Asset Management
27. September 2024

Aktienbewertung: Die Luft wird dünner

Der Flash Crash von Anfang August steckt vielen am Aktienmarkt noch in den Knochen. Ob Aktien überteuert sind, was Strategen jetzt planen und warum ein hohes KGV aus der Aktienbewertung kein Verkaufsargument sein muss, erfahren Sie hier.

Mit einem Minus von 12,4 Prozent verbuchte der japanische Nikkei-Index am 5. August 2024 seinen schlechtesten Handelstag der Geschichte. Ausverkaufsstimmung auch in Europa und den USA. Auslöser waren aufgelöste Carry Trades zwischen dem Dollar und dem plötzlich wiedererstarkten Yen. Auch Sorgen über eine schwächelnde US-Wirtschaft ließen die Notierungen einbrechen. Obwohl der Spuk nur von kurzer Dauer war und sich die Kurse erholten, ist die Nervosität geblieben. Warum eigentlich?

US-amerikanische Aktien einfach nicht zu verkaufen, sondern langfristig zu halten, hat sich in der Vergangenheit ausgezahlt, wie ein Blick in das Global Investment Returns Yearbook 2024 der Schweizer Großbank UBS zeigt. In einem durchschnittlichen Jahr betrug ihre reale Rendite 8,4 Prozent. Die annualisierte reale Rendite für deutsche Wertpapiere für den Zeitraum von 1900 bis 2023 ist mit 3,2 Prozent viel niedriger.

An US-Aktien führt kein Weg vorbei

Angesichts ihrer Performance dominieren US-amerikanische Aktien heute (wieder) die globale Börsenbewertung. Anfang September machten die USA 64,42 Prozent des MSCI All Country World Index aus. Dabei erwirtschaften die USA nur 26 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung und beherbergen lediglich vier Prozent der Weltbevölkerung. Und doch führt kein Weg an ihnen vorbei, auch wenn sie inzwischen als sehr teuer gelten. Deutlich wird das am Shiller-KGV, das sich auf den S&P-500-Index bezieht: Die Kennzahl, eine erweiterte Form des klassischen Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV), gibt Hinweise auf Über- und Unterbewertungen, indem der aktuelle Aktienkurs mit den durchschnittlichen, inflationsbereinigten Gewinnen der letzten zehn Jahre verglichen wird.

Bei Redaktionsschluss (16.9.) belief sich das Shiller-KGV auf 36,21 Zähler. In der Vergangenheit gab es nur wenige Phasen mit ähnlich hohen Werten; die Luft an den Märkten scheint also recht dünn zu sein. Ihren Höchststand erreichte die von dem Ökonomen Robert J. Shiller entwickelte Kennzahl, deren Historie sich mehr als 150 Jahre zurückverfolgen lässt, im Dezember 1999 – wenige Monate vor dem Platzen der Dot.com-Blase – bei 44,19.

Investitionen in Künstliche Intelligenz erweisen sich als sehr starker Wachstumstreiber

Ins Auge sticht derzeit aber weniger der breite Markt, sondern vor allem die Bewertung der Technologieaktien im S&P 500. Sie haben ihre Bewertung, gemessen am KGV, seit der Covid-Pandemie rasant gesteigert. Wolfgang Fickus, Produktspezialist beim französischen Vermögensverwalter Comgest, weist im Redaktionsgespräch darauf hin, dass der höheren Bewertung auch ein höheres Gewinnwachstum gegenübersteht.

In den vergangenen vier Jahren sei es den S&P-500-Firmen im Sektor Information Technology gelungen, ihren Gewinn annualisiert um 18 Prozent zu steigern. Dem steht ein annualisiertes Wachstum von zehn Prozent in der Phase von 2012 bis 2020 gegenüber. Covid habe die IT-Investitionen der Unternehmen beschleunigt, denn die Lockdowns hatten einen Nachholbedarf offengelegt, sagt Fickus. Auch Investitionen in Künstliche Intelligenz erweisen sich seit zwei Jahren als ein sehr starker Wachstumstreiber.

Wenn Anleger davon überzeugt sind, dass das Gewinnwachstum dynamisch und nachhaltig, das heißt, die Duration des Wachstums hoch ist, wie Wolfgang Fickus es formuliert, dann bezahlen sie in der Regel ein höheres KGV. Setzt man das auf die beiden zuvor genannten Perioden bezogene KGV von 24,6 beziehungsweise 14,6 für den S&P 500 Information Technology zur besseren Vergleichbarkeit ins Verhältnis zum Gewinnwachstum, um das PEG-Ratio zu ermitteln, ergibt sich ein stabiles Resultat. Es drückt aus, wieviel KGV-Punkte man für jedes Prozent Gewinnwachstum bereit ist zu zahlen.

Nach Berechnungen von Comgest hat sich das PEG-Ratio von aktuell etwa 1,6 gegenüber der Vor-Corona-Zeit kaum erhöht. Ganz anders war das um die Jahrtausendwende. Damals lag es im US-IT-Sektor mit 3,5 mehr als doppelt so hoch. Der „Preis“ für Wachstum hat sich damals schlicht als zu hoch erwiesen. Nach dem Platzen der „TMT-Blase“ vor inzwischen mehr als 20 Jahren kam es zu einer riesigen Welle an Gewinnenttäuschungen.

Erinnerungen an die Jahrtausendwende werden wach

Der Wert aller globalen Anleihen und Aktien beträgt nach jüngsten Angaben der Bank of America 255 Billionen US-Dollar, ein Allzeithoch und ein 2,5-facher Anstieg gegenüber den Tiefstständen während der globalen Finanzkrise. Problematischer erscheint, dass US-Aktien konzentriert sind – die fünf größten Aktien im S&P 500 erreichten im Juli 2024 einen Höchststand von 29 Prozent der Gesamtkapitalisierung gegenüber 18 Prozent auf dem Höhepunkt der Dotcom-Blase.

