Bunga-Bunga-Bonds und die neue Realität
Dekade im Rückblick: Zehn Jahre institutionelle Kapitalanlage, zehn Jahre Krisenmanagement und zehn Jahrgänge portfolio institutionell: Langweilig war es nie! Den Abschluss unseres Rückblicks bildet das Jahr 2011.
Nach einem fulminanten Auftakt am Aktienmarkt und immerhin zwölf Neuemissionen im regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse sorgten gravierende Ereignisse im Sommer für massive Kursverluste. So verlor der Dax am 9. August zeitweise 7,1 Prozent an Wert und rutschte nach einer neuntägigen Verlustserie bis auf 5.502 Punkte ab. Es war vor allem die Angst der Anleger vor einem Double Dip in den USA, die für einen der größten Tageseinbrüche in der Geschichte des hiesigen Aktienmarktes sorgte. Erwähnt sei auch die Herabstufung der US-Bonität durch die Rating-Agentur Standard & Poor’s nach einer wochenlangen Auseinandersetzung zwischen Republikanern und Demokraten um eine abermalige Anhebung der Schuldenobergrenze. Heftige Kritik kam damals aus China, einem der größten Gläubiger der Vereinigten Staaten.
Diesseits des Atlantik: Euro-Dämmerung. Denn der Pleitegeier kreiste über der europäischen Peripherie – und tut das bis heute. Vor allem Griechenland galt als ausgemachter Default-Kandidat. Nicht zu Unrecht, wie der Schuldenschnitt im März 2012 bewies. Aber auch Italien geriet 2011 verstärkt unter die Räder, wie sich an den Credit Default Swaps ablesen ließ, die fast täglich neue Gipfel erklommen. Im Gegensatz zu hellenischen Anleihen und Bunga-Bunga-Bonds, genossen mit dem Bundesadler versehene Bonds den Luxus, eine vergleichsweise niedrige Rendite bieten zu müssen. Bei den als sicher eingestuften Staatsanleihen war die Verzinsung extrem niedrig, wie eine Auktion sechsmonatiger Bundestitel Anfang Dezember zeigte. Der Bund musste lediglich eine Rendite von winzigen 0,0005 Prozent bieten, während die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen unter die Marke von 1,7 Prozent sank.
Und dennoch: Unter institutionellen Investoren machte sich 2011 die Erkenntnis breit, dass es eine risikolose Anlage geschweige denn eine risikolose Rendite nicht mehr gibt. Vielmehr spricht man seither vom zinslosen Risiko. Deutsche-Bank-Chef Ackermann sagte am 2. Dezember 2011 im Rahmen des Deutschen Wirtschaftsforums: „Banken und andere Investoren, allen voran Versicherungen, müssen ihr Risiko-, Bilanz- und Kapitalmanagement an die neue Realität anpassen und ohne ein sicheres Aktivum Staatsanleihe auskommen.“ Vor diesem Hintergrund gingen institutionelle Investoren neue Wege, hinein in attraktive, mitunter aber auch komplexe Investmentnischen.
Timber, Cat Bonds oder die Vergabe von Realkrediten zeugen vom Erfindungsreichtum, der statt zu einem uniformen Anlageverhalten zu einer Vielzahl von Investmenttypen führte. Insbesondere sogenannte Katastrophenrisiken überzeugen die Anleger durch ihre Diversifikationseigenschaften. Rückversicherer wie die Hannover Rück nutzten diese Investments schon vor Jahren, ohne dass andere VAG-Anleger davon Gebrauch machen konnten. Denn die Aufnahme dieser Risiken in den Anlagekatalog war nicht gegeben. Zum Leidwesen des Leiters Kapitalanlagen einer großen Pensionskasse, die sich 2011, ebenso wie zahlreiche andere Anleger, für Investments in Catastrophic Risks interessierte: „Die Bafin hat uns mitgeteilt, dass es sich bei Insurance-linked Securities um keine im Anlagekatalog aufgeführte Anlageart handelt.“ Diese Erfahrung musste auch die Redaktion von portfolio institutionell machen. Auf Nachfrage bei der Bafin, ob Investments in Insurance-linked Securities für VAG-Anleger gestattet sind, hieß es, die „diffizilen rechtlichen Fragen eines möglichen Verstoßes gegen die Spartentrennung und des Betreibens des Rückversicherungsgeschäftes sind noch nicht abschließend geprüft“.
