Strategien
8. Februar 2018

Der Wert von Value

Sind Aktien teuer? Nicht unbedingt. Value-Titel weisen eine hohe Bewertungsdiskrepanz zu Growth- oder Quality-Titeln auf. Value-Aktien sollten zudem auch wegen ihrer Dividenden in kommenden Marktzyklen überzeugen. Der Einstieg verlangt jedoch Mut zu antizyklischen Investments.

Alles hat seine Zeit – auch Faktorprämien. Während sich Faktorprämien per se auf Grund ihrer Transparenz und Kosteneffizienz auch künftig einer hohen Nachfrage erfreuen dürften, können Investoren mit einzelnen Faktorprämien auch einmal über längere Zeit danebenliegen. Dies zeigt sich bei der Value-Prämie. Zwar überzeugt der Kauf von unterbewerteten Aktien langfristig. Mit Ausnahme des Jahres 2016 wären jedoch in den vergangenen 15 Jahren Quality- oder Growth-Aktien die bessere Wahl gewesen. In diesem Zeitraum brachte der S&P 500 Growth bis Mitte 2017 im Schnitt jährlich 8,83 Prozent ein, der S&P 500 Value nur 7,72 Prozent. Über kürzere Jahreszeiträume ist die Outperformance der Growth-Aktien noch deut­licher.
Dass Growth in den vergangenen Jahren so gut abschnitt, begründen Experten mit dem ökonomischen Umfeld in dieser Zeit. „Wenn nur spärliches wirtschaftliches Wachstum besteht, sind Investoren bereit, Prämien für Wachstumsunternehmen zu bezahlen“, so Norman Boersma, Fondsmanager des Templeton Growth Fund. „Das globale wirtschaftliche Wachstum blieb seit der Finanz­krise unter dem Trend. Darum flossen die Gelder in Unternehmen mit hohen organischen Wachstumsraten und hoher Preissetzungsmacht.“ Rückblickend war diese lange Periode seit der Finanzkrise ungewöhnlich und für Value schwierig. „Historisch betrachtet dauerten Growth-Zyklen meist nur zwei bis drei Jahre“, bestätigt Goran Vasiljevic, Chief Investment Officer bei Lingohr & Partner Asset Management.
Für die Zukunft ist Norman Boersma für Value-Titel allerdings optimistischer. Der Fondsmanager verweist darauf, dass die Inflation seit der Finanzkrise ­niedrig und Wachstum gedämpft war: „Das hat Value-Aktien getroffen.“ Die seit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA erwartete Konjunkturbelebung könnte sich nach Ansicht mancher Konjunkturexperten mit der Steuersenkung nun tatsächlich realisieren, was die Geschäftserwartungen insbesondere von zyklischen oder sich in Restrukturierungen befindlichen Unternehmen anschieben dürfte. 
Diesen Value-Optimismus teilt auch Carl Van Nieuwerburgh, Fondsmanager bei Degroof Petercam Asset Management: „Insgesamt glauben wir, dass es gute Gründe für ein Comeback von Value-Aktien gibt, nachdem sich Wachstumswerte längere Zeit überdurchschnittlich entwickelt haben. Die Bewertungsspannen, positive Wirtschafts­indikatoren, eine gesunde Inflationsentwicklung und ein positiver Trend im Überraschungsindex sprechen dafür, dass die Zeit für Value gekommen ist.“
Für Goran Vasiljevic ist die Value-Phase bereits seit 2016 wieder angebrochen, 2017 habe die Rückkehr zu Value lediglich „pausiert“. Vasiljevic ist aber nicht nur relativ zu Growth, sondern auch absolut betrachtet für Value mit Blick auf die Gewinnentwicklung der Unternehmen optimistisch: „60 Prozent der Unternehmen schlagen die Gewinnerwartungen. Dadurch fallen dann die KGVs, die in unserem Portfolio zwischen elf und zwölf liegen, auf – Kurs­entwicklungen außen vor – 10,5.“ Pro Value sprechen für Vasiljevic auch die Dividendenaus­schüttungsquoten von vier Prozent, die zudem noch Raum nach oben haben, und die geringe Nettoverschuldung der Firmen – zumindest in Europa und Japan. „In den USA waren die Unternehmen noch nie so hoch verschuldet wie heute.“ 
Grundsätzlich sind Value-Aktien gerade für institutionelle Investoren interessant. Neben den ordentlichen Erträgen der Gewinnausschüttungen schätzen bilanzsensitive Investoren die vergleichsweise überschaubare Downside. „Wenn der Bullenmarkt einmal enden sollte, weist Value wegen der niedrigen Bewertungen einen Sicherheitspuffer auf“, so Templetons Norman Boersma, der mit dem Begriff „Margin of Safety“ argumentiert. 
Der Bewertungsabschlag zu Growth ist nicht unerheblich, wie ein Vergleich des Deka Stoxx Europe Strong Value 20 Ucits ETF mit seinem Growth-Pendant zeigt. Während der abgebildete Value-Index kurz vor Weihnachten auf eine Dividendenrendite von knapp vier Prozent, auf ein KGV von zwölf und auf einen Buchwert von unter eins kommt, liegen diese Kennzahlen beim Growth-Index bei kümmerlichen 0,78 und stattlichen 38 beziehungsweise 5,6. 
