Traditionelle Anlagen
19. September 2013

Corporate Bonds: Standards für mehr Liquidität

Investoren brauchen liquide Märkte, um flexibel auf sich ändernde Marktbedingungen reagieren zu können. Bei Unternehmensanleihen besteht in dieser Hinsicht Nachholbedarf. Eine stärkere Standardisierung könnte zu einer höheren Liquidität beitragen. Als Vorbild für Unternehmensanleihen könnte der Markt für Staatsanleihen dienen.

Gastbeitrag von Markus Taubert
Leiter des institutionellen Geschäftes in Deutschland und Österreich bei Blackrock

Die neue Investmentwelt mit extrem niedrigen Zinsen, erhöhter Volatilität und höheren Korrelationen hat das Anlageverhalten weltweit stark verändert. Auf ihrer Suche nach Renditequellen wenden sich viele Investoren neuen Asset-Klassen zu. Wer etwa früher ­Unternehmensanleihen gemieden hat, ist in den vergangenen Jahren verstärkt als Nachfrager auf diesem Markt aufgetreten. Die kapital­suchenden Unternehmen machen sich diesen Anlagenotstand ­zunutze: Das Neuemissionsgeschäft boomt weltweit, und das Kreditvolumen bei den Unternehmensanleihen nimmt stetig zu. So hat sich in den USA, dem größten Markt für Corporate Bonds, das Volumen ausstehender Papiere im Investment-Grade-Segment seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt und stieg auf über 5,5 Billionen Dollar.

Während der Markt stark gewachsen ist, haben sich Banken und andere Liquiditätsspender merklich zurückgezogen. Damit haben sie unter anderem auf die international schärferen Kapitalregeln reagiert. In den USA beispielsweise haben Handelshäuser, die traditionell als Gegenpartei auf dem Anleihenmarkt fungieren, ihre Bestände an US-Unternehmensanleihen allein zwischen 2007 und 2009 von ehemals 235 Milliarden US-Dollar um 76 Prozent verringert. Heute halten sie nur noch rund 0,25 Prozent des gesamten ausstehenden Kreditvolumens im Investment-Grade-Segment und können daher nur noch ­selten als Gegenpartei auftreten. In Deutschland kommt hinzu, dass institutionelle Anleger, die dem Versicherungsaufsichtsgesetz unterliegen und nach HGB bilanzieren, Anleihen zunehmend langfristig oder gar bis zu den Endfälligkeiten halten dürften. Sofern die Papiere direkt ­gehalten werden, sind sie dann nicht dem strengen Niederstwertprinzip unterworfen, welches nicht zwischen dauerhafter und ­vorübergehender Wertminderung unterscheidet. Dies entpuppt sich angesichts der ­erhöhten Volatilität als ein wichtiger Vorteil.

Gleichzeitig ist der Markt für Unternehmensanleihen extrem ­fragmentiert. Wer zum Beispiel im Mai in Anleihen von General ­Electric investierte, hatte die Wahl zwischen 1.014 Emissionen mit ­unterschiedlichen Konditionen. Von diesen waren aber nur 44 ausreichend liquide, um in den Barclays US Corporate Bonds Index aufgenommen zu werden. Diese Papiere machten zusammen knapp mehr als 30 Prozent des ausstehenden Anleihevolumens von General Electric aus. Einer der Gründe für die starke Fragmentierung des Marktes ist die große Zahl an Neuemissionen: Das jährliche Angebot an ­neuen Unternehmensanleihen im Investment-Grade-Segment belief sich in den vergangenen zehn Jahren auf 21 Prozent des ausstehenden Anleihe­volumens. Im Vergleich dazu: Auf dem Aktienmarkt betrug das IPO-Volumen nur ein Prozent der Marktkapitalisierung.