_Absolute Return enttäuschte
Für wertvollen Anschauungsunterricht sorgte damals Kweku Adoboli, der mit seinen Handelsverlusten in Milliardenhöhe der UBS und aller Welt vor Augen führte, wie segensreich ein funktionierendes Risikomanagement sein kann. Die Öffentliche Versicherung Braunschweig erfreute sich dagegen dank dicker Kursreserven und eines umsichtigen Risk Managements einer hohen Risikotragfähigkeit, wie aus dem Interview mit Dr. Stefan Hanekopf, seines Zeichens Bereichsleiter Asset Management, im Oktober hervor ging. Institutionelle Investoren mit einem Hang zu absoluten Renditen mussten allerdings schon zu Beginn des Jahres einsehen, dass die dafür kreierten Vehikel nicht immer hielten, was sie versprachen. Stand 31. Dezember 2010 erzielte nur ein Drittel der Absolute-Return-Fonds auf Dreijahressicht risikoadjustiert eine Rendite über dem Geldmarktzins. Dabei wies die Sharpe Ratio mit Werten zwischen 0,49 bis minus 0,57 eine recht große Spannweite und damit große Qualitätsunterschiede auf.
Auf Investorenseite erfreuten sich 2011 insbesondere börsengehandelte Indexfonds (ETF) wachsender Beliebtheit, auch wenn im Jahresverlauf eine Debatte darüber entbrannte, ob vollständig replizierende ETF sicherer sind als die Fraktion der swapbasierten ETF. Laut Statistiken von Blackrock betrug das in ETF verwaltete Vermögen in Europa Ende Mai 2011 rund 318 Milliarden Dollar und lag damit etwa zwölf Prozent über dem Wert von Ende 2010. Als Hauptabnehmer galten institutionelle Investoren, die sich in zunehmendem Maße auch in Gold-Fonds engagierten. Nicht zu Spekulationszwecken, sondern vielmehr als Währungsersatz.
_Solvency II sorgte weiter für Zündstoff
Die näher rückende Einführung von Solvency II ging in der Versicherungsindustrie mit Wehklagen einher. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) fällte in einem Positionspapier ein vernichtendes Urteil über das seit gut zehn Jahren geplante Aufsichtsregime. Die fünfte quantitative Auswirkungsstudie, an der von 410 deutschen Versicherern 242 teilgenommen hatten, bezeichnete GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg von Fürstenwerth als „nicht gelungene Generalprobe“. Fast jeder vierte Lebensversicherer in Deutschland kam auf eine Solvenzquote unterhalb der kritischen Grenze von 100 Prozent. Vor diesem Hintergrund sprach sich die Branche wiederholt für lange Übergangsfristen von bis zu zehn Jahren aus.
Lediglich 15 Versicherungsunternehmen hatten per Ende Juni 2011 bei der Bafin einen Vorantrag für ein internes oder semi-internes Modell eingereicht oder zumindest ihr Interesse daran bekundet, um auf diese Weise individuelle Risiken besser abbilden zu können und Erleichterung bei der Eigenkapitalunterlegung zu schaffen. Angesichts der Komplexität eigener Modelle und hoher Kosten, die damit verbunden sind, griff die Assekuranz überwiegend auf das Standardmodell der Aufsicht zurück.
Wieviele Versicherungen letztlich ein internes Modell rechnen werden, wird die Zukunft zeigen. Die kleine Gartenbau-Versicherung unter Vorstandschef Michael J. Baumeister widmete Solvency II jedenfalls schon viel Aufmerksamkeit. Im Interview mit portfolio institutionell zeigte Baumeister, der wegen Solvency II sogar seinen Ruhestand aufgeschoben hat, im Oktober Probleme des Aufsichtsregimes für kleinere Versicherer auf: „Solvency II ist geprägt von dem Geburtsfehler, ein Aufsichtsmodell für die Allianz und die Gartenbau-Versicherung kreieren zu wollen. Das geht nicht.“ Solvency II sei ein „Angriff auf unser Geschäftsmodell, der uns mit einem langsamen Erstickungstod bedroht“, so Baumeister.
portfolio institutionell, 16.04.2012
Autoren: Tobias Bürger In Verbindung stehende Artikel:
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