Strategien
15. September 2017
„Deutschland hat in Sachen Sustainable Finance Nachholbedarf“
In den vergangenen Monaten hat sich die Zahl der Aktivitäten und Initiativen rund um das nachhaltige Investieren rasant erhöht, gleichzeitig lässt sich unter der Überschrift „Sustainable Finance“ eine Bedeutungserweiterung des Themas beobachten.
Nach Einschätzung von Axel Wilhelm, Leiter von Imug Rating, geht es heute „nicht mehr nur um die Wertsetzungen und Anlagepolitiken einschlägiger Investorengruppen, die sich aus unterschiedlichen Motiven ethisch-nachhaltig positionieren oder zukunftsfeste Portfolien entwickeln wollen. Vielmehr gilt eine nachhaltige Finanzwirtschaft nun allenthalben als Schlüssel zu einer notwendigen nachhaltigen Weiterentwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft.“ Beispielsweise hat die EU-Kommission Ende 2016 eine sogenannte „High-Level Expert Group on Sustainable Finance“ ins Leben gerufen, mit dem Ziel, eine umfassende EU-Strategie zur Integration des Themas Nachhaltigkeit in die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Europäischen Union zu entwickeln. Ende dieses Jahres werden die Experten ihre finalen Empfehlungen abgeben, die ab 2018 seitens der Kommission umgesetzt werden sollen.
Die wachsende Bedeutung eines passenden regulativen Rahmens spiegelt sich nach Angaben Wilhelms auch in den aktuellen Empfehlungen der PRI wider: In ihrer Mitte 2017 veröffentlichten „Roadmap für Deutschland“ wird insbesondere eine stärkere Führungsrolle von Politik und Regierung angemahnt. Den aktuellen Stand der Debatte in den politischen Parteien in Deutschland hat der Branchenverband Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) in seinen „FNG Wahlprüfsteinen 2017“ ermittelt und veröffentlicht.
Nachhaltigkeit beschleunigen
Die deutschen Finanzmarkt-Akteure wollen aber offensichtlich nicht auf die Führungsrolle der Politik vertrauen, meint Wilhelm. So wurde im Mai dieses Jahres auf Einladung der Deutschen Börse die Nachhaltigkeitsinitiative „Accelerating Sustainable Finance“ begründet. In einer sogenannten „Frankfurter Erklärung“ haben hier zahlreiche Finanzdienstleister, Rating-Agenturen und Nichtregierungsorganisationen ihre Absicht erklärt, gemeinsam nachhaltigere Infrastrukturen in der Finanzwirtschaft zu schaffen. Nahezu zeitgleich hatte auch der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) seine neue Initiative „Hub for Sustainable Financing“ gestartet, um zu diskutieren, ob und wie sich in Deutsch¬land und Europa die Kräfte zum Thema Sustainable Finance bündeln lassen.
„Folgerichtig und begrüßenswert“ haben diese beiden Initiativen nach Einschätzung von Axel Wilhelm jetzt zusammengefunden: Die Deutsche Börse und der RNE haben im September bekanntgegeben, dass Nachhaltigkeitsaktivitäten im Finanzsektor künftig gemeinsam koordiniert und vorangetrieben werden sollen. „Auch wenn abzuwarten bleibt, inwieweit all diese Initiativen zu faktischen Änderungen im Investmentmarkt führen werden: Das Thema Nachhaltige Investments erreichte dieses Jahr einmal mehr ein nächsthöheres Level“, ist Wilhelm überzeugt.
Deutschland wird in Sachen Sustainable Finance Nachholbedarf attestiert
Der Rat für Nachhaltige Entwicklung diagnostiziert Deutschland, im europäischen Vergleich beim Thema Sustainable Finance hinterher zu hinken. Um hier Abhilfe zu schaffen, hat das Gremium, das die Bundesregierung zu Fragen der Nachhaltigkeit berät, bereits im März dieses Jahres eine Debatte um das Hub for Sustainable Finance initiiert. Die Diskussion wird mithilfe eines sogenannten Living Document geführt, dessen ersten Entwurf RNE-Mitglied Prof. Alexander Bassen, der Leiter des UN-Entwicklungsprogramms und ehemaliges RNE-Mitglied Achim Steiner und RNE-Generalsekretär Prof. Günther Bachmann verfasst haben.
Im Rahmen einer ersten Konsultation, zu der am 12. Juni Vertreter und Vertreterinnen aus Politik, Finanzindustrie und Zivilgesellschaft eingeladen waren, ist das Living Document weiterentwickelt und am 23. Juni in einer zweiten Fassung veröffentlicht worden. Im Vergleich zur ersten Version hat sich laut dem Verein zur Förderung von Ethik und Nachhaltigkeit bei der Kapitalanlage (Cric) unter anderem geändert, dass nicht mehr von Green, sondern von Sustainable Finance die Rede ist. Daneben sind Themen wie nachhaltige Anlagen und treuhänderische Pflichten, eine mögliche Nachhaltigkeitsanleihe des Bundes und Exportfinanzierungspolitik hinzugekommen. Mit der Veröffentlichung der zweiten Fassung hat der RNE zugleich eine Konsultation gestartet, die am 15. September zu Ende ging.
Die Initiative des RNE ist aus Sicht des Vereins zur Förderung von Ethik und Nachhaltigkeit bei der Kapitalanlage nicht nur vor dem Hintergrund der globalen Herausforderungen, sondern auch und gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt begrüßenswert und wichtig. Denn der Befund des RNE, Deutschland habe in Sachen Sustainable Finance Nachholbedarf, bestätige sich bei einem Blick über die Landesgrenzen hinaus. Beispielsweise sind 2016 in London und Paris Initiativen zu Green beziehungsweise Sustainable Finance gegründet worden. Zu nennen sind zudem der 2016 ins Leben gerufene Luxembourg Green Exchange, die 2017 an den Start gegangene Stockholmer Initiative Green Digital Finance, die Borsa Italiana mit ihrem 2017 eingeführten Marktsegment zu Green and Social Bonds und andere mehr.
Nach Angaben der Cric-Initiative ist 2016 in Italien außerdem ein National Dialogue on Sustainable Finance zum Abschluss gekommen. Daneben sei es der Italienischen Republik zu verdanken, als diesjähriger G7-Gastgeber den Beitrag der Finanzzentren für eine nachhaltige Entwicklung auf die internationale politische Agenda gesetzt zu haben. Die von der EU-Kommission eingesetzte High-Level Expert Group on Sustainable Finance (HLEG) habe in ihrem Interim Report die Bedeutung von Green Financial Centres ebenfalls hervorgehoben.
Auch vor dem Hintergrund dieser Initiativen sei es nach Einschätzung des Vereins zur Förderung von Ethik und Nachhaltigkeit bei der Kapitalanlage unabdingbar, zu diskutieren, wie Deutschland gemeinsam mit anderen Ländern und Finanzzentren die Entwicklung von Nachhaltigkeit vorantreiben, sich zugleich an einem Race to the Top beteiligen und diesen Wettbewerb um die besten Konzepte gezielt fördern kann.
Cric weist darauf hin, dass Asset Owner im Living Document bislang wenig Berücksichtigung fänden. Dabei komme gerade ihnen eine Schlüsselrolle zu. Dies gilt nicht nur für Versicherungen, Pensionsfonds und Banken, sondern ebenso für primäre Asset Owner wie gemeinnützige und kirchliche Organisationen, Stiftungen, Universitäten, akademische Einrichtungen und Unternehmen in ihrer Rolle als Investoren.
portfolio institutionell 15.09.2017/Tobias Bürger
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