Dies zeigt, dass Aktien per se nicht teuer sein müssen. Verwundern muss die Bewertungsdiskrepanz nicht: die Nettoperformance des Value-Fonds lag über ein Jahr bei knapp acht Prozent, die des Growth-ETF bei 23 Prozent. Dementsprechend niedriger ist aber Boersmas „Margin of Safety“. Über drei Jahre legte das Value-Vehikel netto um 32, das Growth-Vehikel um 39 Prozent zu. Klar besser war der Value-ETF in den vergangenen Jahren nur 2016, als er dank einer Rallye bei Ölunternehmen, Versorgern und Banken netto um 24 Prozent zulegte, der Growth-ETF aber nur um 4,2 Prozent. 
Diese Bewertungs­diskrepanz zwischen Value und Growth dürfte sich insbesondere dann reduzieren, wenn es zu einem anderen Zinsumfeld kommt. „Heute besteht sicherlich eine Überbewertung in den Themen ­Qualität und Wachstum“, konstatiert Philipp Prömm, Vorstand bei Shareholder Value. „Viele Anleger scheuen Volatilitäten und haben sich in den vergangenen Jahren vor allem mit strukturell verlässlich wachsenden Geschäftsmodellen beschäftigt. Diese sind heute im Durchschnitt hoch bewertet und dürften im Zuge von steigenden Zinsen im Laufe der nächsten Quartale und Jahre bewertungstechnisch unter Druck kommen.“ Outperformen sollte Value aber nicht nur am Ende eines Bullenmarktes, sondern auch zu Beginn eines neuen Wachstumszyklus: „Wenn das Makroumfeld wieder Rückenwind gibt, überdenken Investoren ihre niedrigen Erwartungen“, erklärt Boersma. 
Die Vorbehalte von Investoren gegenüber Value 
Von der These, dass Value auf Grund der Bewertungen und Dividenden besonders gut zu institutionellen Anlegern passt, ist Goran Vasiljevic nicht ganz überzeugt. „Viele agieren prozyklisch, und jetzt in Value zu gehen wäre antizyklisch. Zudem haben sich viele Investoren in den vergangenen Jahren – insbesondere 2008 – die Finger verbrannt und fragen sich, ob Value überhaupt noch funktioniert. Der Herdentrieb ist auch nicht zu unterschätzen.“ Die erwähnte Prozyklik lässt auch eine Studie von Powershares erkennen. Laut deren Smart Beta Research nutzen momentan 32 Prozent der im Rahmen einer Studie befragten institutionellen Investoren Momentum-Strategien und je 25 Prozent Quality- und Multi-Faktor-Strategien.
Diese Vorlieben weiten sich sogar noch aus. Für die Zukunft ziehen je 50 Prozent der Investoren Momentum und Multi Faktor in Betracht, 45 Prozent Quality. Fundamentale und Dividendenstrategien, die den Value-­Charakter widerspiegeln, werden dagegen nur von 37 beziehungs­weise 28 Prozent der befragten institutionellen Investoren in Betracht gezogen. Befragt wurden für die Analyse über 400 europäische Investoren zwischen Juni und August 2017. Anno 2008 wurde Value – ähnlich wie auch Dividendenansätzen – das Exposure zu Banken zum Verhängnis, 2011 wegen Fukushima das Exposure zu Versorgern. Heute sind britische Aktien besonders günstig und weisen hohe Dividendenrenditen auf. Der Powershares Tradable European Value Factor Ucits ETF ist geographisch zu 53 Prozent in Großbritannien investiert. Erst mit zehn Prozent folgt Deutschland auf Platz zwei.
Solvency II ist ebenfalls ein Argument, welches bei Versicherungen eher gegen Value spricht. Zumindest, wenn man, um die sündhaft teure Eigenmittelunterlegung für Aktien zu rechtfertigen, die Performance von Growth-Aktien der Vergangenheit in die Zukunft fortschreibt. Ein weiteres Gegenargument für die Eignung von Value-Aktien für institutionelle Anleger: der Trend zu nachhaltigen Investments. Schließlich stellt die sogenannte Old Economy das Gros der Value-Titel. Value-Investoren finanzieren Unternehmen mit besonders großem Kohlendioxid-Ausstoß und vergrößern so ihren Carbon-Footprint.
Im Rückblick blieben nachhaltige Investmentansätze vor einer großen Value-Falle bewahrt: Wer, wie Shareholder Value Management, Kernenergie ausschließt, blieb von der Underperformance der Versorger verschont. „Diese Unternehmen sind zuletzt eher als Value-Traps in Erscheinung getreten. Hier hätte bei einem Best-in-Class-Ansatz auch der beste Titel im Sektor wenig geholfen“, so Philipp Prömm. 
Allerdings befindet sich auch die Zuordnung von Unternehmen zu Value und Growth im Wandel. Unternehmen wie Facebook, Apple und Alphabet – die in der jüngeren Vergangenheit die Wachstumsstory von US-Aktien fast alleine geschrieben haben – errichteten Markteintrittsbarrieren, die einen echten Value darstellen. Dieser vor Wettbewerb schützende Burggraben macht die „Fang-Aktien“ auch für Value-Investoren interessant. „Aufgrund ihres zum Teil starken strukturellen Wachstums sind diese Unternehmen daher trotz auf den ersten Blick hoher Bewertungen auch aus unserer Perspektive interessant“, erläutert Frank Fischer, Fondsmanger bei Shareholder Value. „Dies ist so ein Fall, wo das Wachstum noch nicht ausreichend eingepreist ist.“ Fischer warnt aber auch, dass längerfristig Störfeuer durch Regulierung oder durch neuen technologischen Wettbewerb denkbar sind. 