Auffällig ist, dass sich die Liquidität von Unternehmensanleihen auf den Zeitraum kurz nach ihrer Emission konzentriert. Bereits kurz darauf entwickeln sich viele Papiere zu Museumsstücken. Zahlen der auf Anleihen spezialisierten US-Handelsplattform Market Axess zeigen: Neue Papiere wechseln ihre Besitzer regelmäßig. Aber innerhalb von nur vier Wochen fällt die Handelsaktivität in einzelnen Emissionen schon um 50 Prozent. Damit beginnt eine Handelsspirale nach unten. Mit nachlassendem Interesse sinkt die Liquidität, dadurch ­weiten sich die Spreads aus, und infolgedessen lässt das Interesse weiter nach. Angesichts dieses Umfeldes klagen viele Investoren über den schwierigen Handel von Unternehmensanleihen auf dem Sekundärmarkt. Sie sorgen sich, ob sie ihre Order erfolgreich platzieren können, sollten die Zinsen wieder steigen und viele Anleger zur gleichen Zeit verkaufen wollen. Fragmentierung und mangelnde Liquidität am Markt für Unternehmensanleihen beschränken sich nicht auf die USA. Investoren in Europa und dem Rest der Welt stehen vor vergleichbaren Herausforderungen. Doch noch immer hat eine Mehrzahl der Marktteilnehmer kein Interesse daran, etwas daran zu ändern. Dies geht sowohl von den Emittenten als auch Investoren aus.

Häufig offerieren Neuemissionen attraktive Alpha-Quellen. ­Einige Investoren fokussieren sich zum Beispiel darauf, diese zu zeichnen, um dann möglichst schnell einen Gewinn am Sekundärmarkt zu reali­sieren. Andere Anleger hingegen verfolgen ­Liquiditätsstrategien. Dabei nutzen sie Preisdifferenzen infolge von ­Liquiditätsunterschieden an unterschiedlichen Börsenplätzen für Arbitragegeschäfte. Ihnen kommt die niedrige Liquidität im Markt grundsätzlich entgegen. Noch weniger Interesse an Veränderung besteht bei den Emittenten. Unternehmen geben neue Anleihen bevorzugt dann aus, wenn sie unmittelbar Finanzierungsbedarf haben oder sich günstige Gelegenheiten ergeben. Indem sie ihre Emissionskalender immer wieder ­ändern und Emissionen über verschiedene Fälligkeiten verteilen, ­senken sie ihr Refinanzierungsrisiko und vermeiden hohe Zinsen.

Die Möglichkeit, bestehende Emissionen aufzustocken und damit die Marktfragmentierung zu reduzieren, stößt sowohl bei Emittenten als auch Investoren auf wenig Interesse. Bei den Emittenten führt die Anpassung des Ausgabepreises an das aktuelle Zinsniveau bei Auf­stockungen in der Regel zu Preisen über oder unter Nennwert. Das macht die Rechnungslegung der Unternehmen kompliziert. In­vestoren tragen bei Aufstockungen, die sie über par kaufen, ein ­höheres ­Risiko, denn die Rückzahlung im Falle eines Ausfalls ist auf maximal 100 Prozent beschränkt. Zudem könnten aktive Portfolio­manager um Alpha-Potenzial fürchten, weil ein standardisierter Markt mit weniger Titeln Chancen auf Mehrerträge verringern könnte.

Trotz dieser Widerstände tun die Börsen viel, um die Liquidität am Sekundärmarkt zu fördern. Dies zeigt auch ein Blick auf die Regelwerke der deutschen Handelsplätze, welche die Ausstattung von Anleihen weitgehend standardisieren. Die Kupons sind in der Regel fest, die Stückelungen laufen durchgehend auf 1.000 Euro, die Anleihen sind regulär erstrangig besichert, und auch die weiteren wesentlichen Merkmale stimmen an den Anleiheplattformen in Frankfurt, ­Stuttgart und Düsseldorf überein. Weitgehend einheitliche Trans­parenz­vorschriften bei der Emission, wie zum Beispiel das Vorhandensein eines Ratings, machen Anleihen vergleichbar und fördern ­damit ihre Liquidität. Dies gilt auch für die Folgepflichten, die an ­allen drei ­genannten Börsen unter anderem eine Quasi-ad-hoc-Pflicht ­umfassen, aber auch weitere Transparenzstandards setzen.

Diese Bemühungen sind ein Schritt in die richtige Richtung. Doch die Realität zeigt, dass sie nicht weit genug gehen. Über die ­Ausstattungs- und Transparenzregeln der Börsen hinaus besteht ein erhebliches Potenzial an weiterer Standardisierung. Dies zu heben, könnte die Ursachen eingeschränkter Handelbarkeit begrenzen oder gar eliminieren und die Liquidität am ­Unternehmensanleihenmarkt erheblich verbessern. Geeignete Schritte in diese Richtung könnten darin bestehen, Emissionstermine, -volumina und vor allem Fällig­keiten von Unternehmensanleihen zu vereinheitlichen. Bei Staats­anleihen ist dies bereits vielfach üblich. Zudem wäre es hilfreich, die ­Emissionstätigkeit einzugrenzen und stattdessen stärker als bislang die Möglichkeit zu nutzen, bestehende Emissionen aufzustocken.

Den geschilderten Bedenken und möglichen Nachteilen zum Trotz brächten diese Maßnahmen für die Mehrheit der Investoren ­erhebliche Vorteile. Würde konsequent aufgestockt anstatt stets neue Emissionen auszugeben, könnte sich der Anleihedschungel für sie lichten. Jeder Emittent hätte dann auf einem Laufzeitenband von zum Beispiel drei, fünf und zehn Jahren immer genau eine hoch liquide gehandelte Emission am Markt. Von vergleichbarem Vorteil wäre es für Investoren, die Fälligkeitstermine von Unternehmensbonds zu standardisieren: Orientierten sich diese an den zentralen Clearing-Terminen für Zins-Swaps und Kreditderivate, würden die Kosten für Absicherungsgeschäfte sinken. Der Nachteil für die Emittenten: Ihr Refinanzierungsrisiko würde sich auf bestimmte Termine konzentrieren, zum Beispiel das Quartalsende. Um dieses Risiko zu entschärfen, könnten die Anleihebedingungen dem Unternehmen zum Beispiel die Möglichkeit einräumen, die Anleihe bereits innerhalb von drei Monaten vor Fälligkeit zurückzuzahlen. Auch für die Emittenten brächte eine internationale Standardisierung nicht nur Nachteile – im Gegenteil. Beispielsweise sind für sie die Kosten einer Aufstockung deutlich niedriger als die einer Neuemission. Aufstockungen lassen sich sehr viel schneller umsetzen, und etliche regulatorischen Pflichten, wie das Aufsetzen eines neuen Emissionsprospekts, entfallen.

Aufgrund dieser Vorteile für beide Seiten werden Standards am Markt für Unternehmensanleihen auf lange Sicht kommen. Als ­Katalysator dürfte die wachsende Popularität von ETF auf Anleihen wirken, die auf liquide Märkte angewiesen sind. Mit wachsenden ­Volumina werden ETF ihrem Standardisierungsbedürfnis Nachdruck verleihen können. Zum anderen nimmt der elektronische Handel, der ebenfalls von Standardisierung lebt, zu. Sicher sollte es im Interesse der Regulierer liegen, den Markt für Unternehmensanleihen stärker zu standardisieren. Dies würde die Liquidität und Trans­parenz, die die Aufseher fordern, vorantreiben. Wünschenswert wäre es jedoch, dass sich alle Marktteilnehmer mit gemeinsamen Wohlverhaltensregeln auf freiwilliger Basis auf Standards einigen könnten.

portfolio institutionell, Ausgabe 8/2013

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