Entwurf eines neuen Paragrafen 17b Betriebsrentengesetz, der eine gemeinsame Versorgungseinrichtung der Tarifpartner erlauben würde, hat sich seit einem Jahr nichts geändert. Viel mehr als ein Diskussionsvorschlag ist aus dem Sozialpartnermodell bisher nicht geworden. Doch das könnte sich bald ändern. Im Bundesarbeitsministerium scheint man wild entschlossen, dieses Modell durchzusetzen. „Wir wollen auch den nicht-tarifgebundenen Unternehmen die Möglichkeit zu einer Haftungsgemeinschaft bieten“, so Fahimi. Das wäre ein niederschwelligerer Zugang, den es brauche, um die bAV auch bei kleinen und mittleren Unternehmen und Geringverdienern mit einem Monatseinkommen von unter 1.500 Euro voranzubringen. Gerade in diesem Bereich bestehe großer Nachholbedarf. „Bestehende Systeme, wie die Metallrente oder der Chemie-Pensionsfonds, sollen nicht infrage gestellt werden“, fügte die Staatssekretärin hinzu. Das dürfte bei dem einen oder anderen Kongressteilnehmer für Aufatmen gesorgt haben, nicht aber bei Hans Melchiors. Der Vorstand des Pensionssicherungsvereins (PSV) hält das Ziel des Bundesarbeitsministeriums für legitim, sieht in dem Sozialpartnermodell aber „einige Tücken“.
PSV: best practise in Gefahr
Stein seines Anstoßes ist die Insolvenzsicherung in Höhe der Mindestleistung, die der PSV übernehmen soll. Die Beitragsbemessungsgrundlage wurde dabei jedoch offengelassen. „Das hat uns überrascht. Man hat uns als Beteiligte zu Betroffenen gemacht. Es wäre schöner gewesen, die Betroffenen zu Beteiligten zu machen“, erklärte Melchiors in seinem Vortrag auf dem Altersvorsorgekongress. „Man kann nicht einfach die bestehende Insolvenzsicherung auf die Insolvenzsicherung einer Versorgungseinrichtung übertragen. Das ist ein Paradigmenwechsel“, fügte er hinzu. Der PSV sei eine zuverlässige und rechtssichere Einrichtung, die seit über 40 Jahren funktioniert. „Wenn man jetzt eingreift, bedeutet das unter Umständen, dass wir unsere Rechtssicherheit verlieren“, mahnte Melchiors. Das könnte das System ins Wanken bringen. Der PSV arbeite mit Beitragsbescheiden, die hin und wieder angegriffen werden, zum Teil bis zum Bundesgerichtshof. Von Erfolg gekrönt waren derartige Bemühungen bisher nicht. Sollte es eines Tages doch einmal eine andere, richterliche Entscheidung geben, würde das im Ergebnis dazu führen, dass das Sicherungssystem des PSV nicht mehr funktioniert. Ein System, das laut EU-Kommission „best practise“ ist, wie Melchiors stolz betonte: „Wir sichern in der Regel 100 Prozent der vom Arbeitgeber gegebenen Leistungsversprechen ab, sofern sie gesetzlich unverfallbar sind.“ In seiner 41-jährigen Geschichte hat der PSV, der seit diesem Jahr wie ein kleiner Versicherer behandelt wird, als Teil des gesetzlichen Sicherungssystems jedoch nicht unter Solvency II fällt, rund 20 Milliarden Euro zur Sicherung insolventer Unternehmen umgesetzt. Die Beitragsbemessungsgrundlage beläuft sich derzeit auf 327 Milliarden Euro, die Mitgliederzahl auf gut 94.000.
