Investoren
15. Juli 2024

Strategische Liquidität im Wandel der Zeit

Nach der Zinswende haben institutionelle Investoren Anleihen wieder zu schätzen gelernt. Ihr glorreiches Comeback vereinfacht und verändert auch das Liquiditätsmanagement. Die Pfade, die Großanleger beschreiten, wenn es um die strategische Liquidität geht, führen in unterschiedliche Richtungen.

Die institutionelle Kapitalanlage ist geprägt durch langfristige Anlageentscheidungen. Damit man die Allokation im wahrsten Sinne des Wortes durchhalten kann, kommt der Liquiditätsplanung eine zentrale Rolle zu. Schließlich geht es darum, die eigenen Verpflichtungen zu jeder Zeit bedienen und Anlageopportunitäten nutzen zu können. Im Zentrum steht dabei insbesondere die strategische Liquidität.

Negative Renditen in kurzfristigen Anlagen, wie sie von März 2015 bis August 2022 zum Beispiel beim Dreimonats-Euribor Alltag waren, erschwerten die Arbeit der Liquiditätsplaner immens. Mit dem abrupten Zinssprung im Jahr 2022 brach für institutio­nelle Investoren eine neue Ära an – und zwar sowohl am kurzen wie auch am langen Ende der Zinsstrukturkurven von Bundes- und Staatsanleihen. Das betrifft den Direktbestand ebenso wie die auf Asset Owner zugeschnittenen Rentenspezialfonds. Nach Jahren magerster Zinskost lässt sich heute auch wieder mit bald aus­laufenden Anleihen, Geldmarktfonds oder Tagesgeldkonten Geld verdienen. Am kurzen Ende der Zinsstrukturkurve deutscher Staatsanleihen beispielsweise winken Renditen von dreieinhalb Prozent per annum.

Banken mussten Negativzinsen zahlen

Manch einer erinnert sich noch an die Herausforderungen beim Eintritt in die Phase spärlicher, später auch negativer Zinsen. Infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre ab 2008 waren in vielen Industrieländern die Zinsen auf ein Rekordtief gesunken. Bald erhielten europäische Banken für das Anlegen von Geld bei der Europäischen Zentralbank keine Zinsen mehr, sondern mussten im Gegenteil ab November 2014 bei bestimmten Anlageformen Negativzinsen zahlen. Aus diesem Grunde forderten immer mehr Finanzinstitute von Anlegern wie Kommunen, die bei ihnen Rücklagen parken wollen, Verwahrgelder oder Verwahrentgelte – auch der Begriff „Strafzinsen“ kam damals auf.

Der Liquiditätsblock im institutionellen Anlageportfolio war zu einem Wertvernichter geworden. „In Zeiten der Negativzinsen minimierten viele deutsche Unternehmen ihre Bargeldbestände, um unter dem Niveau zu bleiben, ab dem sie Zinsen an ihre Bank zahlen müssten“, erinnert sich Leonhard Fuchs, Spezialist Liquiditätsmanagement bei Insight Investment. Damals kamen Strategien auf, die das Ziel hatten, die Verzinsung der Liquiditätshaltung auf ein erträgliches Mindestniveau anzuheben oder zumindest die ­Negativzinsen zu minimieren.

Liquidität verursachte Kosten

Dr. Stefan Nellshen, CEO und CFO der Pensionsvehikel des Bayer-Konzerns, kann sich noch gut an die alten Zeiten erinnern. Wie der promovierte Mathematiker berichtet, habe er mit seinem Team in Zeiten negativer Geldmarktzinsen versucht, die Kosten der Liquiditätshaltung zu senken beziehungsweise zu vermeiden, zum Beispiel durch die Investition in kurzlaufende liquide festverzinsliche Wertpapiere. „Dies ist nun dank der gestiegenen Geldmarktzinsen nicht mehr erforderlich. Zudem kann man es sich leisten, eingehende Liquidität nicht unmittelbar zu investieren, sondern sich mit der Anlage etwas mehr Zeit zu lassen.“

Unter der Liquiditätsreserve subsummiert Nellshen Kassenbestandteile im engeren Sinne. Das betrifft Tagesgeld- und Festgeldkonten sowie Geldmarktfonds. „Selbstverständlich halten wir aber auch einen gewissen Bestand an börsennotierten Aktien und Renten. Auch diese Investments können wir börsentäglich monetisieren, würden sie aber nicht zur Liquiditätsreserve zählen, da sie aus strategischen Gründen gehalten werden.“

