Bonitätsverfall am Schuldscheinmarkt
Der Schuldscheinmarkt boomt. Um Schuldverschreibungen zu platzieren, brauchen Unternehmen aber längst nicht mehr eine erstklassige Bonität. Investoren greifen immer häufiger auch bei Non-Investment-Grade zu.
Die Suche der Investoren nach auskömmlichen Renditen im Niedrigzinsumfeld bestimmt immer stärker das Geschehen auf dem Schuldscheinmarkt. Das Emissionsvolumen ist so hoch wie seit der Finanzkrise nicht mehr, zugleich geht die Bonität der Emittenten zurück. Zu diesem Fazit kommt die Rating-Agentur Scope in ihrer neuen Studie zum Schuldscheinmarkt. „In der Vergangenheit mussten Unternehmen eine erstklassige Bonität haben, um Schuldverschreibungen platzieren zu können“, erklärte Olaf Tölke, Leiter der Unternehmensanalyse bei Scope Ratings. Doch das habe sich geändert. „Auf der Suche nach Rendite zeichnen immer mehr institutionelle Investoren auch Papiere von Firmen, die lediglich über eine durchschnittliche Bonität verfügen“, so Tölke. Deren Anzahl sei in den vergangen Jahren sukzessive nach oben gegangen. Inzwischen besitzt mehr als ein Drittel der Schuldscheinemittenten kein Investment-Grade-Rating, wie eine Scope-Stichprobe ergab. Tölke geht davon aus, dass dieser Anteil in Zukunft weiter wachsen wird.
Der Schuldscheinmarkt in Deutschland wächst stark. Mehr als zwölf Milliarden Euro haben Unternehmen im vergangenen Jahr über Schuldscheine eingesammelt – so viel wie seit der Finanzkrise nicht mehr. Und auch im laufenden Jahr hält die Wachstumsdynamik an. Im ersten Halbjahr 2015 entsprach das platzierte Emissionsvolumen mit 9,1 Milliarden Euro bereits drei Viertel des Volumens, das im Gesamtjahr 2014 emittiert wurde. Die Ticketgröße variierte dabei sehr stark. Die Emissionsvolumen reichen von sehr kleinen (zehn Millionen Euro) bis zu 2,2 Milliarden Euro, wie sie die ZF Friedrichshafen Anfang 2015 begeben hat. Die Laufzeiten pendeln sich bei fünf bis sieben Jahren ein.
Zum Zeitpunkt der Emission hatte die ZF Friedrichhafen kein Investment-Grade-Rating. Dennoch verlief die Platzierung problemlos. Wie das Unternehmen berichtete, war das Darlehen mehrfach überzeichnet, insgesamt hätten über 200 Investoren nachgefragt. Der Getriebehersteller aus Bayern steht damit nicht allein. Viele Schuldscheinemittenten haben kein Rating. Laut Scope verfügt lediglich ein Viertel der emittierenden Unternehmen in Deutschland über ein öffentliches Rating, 75 Prozent von ihnen haben ein Investment-Grade-Rating. Im Median beträgt das Rating BBB. Nicht geratete Emittenten seien im Durchschnitt deutlich weniger finanzstark. Die Scope-Stichprobe aus 30 Corporates ergab: Lediglich 40 Prozent von ihnen würden ein Investment-Grade-Rating bekommen. Das Median-Rating liege bei BB+. „Wenn die Zahl der Emittenten durchschnittlicher Bonität ohne Rating stark wächst, könnte das für den Schuldscheinmarkt auf Dauer ein Problem werden“, warnt Tölke. Er erinnert an den Markt für Mittelstandsanleihen: „Sofern sich Investoren kein fundiertes Urteil über die Kreditqualität der Emittenten machen können, könnte dies ähnlich negative Folgen haben wie am Markt für Mittelstandsanleihen, der nach anfänglichem Boom und mehreren Firmenpleiten um seine Reputation kämpft.“ Zu einem fundierten Urteil sei nur eine Minderheit der Investoren in der Lage. Wie Scope in seinem Marktbericht schreibt, sind nur 22 Prozent präpariert, um in Non-Investment-Grade-Emittenten zu investieren.
Banken, Fonds und Versicherungen zählen traditionell zu den wichtigsten Zeichnern von Schuldscheinen. Doch die Bedeutung der Käufer aus dem Ausland für den deutschen Schuldscheinmarkt ist laut Scope zuletzt stark gewachsen: Während bis vor wenigen Jahren hierzulande nahezu 100 Prozent der Investoren aus dem deutschsprachigen Raum kamen, sind es heute nur noch 70 Prozent. „Vor allem asiatische Investoren legen ihr Geld vermehrt im europäischen und auch im deutschen Schuldscheinmarkt an“, so Tölke. Das deutsche Vehikel des Schuldscheindarlehens mit seiner Konstruktion als Mischung aus Kredit und Anleihe sei dabei zum europäischen Erfolgsmodell avanciert: 2015 haben Unternehmen europaweit 63 Milliarden Euro für die verbriefte Kreditvariante eingesammelt. „Für Unternehmen sind Schuldverschreibungen eine gute Möglichkeit, ihre Finanzierung zu diversifizieren. Sie machen sich unabhängiger von den Banken“, sagt Tölke.
portfolio institutionell newsflash 24.08.2015/Kerstin Bendix
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