Ob die Staatsekretärin des Bundesarbeitsministeriums die mahnenden Worte des PSV-Vorstands gehört hat oder den Kongress bereits verlassen hatte, ist nicht bekannt. Zumindest im Bundesfinanzministerium (BMF) scheinen sie angekommen zu sein. In seiner Rede am zweiten Kongresstag versicherte Dr. Michael Meister, parlamentarischer Staatssekretär im BMF, zwar eine gemeinsame Lösung und einheitliche Position mit dem Arbeitsministerium finden zu wollen. In Bezug auf das Sozialpartnermodell merkte er aber an: „Wir haben die kritischen Reaktionen zur Kenntnis genommen. Wir werden am Ende weder der Arbeitgeber- noch der Arbeitnehmerseite etwas überstülpen.“
Deutschlandrente: auf dem Holzweg
Neben dem Sozialpartnermodell des BMAS geistert seit einigen Wochen ein weiterer Vorschlag zur Stärkung der kapitalgedeckten Altersvorsorge durchs Land: die Deutschlandrente. Unter dem Dach der gesetzlichen Rentenversicherung soll ein Fonds gebildet werden, in den alle einzahlen – nicht nur versicherungspflichtige Arbeitnehmer. Dieses staatliche Standardprodukt, das die grün-schwarze Landesregierung in Hessen erdacht hat, soll einfach, kostengünstig und ohne Gewinnerzielung auf Selbstkostenbasis funktionieren. Um möglichst viele Beitragszahler für die Deutschlandrente zu gewinnen, schwebt den Initiatoren ein Opting-out vor. Vor staatlichen Zugriffen soll der Fonds ausdrücklich geschützt werden.
Der Vorschlag klingt oberflächlich betrachtet gut, hat aber ebenfalls seine Tücken. Mit großer Skepsis hat unter anderem die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) den hessischen Vorstoß aufgenommen. Sie kann keine Vorteile erkennen, die nicht auch private Versorgungswerke erfüllen könnten. „In keinem Fall darf es dazu kommen, dass bestehende private oder betriebliche Einrichtungen gegenüber dem Staatsfonds benachteiligt werden“, mahnt die BDA in ihrer kürzlich veröffentlichten Stellungnahme. Darin führt sie ihre wesentlichen Kritikpunkte aus und zeigt Schwachstellen des Konzeptes auf. Offen seien beispielsweise wichtige Merkmale der Ausgestaltung des vorgeschlagenen Staatsfonds und seiner Einordnung ins deutsche Alterssicherungssystem. Fragwürdig erscheint der BDA auch die geplante Opting-out-Regelung. Diese würde zu einer Wettbewerbsverzerrung zulasten anderer Altersvorsorgeeinrichtungen führen, da sich diese aktiv durch Vertriebsaktivitäten um Abschlüsse bemühen müssen, was dem Staatsfonds erspart bliebe. Ungelöst sei zudem das Problem eines staatlichen Zugriffs. Dies lasse sich niemals ganz ausschließen. „Die bloße Aussage im Konzept, dass die Deutschlandrente geschützt vor politischen Zugriff sei, hilft da wenig“, so die Überzeugung der Vereinigung.
Verwundert reibt sich die BDA außerdem die Augen über die Annahme, dass „ein staatlich organisierter Fonds die Herausforderungen der Kapitalmärkte, insbesondere im Hinblick auf die anhaltende Niedrigzinsphase und die Schwankungsanfälligkeit der Märkte, besser bewältigen sollte als die bestehenden Träger der Altersvorsorge“. Das gelänge nur, wenn dem Staatsfonds wettbewerbsverzerrende Vorteile zugestanden würden. Die besonderen Renditechancen, mit denen die Deutschlandrente beworben wird, zieht die BDA ebenfalls in Zweifel. Die fünfprozentige Rendite, die von den hessischen Initiatoren des Konzepts angepeilt wird, soll mittels Investments in Aktien erzielt werden. Wie das funktioniert, wenn unter der Maßgabe einer Riester-Förderung zugleich eine Beitragsgarantie sicherzustellen sei, ist der BDA ein Rätsel.