Aber: Die Erwartungen an das damals sogenannte „Mobile Commerce“ war einfach nicht realistisch in Anbetracht der Infrastruktur, die vorhanden war. Könnte das eine Parallele zu den Erwartungen sein, die heute mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz verbunden sind? Nein, sagt ein ehemaliger Analyst. „Wir sehen mehr und mehr Firmen, die die Künstliche Intelligenz anwenden und damit Geld verdienen.“ Und doch sorgen sich viele angesichts aktueller Bewertungsfaktoren vor einem Déjà-vu. Zumal die „Aktienquote“ von US-Haushalten bezogen auf die „Total Household Allocation“ inzwischen etwa 57 Prozent erreicht hat, wie Zahlen der Bank of America zeigen. Zuvor lag die Kennziffer um die Jahrtausendwende herum auf ähnlich exponierten Niveaus.

Nach Jahren steigender Aktienkurse sind US-Haushalte bei Aktien heute sozusagen „All-in“: Infolge der positiven Kursentwicklung nahm ihre Aktienquote kontinuierlich zu. Der Nasdaq Composite zog in den vergangenen 15 Jahren von 2.040 auf zuletzt 18.647 Zähler an – der 10. Juli 2024 markiert nun aber das vorläufige Ende der Aufwärtsbewegung. Währenddessen trieben Anleger den S&P 500 binnen 15 Jahren von etwa 1.000 Zählern auf das Fünffache dessen. Finanzmarktschätzungen vom 31. Juli zeigen, dass sein für 2025 erwartete KGV mit 20,0 deutlich vor dem des Weltaktienmarktes (MSCI All Country World: 16,8), den Schwellenländern (MSCI Emerging Markets: 11,5) und dem europäischen Aktienmarkt (MSCI Europe: 13,0) liegt.

Paul Jackson, Global Head of Asset Allocation Research bei der Fondsgesellschaft Invesco, rät institutionellen Investoren vor diesem Hintergrund zu einer Diversifizierung ihrer Aktienanlagen. „Rein bewertungstechnisch ziehe ich europäische Aktien den US-Aktien vor. Der US-Markt ist jedoch schwer zu ignorieren, und ich denke, es ist besser, ein gleichgewichtetes Engagement in Aktien innerhalb breiter US-Indizes einzugehen, als auf einer nach Marktkapitalisierung gewichteten Basis zu investieren.“ Denn das bringe ein hohes Konzentrationsrisiko mit sich, so Jackson.

Künstliche Intelligenz als Haupttreiber der Aktienmarktperformance

Lutz Wockel, Leiter Portfolio Management Aktien & quantitatives Management beim Asset Manager Bantleon in Hannover, sieht das ähnlich. Auf Nachfrage unserer Redaktion betont er, dass Aktien trotz der Erholungs-Rallye nach dem überraschenden Einbruch Anfang August noch nicht zu teuer seien. Aber vor allem im Vergleich mit Anleihen seien sie auch nicht mehr besonders attraktiv. „Die höhere Bewertung von US-Aktien ist wegen des deutlich höheren Wachstums der erwarteten Unternehmensgewinne gerechtfertigt. Unter dem Strich raten wir derzeit zu einem neutralen Aktienexposure in den USA und Europa, mit einem Übergewicht in den USA, weil das Thema Künstliche Intelligenz in den nächsten Monaten der Haupttreiber der Aktienmarktperformance bleiben dürfte, was vor allem US-Technologietiteln noch eine Zeit lang zugutekommen sollte.“

Small Caps profitierten zwar mittelfristig von wieder sinkenden Zinsen, so Wockel, sie dürften wegen ihrer relativ starken Abhängigkeit von der Konjunktur aber unter der sich tendenziell abschwächenden Wirtschaft leiden. Paul Jackson von Invesco hält die Bewertungen von US-Aktien für überzogen. Die Geschichte zeige, dass bei so hohen Bewertungen die Anlagerenditen in den kommenden fünf bis zehn Jahren eher enttäuschend ausfallen. „Andererseits gibt es meiner Meinung nach keine wirklichen Anzeichen für eine Überhitzung der Wirtschaft.“

Bert Flossbach, Gründer der Vermögensverwaltung Flossbach von Storch, vertritt Anfang September 2024 im Kurzinterview folgende Einschätzung: „Gemessen an den Bewertungen der großen Indizes sind Aktien – historisch betrachtet – derzeit überdurchschnittlich teuer; das gilt im Besonderen für die USA, nehmen wir beispielsweise den S&P 500 als Referenz.“ Das liege aber nicht zuletzt an den Aktien der großen Tech-Konzerne, die den Index in der jüngeren Vergangenheit deutlich angetrieben haben. „Schaut man dagegen auf die gleichgewichtete Indexvariante als Referenz, dann relativieren sich die Bewertungen – zumindest ein Stück weit.“

Eine Überhitzung – insbesondere an den US-amerikanischen Aktienmärkten – sieht Flossbach nicht, „auch wenn die Bewertungen im historischen Kontext nicht mehr günstig sind. Von den Exzessen zur Jahrtausendwende, die dieser Tage häufig als Vergleich bemüht werden, sind die aktuellen Niveaus noch ein gutes Stück entfernt.“

Sind Aktien heute also überteuert? Klare Antwort: Es kommt darauf an.

Autoren:

Schlagworte:

In Verbindung stehende Artikel:

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert