Die bAV braucht neue Ansätze
So geht es nicht weiter – davon ist Dr. Richard Herrmann, Vorstandsvorsitzender der Heubeck AG, überzeugt. Die bAV braucht unkonventionelle Maßnahmen. Und vielleicht eilt auch der Gesetzgeber zu Hilfe.
Die anhaltende Niedrigzinsphase belastet alle Systeme der betrieblichen Altersversorgung. Um den Druck in dieser außerordentlichen Lage abzumildern, fordert Dr. Richard Herrmann, Vorstandsvorsitzender der Heubeck AG, unkonventionelle Maßnahmen. „Die Arbeitgeber brauchen eine Atempause – mit dem geplanten Aufwand können sie die Leistungsversprechen aktuell nicht erfüllen“, sagte er auf dem 26. Heubeck-Kolloquium in Köln vergangene Woche. Ohne weitere Maßnahmen würde die Lücke zwischen dem erforderlichen Pensionsvermögen und dem vorhandenen Planvermögen weiter wachsen. Hierbei gelte es zumindest temporär eine Entlastung zu schaffen und auch an neue Ansätze zu denken.
Was ein neuer Ansatz sein könnte, ließ Herrmann die Teilnehmer des Kolloquiums ebenfalls wissen: „Vorübergehend könnte man die Leistungen vom aktuell vorhandenen Vermögen abhängig machen. Sobald sich die Lage entspannt, könnten dann die Leistungen in der Zukunft auch wieder steigen. Damit bliebe die Finanzierbarkeit gewahrt und das Vertrauen in die betriebliche Altersversorgung wäre gesichert.“
Handlungsbedarf sieht der Heubeck-Vorstandsvorsitzende in allen Systemen der betrieblichen Altersversorgung. Zunächst machte er dies am Beispiel der Direktversicherung deutlich. Die betriebliche Variante der Lebensversicherung sei an einem Punkt angelangt, an dem die älteren, höher verzinsten Verträge im Bestand praktisch nicht mehr bedient werden können. Versicherer lösen zunehmend Rücklagen zugunsten der gesetzlich geforderten Zinszusatzreserve auf. Wohl ab 2016 müsse die Zusatzreserve auch für die Tarifgeneration mit einem Garantiezins von 2,25 Prozent gebildet werden. „Dies wird zu einer Umverteilung zwischen den Tarifgenerationen zulasten der Verträge mit niedrigem Garantiezins führen. Unterm Strich ziehen die Versicherten den Kürzeren“, erklärte Herrmann. Und weiter: „Die Unternehmen, die einstmals eine Betriebsrente eingeführt hatten, sind mit der Absicht angetreten, ihren Mitarbeitern etwas Gutes zu tun. Jetzt müssen sie feststellen, dass die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen.“
Dies gilt auch für die Bildung von HGB-Pensionsrückstellungen. Hier rechnet die Heubeck AG damit, dass der maßgebliche Rechnungszins von heute rund vier Prozent bis 2019 unter 2,5 Prozent sinken wird. Das stärkste Absinken wird für 2015 und 2016 erwartet. Auf die Unternehmen komme in diesen beiden Jahren erheblicher Mehraufwand für die Pensionsrückstellungen zu.
Existenz bedrohend
Dass der Zinsrückgang für HGB-Bilanzierer existenzbedrohend sein kann, verdeutlichte Towers Watson in einem bereits im Juli veröffentlichten Beitrag. So gebe es drei technische Details, die die sinkenden Rechnungszinsen von einer erheblichen Belastung zu einer Existenzbedrohung in der HGB-Bilanz machen. Das erste Detail: Unternehmen versuchen, ihre Unternehmensbilanz gegen Zinsschwankungen zu hedgen. Sie bilden laut Towers Watson separierte Vermögensmassen, über die sie die Pensionszahlungen finanzieren, und sie strukturieren diese Vermögensmassen so, dass deren Wertentwicklung aus Zinsschwankungen resultierende Veränderungen der Pensionsrückstellungen kompensiert. Ein solcher Hedge sei für die IFRS-Rückstellung möglich, da sich diese nach Stichtagszinsen bemisst. Für die siebenjährige Durchschnittsbildung gibt es keinen Hedge. HGB-Bilanzierer können daher keine entsprechende Risikovorsorge betreiben und stehen ungeschützt im Zinssturm, ist sich Towers Watson sicher.
Als zweites Detail führt das Beratungshaus das Problem eines sogenannten Double Dip an. Das heißt: Wenn die Zinsen wieder langsam anfangen zu steigen, sinkt der Durchschnittszinssatz vorerst weiter. Zugleich führen steigende Kapitalmarktzinsen zu sinkenden Marktwerten der Assets. Der Zinseffekt potenziert sich. Zu den Belastungen aus weiterhin steigenden Pensionsrückstellungen kommt der Abschreibungsbedarf für die Wertpapiere. Zu guter Letzt nennt Towers Watson ein drittes technisches Detail: Während in der IFRS-Bilanz die aus der Veränderung des Marktzinses resultierenden Wirkungen erfolgsneutral gegen das Eigenkapital gebucht werden, führt das HGB den traditionellen Weg der Verrechnung über die GuV. Damit trägt sie den Gewinn weiter und verzerrt beziehungsweise beschädigt dadurch nachhaltig die beiden Hauptzwecke der handelsrechtlichen Gewinnermittlung: die Informations- und Ausschüttungsbemessungsfunktion des Jahresabschlusses.
Angesichts solch existenzbedrohender Entwicklung ist es nur logisch, dass sich auch die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (Aba) diesem Thema angenommen hat. In einem Ende Mai veröffentlichten Positionspapier machte sie deutlich, dass sie für Unternehmen mit rückstellungsfinanzierten Direktzusagen bis Ende 2017 bilanzielle Zusatzbelastungen von jährlich 35 bis 45 Milliarden Euro erwartet. „Das ist weder akzeptabel noch erforderlich“, erklärte Stefan Oecking, Mitglied des Aba-Vorstandes. Während bei den Bewertungen der Pensionsverpflichtungen von rund 40.000 Unternehmen zum 31. Dezember 2014 noch ein Zinssatz von 4,5 Prozent angesetzt wurde, werde sich dieser bis Ende 2017 auf 2,7 Prozent vermindern. Die Folge wären hohe, steuerlich nicht wirksame Zuführungen zu den Pensionsrückstellungen. Die Aba forderte deshalb eine umgehende Anpassung des Bilanzrechts. Vorgeschlagen wurde beispielsweise eine Ausweitung der Zinsdurchschnittsbildung von sieben auf 15 Jahre.
Die Mühlen der Politik mahlen oftmals langsam, wenn sie denn überhaupt mahlen. Doch in diesem Fall scheint der Gesetzgeber die Dringlichkeit erkannt zu haben. In einem Beschluss vom 18. Juni hat der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, kurzfristig zu prüfen, ob die bei der Verabschiedung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes zugrundegelegten Annahmen im Hinblick auf die Dauer des Bezugszeitraums für den Diskontierungszinssatz gemäß Paragraf 253 Absatz 2 Satz 1 HGB angepasst werden müssen. „Wir rechnen damit, dass die Politik das Thema nach der Sommerpause aufgreifen und zügig vorantreiben wird. Im Gespräch ist derzeit eine Modifikation der Zinsermittlung dergestalt, dass anstelle des bisherigen Sieben-Jahres-Durchschnitts ein Zwölf-Jahres-Durchschnitt gebildet wird. Dies würde zu einer deutlichen Entlastung der Unternehmen führen“, heißt es auf der Internetseite von Mercer dazu.
Ein Unterschied von 50 Basispunkten
Welche Auswirkungen eine solche Änderung hätte, rechnet Mercer ebenfalls vor. So hätte der Rechnungszins zum 31. Dezember 2014 bei einer Durchschnittsbildung von zwölf Jahren 4,67 Prozent betragen, sprich, 14 Basispunkte mehr als der tatsächliche Zins. Ende 2015 sei unter der neuen Regelung mit einem Zins von 4,35 Prozent zu rechnen. Nach der bisherigen Regelung mit Sieben-Jahres-Durchschnittszinsbildung läge er bei 3,85 Prozent. Das ist ein Unterschied von immerhin 50 Basispunkten. „Bei Umsetzung einer gesetzlichen Änderung wäre also im Jahr 2015 nur mit einem Absinken um 18 Basispunkte zu rechnen“, erklärte Mercer. Auch in den Folgejahren wäre das Absinken des Rechnungszinssatzes deutlich langsamer als bei Beibehaltung der bisherigen Regelung. Doch das Beratungshaus warnte die Unternehmen, dass trotz einer Änderung der gesetzlichen Regelung jedes Jahr mit einem Zusatzaufwand von etwa fünf Prozent der jeweiligen Pensionsrückstellungen zu rechnen sei.
Mit etwas Skepsis betrachtet man bei Towers Watson die Verlängerung des Bezugszeitraums für den Diskontierungssatz. „Aus unserer Sicht stellt eine bloße Verlängerung des Durchschnittszeitraums keine systematische Lösung dar, denn wer weiß schon, wie lange die Niedrigzinsphase noch anhält; dennoch ist es ein erster Schritt in die richtige Richtung. Der Vorschlag wird daher arbeitgeberseitig sehr begrüßt“, erklärte das Beratungsunternehmen in einem im Juli veröffentlichten Beitrag mit dem Titel „Die verflixten sieben Jahre“.
portfolio institutionell newsflash 21.09.2015/Kerstin Bendix
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