In die gleiche Kerbe schlägt auch die Kritik von Heribert Karch, Geschäftsführer der Metallrente und Vorstandsvorsitzender der Aba. In einem treffenden Kommentar weist er darauf hin: „Ein mit null startendes, brandneues Sicherungsvermögen hat im aktuellen Zinsumfeld so ungefähr die schlechtesten Wettbewerbsbedingungen, die man sich vorstellen kann. Daran ändern auch die von den Autoren für eine optimistische Sicht bemühten historischen Daten zu den Aktienmärkten nichts. Wir befinden uns nicht auf der grünen Wiese, sondern in einer entwickelten Landschaft. Kein derartiges vom Staat verwaltetes Vermögen könnte mit 100 Prozent Aktien gestartet werden.“ Der norwegische Staatsfonds, dessen Renditen und Kosten in dem Konzept als Referenz herangezogen werden, sei völlig unpassend. Denn dieser arbeite unter den weltweit günstigsten Rahmenbedingungen und mit den geringsten überhaupt denkbaren Kosten. Auch den schwedischen Pensionsfonds AP7 mit seiner sehr hohen Aktienquote und die britische Pensionseinrichtung Nest, deren Kosten jeweils bei einem Mehrfachen der Norweger liegen, hält Karch für ungeeignete Vorbilder: „Norwegen kann man nicht kopieren, und Schweden sollte man nicht kopieren. Und Nest schon gar nicht.“ Die Einführung des britischen Default-Systems sei so etwas wie eine Notbremse in einem Rentensystem gewesen, das bereits erhebliche Altersarmut zu verzeichnen hatte. „Wollen wir so lange warten?“
Auch wenn Karch diese Frage nicht explizit beantwortet, so ist sie dennoch klar: Nein! Genau in diesem Punkt kann der Metallrente-Geschäftsführer dem hessischen Konzept zumindest etwas Gutes abgewinnen. In diesem finde sich eine „mutige und richtige Diagnose“ über den Zustand des Vorsorgesystems, die „mit zweckoptimistischen, selbst verordneten Illusionen angeblich so erfolgreich verbreiteter Eigenvorsorge“ aufräumt. „Aber der Vorschlag wäre der mit Abstand komplizierteste für den Gesetzgeber und keine Hilfe für den Arbeitgeber – ebenso wenig für den Arbeitnehmer“, so Karch.
Diese Sichtweise scheint man in der Regierungskoalition zu teilen. Während Yasmin Fahimi die hessische Idee einer Deutschlandrente als „trivial“ und einen „massiven Eingriff ins Arbeitsrecht“ bezeichnete, ging die Kritik von Dr. Michael Meister in die ordnungspolitische Richtung: „Ich mache mir Sorgen darüber, dass es keine Vielzahl an Anbietern von Produkten geben soll, sondern alles in einer Hand liegt. Ich verstehe die Kostenargumente, aber als Anhänger einer Marktwirtschaft bin ich für Wettbewerb.“ Wie seine Lösung zur Stärkung der bAV aussieht, die durch einen Gesetzentwurf noch in dieser Wahlperiode erfolgen soll, ließ der BMF-Staatssekretär in seiner Rede auf dem Altersvorsorgekongress jedoch vermissen. Er verwies lediglich auf Gutachten, die man in Auftrag gegeben habe und von denen man sich belastbare Aussagen erhofft.
Praktiker geben Rat
Einige Anregungen aus der Praxis hätte sich Meister auf dem Altersvorsorgekongress holen können – vielleicht hat er das ja auch getan. So hat Heribert Karch zwar nicht in seinem Kommentar zur Deutschlandrente, aber in seinem Vortrag auf dem Kongress verschiedene Ansatzpunkte zur Verbesserung der Rahmenbedingungen genannt. Zum einen müsse es weniger Vehikel in der Garage der Arbeitgeber und keine Restriktionen bei der Wahl der Durchführungswege geben. Zum anderen sieht er Nachbesserungsbedarf bei der Grundsicherung, für die es eine anrechnungsfreie Bottom-Line geben müsse, und beim Erwerbslebensbezug. Hier gebe es durch die Jahresscheibenförderung eine echte Gerechtigkeitslücke. „Ohne die Verbesserung der Rahmenbedingungen, da ist sich die Community einig, wird jedes Modell ins Off laufen“, so Karch.