Technologische Neuerungen sind auch für Goran Vasiljevic der kritische Punkt: „Bei den sogenannten Fang-Aktien dreht sich – genauso wie bei Tesla, Uber und Airbnb – alles um Software. Software gibt einem Unternehmen aber keine so große Marktmacht wie eine Marke, etwa Coca-Cola. Konkurrenzprodukte können Software-Unternehmen schnell obsolet machen.“ 

Überzeugt von Value? Dann stellt sich die Frage der Umsetzung. Bewährt hat sich in der Vergangenheit zur Diversifikation eine Kombination mit der Momentum-Faktorprämie. BNP Paribas Asset ­Management kann mit Korrelationsdaten aufwarten, laut denen von Dezember 2002 bis Dezember 2016 von allen Faktorprämien ­Momentum und Value mit minus 35 den negativsten Wert aufweisen. Value mit Momentum zu kombinieren, hilft den Schaden von Value-Traps zu reduzieren. Aber auch nach oben ergänzen sich die beiden Faktoren. „Oft weckt ein auslösender Katalysator Value-Investments aus ihrem Tiefschlaf und ist durch Momentum-Strategien zu identifizieren. Eine Kombination aus beiden Faktoren führt daher zu einer systematisch höheren Wertentwicklung bei zusätzlich häufig niedrigerer Schwankungsbreite“, teilt Shareholder Value mit und verweist darauf, dass sowohl eigene Untersuchungen in Form von Screenings und Backtestings als auch zahlreiche wissenschaftliche Auswertungen bestätigen, dass eine disziplinierte Strategie aus der Kombination von Value und Momentum eine der vielversprechendsten sei.  
Zu Value empfiehlt sich Momentum 
Ebenfalls eine Umsetzungsfrage ist, ob passiv per Smart Beta oder mit einem aktiven Ansatz Value gesucht werden soll. Für einen aktiven Ansatz sprechen die Value-Fallen der Vergangenheit in Form von Banken und Versorgern. Für einen aktiven Ansatz spricht aber auch, dass laut der Spiva US Scorecard von S&P Dow Jones Indices über zehn Jahre Large Cap Value Manager besser als die Kollegen acht anderer US-Stilkategorien performten. Immerhin gelang es 36 ­Prozent der Large Cap Value Manager ihren Index, nämlich den S&P 500 ­Value, zu schlagen.
Eine vorzeigbare Erfolgsquote relativ zu einem allgemeinen Marktindex sollten Value-Fonds insbesondere in Bärenmärkten haben. Andererseits ist es ein Merkmal von Value-Fonds, dass diese Bullenmärkte auf Grund ihres Fokus auf „langweiligere“ Geschäftsmodelle tendenziell underperformen. Hohe Dividendenrenditen sorgen aber dafür, dass Value heute auch in Bullenmärkten gut abschneidet. „Da die Zinsen so niedrig sind, laufen Dividendenstrategien heute auch im Bullenmarkt besser“, sagt Dr. Hans-Ulrich Templin von der Helaba Invest. „Das bedeutet allerdings nicht, dass Dividendenstrategien bei steigenden Zinsen underperformen, da Banken von dieser Entwicklung profitieren werden.“ 
Mut zu Value macht aber auch eine Untersuchung von Research Affiliates, der zufolge Investoren in Growth-Portfolios mehr Alpha zerstören als bei Value. „Der Grund ist, dass Investoren regelmäßig zu spät auf den Growth-Zug aufspringen. Value-Investoren erzielen dagegen bessere Ergebnisse“, so Lingohr-CIO Goran Vasiljevic. Letzteres gelte allerdings nur, wenn prozyklisches Verhalten vermieden wird, der Investor also im Falle einer Underperformance den ­Asset ­Manager nicht unter Druck setzt, seine Value-Philosophie aufzugeben. Am meisten spricht aber für die Faktorprämie Value, dass diese Aktien in einer Marktschwäche wegen ihrer niedrigen Bewertung weniger verlieren und wegen ihrer hohen Dividendenrenditen auch absolut überzeugen können. 
portfolio institutionell, Ausgabe 1/2018 
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