Volkswagen-Stiftung fährt Liquiditätsanteil nach oben

Auf der Jahreskonferenz im April 2024 schnitt Dieter Lehmann von der Volkswagen-Stiftung aus Hannover das Thema Liquiditätsmanagement an. Dabei machte er deutlich, dass die Zins­wende der vergangenen zwei Jahre für Entlastung im Liquiditäts­management sorgt. Seine Ausführungen bettete Lehmann in den Portfoliokontext ein und skizzierte, dass 47 Prozent des Gesamtvermögens der Stiftung von 4,1 Milliarden Euro aus Aktien bestehen. Hinzu kommt ein Anteil von knapp elf Prozent in Immobilien. Den Rest hat Deutschlands größte private, gemeinnützige Wissenschafts­förderin in verzinsten Wertpapieren untergebracht. „Dazu zählt auch der Liquiditätsanteil, den wir in jüngster Zeit wieder aufgebaut haben“, wie Lehmann hervorhob. Nach der Zinswende hat die Stiftung nun wieder etwa fünf Prozent in Termingeldern und kurzlaufenden Wertpapieren angelegt. Das war einst ganz anders.

Ursprünglich und bis 2012 hatten die Vermögensmanager der Volkswagen-Stiftung einen Liquiditätssockel in Höhe von etwa 200 Millionen Euro im Rahmen ihrer Vermögensanlage vorgehalten. Das entsprach circa vier bis fünf Prozent des Gesamtvermögens. Zwei Gründe spielten hierfür eine Rolle, wie Dieter Lehmann rückblickend sagt: „Pro Monat gibt es bei uns zwei feste Auszahlungstermine, an denen die bewilligten Fördermittel verteilt über die jeweiligen Projektlaufzeiten an die Bewilligungsempfänger ausgezahlt werden. Zusätzlich hielten wir damals eine Liquiditätsreserve für eventuelle Immobilienkäufe vor.“

Rückblende: Volkswagen-Stiftung zollt dem Niedrigzins Tribut

Angesichts der zunehmend belastenden Zinsentwicklung löste die Stiftung den Liquiditäts­sockel komplett auf, während sie gleichzeitig ihr Liquiditätsmanagement neu ausgerichtet hat. Denn die beiden Auszahlungstermine blieben unverändert bestehen. Das Vermögensmanagement ging dazu über, die anstehenden Auszahlungen aus anderen Quellen zu speisen, beispielsweise über die ihr zufließenden Zinserträge. Auch setzte die Stiftung die von ihr steuerbaren Spezialfondsausschüttungen, Endfälligkeiten im Rentenbereich oder auch Teilverkäufe auf der Asset-Ebene ein, um ihren Verpflichtungen nachzukommen. „Auf die Liquiditätsvorhaltung für eventuelle Immobilienkäufe hatten wir ab dann vollständig verzichtet“, so Lehmann. Am Zeithorizont für die Liquiditätsplanung änderte das aber nichts, der unverändert wenigstens 15 Monate betrug.

Und welche Folgen hat die Zinswende von 2022 auf die Liquidität? „Durch die veränderte Zinssituation haben wir ab Anfang 2023 den ursprünglichen ‚Liquiditätssockel‘ wieder aufgebaut, auch wieder mit einer Reserve für eventuelle Immobilienkäufe“, sagt der erfahrene Vermögensmanager. Der Sockel liegt derzeit wie ursprünglich auch bei etwa fünf Prozent – bezogen auf das Gesamtvermögen. „Unser Liquiditätsmanagement hat sich dadurch wieder deutlich vereinfacht“, so Lehmann gegenüber portfolio institutionell.

Ein Blick in die Schweiz zeigt, dass die eidgenössischen Pensionskassen nennenswerte Liquiditätspolster vorhalten. Im Jahr 2022 lag ihre Liquiditätsquote innerhalb der ausgewiesenen Vermögensstruktur im Durchschnitt bei 4,6 Prozent, wie die „Risiko Check-up Studie 2023“ vom Berater Complementa zeigt. Im Vergleich mit früheren Jahren haben diese Kassen ihr Liquiditätspolster ausgedünnt. So lag die Quote Mitte der Neunzigerjahre mit 6,4 Prozent um einiges darüber.

„Liquidität ist für uns als Pensionskasse keine strategische Asset-Klasse“

Für Stefan Nellshen und die Pensionsvehikel des Bayer-­Konzerns ist Liquidität hingegen nie ein strategisches Anlagesegment gewesen, wie er gegenüber unserer Redaktion deutlich macht: Die Bayer-Pensionskasse, die Rheinische Pensionskasse und der Bayer Pension Trust e.V. seien sehr langfristig orientierte Investoren. „Liquidität ist für uns als Pensionskasse keine strategische Asset-Klasse. Die Pensionsversicherungsverhältnisse unserer durchschnittlichen Mitglieder laufen noch – je nach Einrichtung – über drei bis fünf Jahrzehnte.“ Die Liquiditätshaltung findet daher in den Einrichtungen, denen Nellshen vorsteht, nur in geringem Umfang statt. Anders als bei der Volkswagen-Stiftung hat auch die Zinswende nichts daran geändert. „Liquiditätshaltung nehmen wir eher aus rein operativen Gründen vor, etwa um unsere zugesagten Leistungen pünktlich und verlässlich auszahlen zu können“, wie Nellshen erläutert.

Ähnlich argumentiert Tobias Bockholt, Head of Investments Germany und Sprecher der Geschäftsführung der Willis Towers Watson Investments GmbH. Im Gespräch mit portfolio institutionell unterscheidet der Consultant zwischen der strategischen und der operativen Liquidität und grenzt sie bei einem Zeitraum von zwölf Monaten voneinander ab. „Strategische Liquidität ist etwas, was ich länger als zwölf Monate halte“, so Bockholt. Liquiditätshaltung im Zeitraum für weniger als zwölf Monate sei operative Liquidität. „Aus unserer Sicht gibt es keinen Grund, weshalb Pensionskassen eine strategische Liquidität halten sollten“, so der Experte. Zugleich macht Bockholt deutlich, dass Pensionskassen und Versorgungseinrichtungen sehr genau über ihr Cashflow-Profil Bescheid wissen. „Sie kennen ihre Rentenverpflichtungen und wissen präzise, welchen Betrag sie monatlich auszuzahlen haben. Das gilt auch für die Personal- und andere laufende Kosten für den Unterhalt der Versorgungseinrichtung.“ Daher sieht der Berater keinen Grund, weshalb Pensionseinrichtungen strategische Liquidität halten sollten.

Von der operativen über die taktische bis hin zur strategischen Liquidität

Die Berater von Mercer empfehlen auf Nachfrage unserer Redaktion, bei der Liquiditätsreserve grundsätzlich zwischen der operativen, der strategischen und der taktischen Liquiditätsreserve zu unterscheiden. Inwiefern diese drei Segmente in den Kontext der institutionellen Kapitalanlage eingebettet werden, erläutert Johannes Mertsching, Leader Capital Markets and Strategy bei Mercer Deutschland. Er sagt, dass die operative Liquiditätsreserve typischerweise nicht über eine langfristige Kapitalanlage implementiert werde, da das Unternehmen diese Liquidität für ihr tägliches Geschäft brauche. Bei der strategischen Liquiditätsreserve ist das anders. Mertsching spricht hierbei von einem Risikopuffer, der teilweise geschäftsstrategisch, jedoch bei einigen Investorentypen auch regulatorisch bedingt ist, um auch in Stressphasen ­genügend Liquidität in der Kapitalanlage aufzuweisen. „Diese Reserve wird typischerweise in einer strategischen Liquiditätsplanung abgeleitet und umfasst, je nach Investorentyp, beispielsweise Dividendenzahlungen oder teilweise auch Liquidität für M&A-Aktivitäten.“

Die taktische Liquiditätsreserve wiederum betrifft über die strategische Reserve hinausgehende Liquiditätsbestände, um beispielsweise von aktuellen Marktgegebenheiten zu profitieren. Im Hinblick auf den Bereich der taktischen Liquiditätsreserve bestätigt Mertsching, „dass wir eine Erhöhung der Cash-Allokation sehen, da diese aus einer reinen Ertrags-Risiko-Sicht attraktiv ist. Insbesondere liegen derzeit Verzinsungen auf Tagesgeldkonten oberhalb von Inflationsraten, sodass sich mit Cash-Investments zumindest kurzfristig eine realpositive Rendite fast risikofrei erwirtschaften lässt.“

Allerdings erwarten die Berater von Mercer, dass Anleger vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Zinssenkungen Investments in langfristige festverzinsliche Titel erhöhen. Damit bilden sie das derzeitige Zinsniveau langfristig in den jeweiligen Anlageportfolien ab. Ceteris paribus gehen die Cash-Bestände zurück.

Lesetipp und Rückblende auf das Jahr 2015: Nach Einschätzung von Marktbeobachtern machten sich damals immer mehr Investoren Sorgen, dass sie eines Tages bei variabel verzinsten Anleihen Zinsen zahlen müssen, sollte der seit Monaten im negativen Bereich notierende Dreimonats-Euribor weiter abrutschen. Dazu ein Interview mit Martin Schaechtelin, Bereichsleitung Treasury, Evangelische Bank.

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