Weitere Aspekte, die die Politik nicht aus dem Auge verlieren sollte, nannte Dr. Claudia Picker, Head of Compensation & Benefits bei der Bayer AG. Neben dem Thema der doppelten Verbeitragung brachte sie während einer Diskussionsrunde die Anpassung des Dotierungsrahmens ins Spiel: „Das ist kein Luxusproblem. Wir haben in unserem Altsystem Schwierigkeiten mit dem Dotierungsrahmen. Wenn man diesen erhöhen könnte, wäre das ein wichtiger Schritt.“ Am wichtigsten ist Picker jedoch vor allem eines: Stabilität und Planbarkeit. Beides sieht die Bayer-Pensionsexpertin derzeit nicht gegeben: „Wenn wir über Anpassungen in der betrieblichen Altersversorgung nachdenken, ist es im Moment schwierig, den Entscheidungsträgern etwas vorzuschlagen. Man steht immer vor der Frage, zu welchem Zeitpunkt man Veränderungen vornehmen kann. Macht man es jetzt oder wartet man, weil vielleicht noch ein Sozialpartnermodell kommt? Es gibt keine echte Stabilität.“ Nichtsdestotrotz ist und bleibt die betriebliche Altersversorgung für die Bayer AG ein wichtiges Personalinstrument. „Als Arbeitgeber haben wir das Bewusstsein, eine werthaltige bAV anbieten zu wollen – als Abgrenzungsmerkmal im war for talents“, so Picker.
Tradition verpflichtet
Die betriebliche Altersversorgung hat bei Bayer eine lange Tradition. Seit es Aspirin gibt, gibt es eine Pensionskasse. Mit dem System von 1897 lässt sich die heutige bAV von Bayer aber kaum noch vergleichen, wenngleich die Pensionskasse neben der Direktzusage nach wie vor einer der Kerndurchführungswege des Leverkusener Konzerns ist. In einer globalen Pensionsrichtlinie sind die Grundsätze festgehalten, die Picker in ihrem Vortrag auf dem Altersvorsorgekongress kurz zusammenfasste: „Wir möchten in erster Linie Defined Contribution und eine Abkopplung von den gesetzlichen Systemen. Darüber hinaus wollen wir wettbewerbsfähige Systeme und – wenn möglich – eine Eigenbeteiligung der Mitarbeiter, weil wir glauben, dass dies die Wertschätzung für die bAV erhöht.“ Um an diesen Punkt zu kommen, hat Bayer schon vor mehreren Jahrzehnten mit Anpassungen in der bAV begonnen. Picker nennt es eine Evolution. So stellte der Konzern bereits in den 80er Jahren auf Beitragsorientierung um. In den 90er Jahren wurde dann die Entgeltumwandlung für alle Mitarbeitergruppen geöffnet. Deren Konditionen sind an die des jeweils geöffneten Versorgungssystems geknüpft. „Damals lag der Garantiezins noch bei sieben Prozent. Das hat sich im Laufe der Zeit aber verändert“, erläuterte die bAV-Expertin. Im Jahr 2005 wurde die Bayer-Pensionskasse geschlossen und die Rheinische Pensionskasse ins Leben gerufen, die mit einem Überschuss und Garantiezins arbeitet. Anfänglich waren es 2,75 Prozent, inzwischen liege der Zins bei 1,75 Prozent. „Wir haben das System so gestrickt, dass wir auch die Direktzusagen, die daran hängen, mit der gleichen Logik fahren“, führte Picker aus. Verändert habe sich im Laufe der Zeit auch die Laufzeit, die zunächst auf drei Jahre begrenzt war. Sie wurde später auf ein Jahr umgestellt. Das bedeute zwar, dass die Mitarbeiter ständig auf ihre bAV angesprochen werden müssen – was dem Gedanken des Opting-out widerspreche –, habe aber insbesondere im Niedrigzinsumfeld einen entscheidenden Vorteil. „Man hat überschaubare Abschnitte und Laufzeiten. Die Tranchen sind natürlich eingeloggt, aber für die Folgejahre bin ich aus einer ähnlich hohen Verpflichtung raus. Ich bin dadurch sehr flexibel“, so Picker. Dadurch biete sich die Gelegenheit, die Angebote regelmäßig auf den Prüfstand zu stellen.
Überprüft werde derzeit unter anderem der geltende Garantiezins. Picker ist nicht sicher, ob es die 1,75 Prozent auch noch im nächsten Jahr geben wird. Die Diskussion sei aber noch nicht abgeschlossen. Sollte es zu einer Absenkung des Garantiezinses kommen, werde Bayer versuchen, diese in einen Rahmen zu betten, der die bAV auch weiterhin attraktiv hält. So gibt es Überlegungen, die Absenkung durch zusätzliche Beiträge des Arbeitgebers abzupuffern. „Wenn wir das tun, dann aber nur befristet“, merkte die Bayer-Pensionsexpertin an. Sie weiß: Ein attraktives Angebot mit einer gewissen Leistungshöhe anzubieten, ist im derzeitigen Niedrigzinsumfeld schwierig geworden. Sie weiß aber auch: „Deutsche Arbeitnehmer sind Fans von Garantien. Ganz ohne Garantien und eine gewisse Sicherheit kommt man nicht aus.“
Während die Umstellung der bAV bei Bayer evolutionär erfolgte, geschah die Neuordnung der betrieblichen Altersversorgung bei der Samson AG eher ad hoc. 2014 wurden die Betriebsrenten des Frankfurter Unternehmens mit Hilfe von Willis Towers Watson auf neue Beine gestellt. Und das war dringend nötig, wie Matthias Ganz, Leiter der Zentralabteilung Personal- und Sozialwesen bei Samson, in seinem Vortrag auf dem Altersvorsorgekongress durchblicken ließ. Das 1907 gegründete Unternehmen kann ebenfalls auf eine recht lange Tradition in Sachen bAV zurückblicken. Bereits 1937 wurde eine entsprechende Versorgung eingeführt. Nachdem in den vergangenen Jahren die Belegschaft deutlich gewachsen war – von 1.500 auf 1.800 Mitarbeiter –, musste diese jedoch neu gedacht werden. In der alten Form wurde mit Rückstellungen gearbeitet, in denen es eine definierte Leistung mit Basis- und Steigerungsbeitrag gab. „Das hat uns sehr belastet. Wir haben praktisch Versicherung gespielt. Die Versorgungsversprechen haben wir im Hintergrund finanziert und über die Unterstützungskasse ausgezahlt“, so Ganz. „Bei der alten Form des reinen Versorgungsversprechens haben wir nur zwei Jahresrenten im Voraus finanzieren können. Wir haben aus der Kasse gelebt, wenn jemand in Rente ging. Das wollten wir beenden. Zu Rentenbeginn soll die Rente voll bezahlt sein“, fügte er hinzu.
Damit die Mitarbeiter der Samson AG von der Umstellung möglichst wenig spüren, entschied sich das Frankfurter Unternehmen, die neue, beitragsorientierte Rentenleistung weiterhin unter dem Dach der U-Kasse zu belassen – allerdings rückgedeckt bei der Allianz. „Wir kaufen die alten Versorgungsversprechen nicht ab, es ist ein fließender Übergang“, führte Ganz aus. 250 Mitarbeiter seien bereits in das neue System aufgenommen worden. Von der Regierung wünscht sich der Pensionsexperte der Samson AG, dass die angedachten Pläne zur Stärkung der bAV das neugeordnete System seines Unternehmens nicht untergraben. „Sollte es zu einem Sozialpartnermodell kommen, hoffen wir auf eine Öffnungsklausel, damit unser vorhandenes System nicht durch ein neues infrage gestellt wird. Wir wollen bei unseren Mitarbeitern nicht in eine Rechtfertigungsecke kommen“, so Ganz. Dieser Wunsch ist allzu verständlich. Insbesondere wenn man bedenkt, dass das Verständnis für die betriebliche Notwendigkeit einer Umstellung der baV innerhalb des Unternehmens groß war. Wie Ganz berichtete, hat sowohl der Betriebsrat als auch die Gewerkschaft diesen Schritt mitgetragen.
Die Qualen der Lufthansa
Von so viel Verständnis kann Thorsten Schecke nur träumen. Der Leiter für Versorgung und soziale Sicherung bei der Deutschen Lufthansa steckt seit gut zwei Jahren in einem Tarifkonflikt mit „sehr quälenden Diskussion, die oft nicht den Kern der Sache treffen“. Ausgangspunkt des Konflikts war das Projekt „Zukunftsfähigkeit der Versorgung“, das 2011/12 ins Leben gerufen wurde, nachdem im Vorstand und Aufsichtsrat die Erkenntnis reifte, dass das Niedrigzinsumfeld und die Pensionsverpflichtungen zu einem Problem werden könnten. Daraufhin wurden alle vier arbeitgeberfinanzierten Versorgungssysteme der Lufthansa überprüft, auch die sogenannte LH-Betriebsrente, in die alle Mitarbeiter eingebunden sind. Dabei handelt es sich um einen klassischen Defined-Benefit-Plan in Form einer Bausteinrente, die sich beim genaueren Hinsehen als teure Angelegenheit entpuppte. Wie Schecke in seinem Vortrag auf dem Altersvorsorgekongress verriet, zeigte eine damals durchgeführte Kostenanalyse zwei Dinge: „Absolut gesehen haben wir viel höhere Kostenprämien als gedacht. Und auch relativ gesehen liegen wir im Median deutlich über dem Dax.“
Die Ursache für die hohe Kostenlast sieht er in der Geschichte des Unternehmens begründet. Als die öffentliche Hand 1994 einen Großteil ihrer Anteile an der Deutschen Lufthansa abstieß, kam eine Mitgliedschaft bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) nicht mehr in Betracht. In der Folge wurden Prognosen über künftige Zins- und Renditeentwicklungen angestellt und eine eigene Rentenwerttabelle entwickelt, die 2001 nochmals bestätigt wurde. „Dieser Tabelle liegt ein virtueller Beitrag von etwa vier Prozent und eine Verzinsung von sieben Prozent zugrunde“, so Schecke. Als man 2011/12 erneut die kalkulatorischen Kostenprämien ermittelte, sei jedoch kein Diskontierungssatz von sieben Prozent zugrunde gelegt worden. „Es wurde schnell klar, dass das Ergebnis der Kostenprämien als Ausdruck eines virtuellen Beitrags weit von den ursprünglich intendierten vier Prozent entfernt lag“, erinnerte sich Schecke. Bei der Lufthansa keimte die Erkenntnis, dass man in Zukunft keine Prognosen langfristiger Art über Zinsentwicklungen abgeben kann.
Eine weitere, bittere Erkenntnis brachte ein Blick auf die bilanzielle Entwicklung der leistungsorientieren Verpflichtungen in den vergangenen Jahren, die sich von 2010 bis ins erste Quartal 2015 von elf auf 22 Milliarden Euro verdoppelten. Mit dem Anstieg des Rechnungszinses seit Mai vergangenen Jahres dürfte sich die Situation zuletzt zwar wieder etwas entspannt haben. Dennoch: Die bilanziellen Risiken aus den Pensionsverpflichtungen und die fehlende Planbarkeit der Versorgungskosten in der GuV waren und sind der Führungsriege bei der Lufthansa ein Dorn im Auge. Es sollte Entlastung geschaffen werden. Die naheliegende Lösung: eine Umstellung von Leistungs- auf Beitragsorientierung. „Wir wollten auf Basis des versorgungsfähigen Gehalts einen marktgerechten oder marktangenäherten Beitrag in die bAV leisten, der dann in eine lebenszyklusorientierte Anlagestrategie eingebracht wird – mit dem Ziel, einen möglichst optimalen Mix zwischen Chance und Risiko zu erreichen und im Versorgungsfall attraktive Auszahlungsoptionen zu gewähren“, erläuterte Schecke. Insbesondere die Rentenauszahlung sollte attraktiv gestaltet werden. „Ab Eintritt wollten wir wieder einen Festzins – den Bilmog-Zins – gewähren“, so Schecke.
Kein Zocken im Kasino des Kapitalmarkts
Mit diesem Konzept zur Schaffung eines einheitlichen Versorgungssystems trat die Lufthansa an die drei Gewerkschaften – Verdi, UFO und Vereinigung Cockpit – heran, in denen ihre Mitarbeiter organisiert sind. Die Verhandlungen sollten sich als zäher und langwieriger Prozess entpuppen, den auch die Fluggäste immer wieder zu spüren bekamen. Nach zwei Jahren Verhandlungen kann die Lufthansa zumindest eine Einigung mit Verdi vorweisen, obwohl es zu Beginn der Gespräch nicht danach aussah. „Verdi sah in der Umstellung auf DC zunächst keine Chance für Mitarbeiter.“ Schecke erinnert sich an einen markigen Satz von Verdi, der den schwierigen Start der Verhandlungen eindrucksvoll spiegelt: „Die Renten sollen nicht durch den Arbeitgeber im Kasino des Kapitalmarkts verzockt werden.“ Trotzdem wurde man sich einig. Am Ende der Verhandlungen standen folgende Eckpunkte: Die Mitarbeiter im Bestand kommen zunächst in ein neu geschaffenes Defined-Benefit-System mit einer Zinsgarantie von 3,5 Prozent. Unter der Voraussetzung eines Eigenbeitrags von einem Prozent sei für sie das heutige Versorgungsniveau zu erreichen. „Die Eigenbeiträge sind nicht Opting-out, sondern obligatorisch. Sie fließen in ein DC-System“, erläutert Schecke. Zugleich haben die Mitarbeiter das Wahlrecht, in ein beitragsorientiertes System mit einem Beitrag von 5,2 Prozent zu wechseln. Wie viele dieses Angebot wahrnehmen, wird die Zukunft zeigen. Nun gilt es für die Lufthansa erst einmal, auch mit den anderen beiden Gewerkschaften eine Einigung zu erzielen. Schenke zeigte sich auf dem Altersvorsorgekongress durchaus optimistisch, dass dies alsbald gelingt: „Wir sind der Meinung, dass in einem Niedrigzinsumfeld die Umstellung von einem DB- in ein DC-System große Chancen und das Potenzial gemeinsamer Mehrwertlösungen bietet.“
Wie die Zukunft der betrieblichen Altersversorgung in Deutschland insgesamt aussieht, ist derzeit ungewiss. Viele Ideen geistern durchs Land, von denen keine in ihrer jetzigen Konzeption als heiliger Gral taugt. Es bleibt abzuwarten, ob sich die beiden Ministerien – Finanzen und Arbeit – einigen und in dieser Wahlperiode tatsächlich einen gemeinsamen Gesetzentwurf zur bAV-Stärkung fertigbringen. Der Wille ist zumindest vorhanden. „Der Reformprozess braucht dringend einen entscheidenden Schub, denn die Rahmenbedingungen stimmen nicht“, appellierte auch Heribert Karch nochmals eindringlich auf dem Altersvorsorgekongress. Trotz solch mahnender Worte bleibt der Metallrente-Geschäftsführer optimistisch für die deutsche bAV, und das aus gutem Grund: „Die bAV hat zwei Weltkriege, eine Hyperinflation und zwei gigantische Wirtschaftskrisen erlebt, und sie lebt immer noch. Wie? Das gestalten wir jetzt mit.“
Von Kerstin Bendix
portfolio institutionell, Ausgabe 03/2016
Autoren: Kerstin Bendix In Verbindung stehende Artikel:
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