Strategien
18. August 2006

Bausteine und Umsetzungsstrategien – zur Systematik nachhaltiger Geldanlagen

Gastbeitrag von Dr. Helge Wulsdorf, Leiter Nachhaltige Geldanlagen der Bank für Kirche und Caritas eG (BKC) und Vorstand im Forum Nachhaltige Geldanlagen.

Der ESG-Ansatz als zentraler Bestandteil nachhaltiger Geldanlagen und die SDGs als inhaltliche Legitimationsgrundlage für konkrete Nachhaltigkeitskriterien allein bilden nicht das gesamte Spektrum ab, das unter der Überschrift nachhaltige Geldanlagen diskutiert wird. Tatsächlich gibt es verschiedene Bausteine sowie zahlreiche Strategien. Erst deren systematische Integration ergibt eine nachhaltige Anlagestrategie. Wertorientierte Investoren erwarten von ihren Geldanlagen neben der finanziellen Rendite einen weiteren Mehrwert. Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Auszug aus dem 2018 erschienenen Sammelband „Greening Finance“. 
Der ESG-Ansatz und die Social Development Goals (SDGs) lassen sich systematisch in der Geldanlage anhand folgender drei Bausteine verwirklichen: 1. Ausschlüsse, 2. Positiv-/Negativ-Screening und 3. Engagement. Hinter den einzelnen Bausteinen verbergen sich unterschiedliche Umsetzungsstrategien, die wiederum verschiedene Wirkungseffekte verfolgen. Für die beiden Kirchen bilden die drei Bausteine – so die katholische Bezeichnung, während die evangelische Seite von Instrumenten spricht – den Kern einer ethisch-nachhaltigen Anlagestrategie.
Mit dem ersten Baustein Ausschlüsse werden gesellschaftlich-kontroverse Geschäftsfelder und Praktiken von Emittenten ausgeschlossen. Entlang der ESG-Systematik lassen sich konkrete nachhaltige Anlagekriterien definieren, die zum Teil elementare Bedrohungen für den einzelnen Menschen, die Gesellschaft und die Umwelt beinhalten. Zu den zehn am Häufigsten verwendeten Ausschlusskriterien zählen unter anderen Waffen, Menschenrechtsverletzungen, Arbeitsrechtsverletzungen, Korruption und Bestechung, Kernenergie und Umweltzerstörung. Neben solchen allgemeinen Ausschlusskriterien gibt es weitere, die den individuellen Wert- und Zielvorstellungen der jeweiligen Investoren fundamental widersprechen. 
Ausschlüsse 
Mit den Ausschlusskriterien, die meistens den Ausgangspunkt einer nachhaltigen Anlagestrategie bilden und mit deren Auswahl womöglich Renditeeinbußen in Kauf genommen werden müssen, wird das Anlageuniversum je nach Anzahl und definiertem Detaillierungsgrad der Ausschlusskriterien eingeschränkt. So lassen sich bestimmte Ausschlusskriterien ebenfalls für die Zulieferkette definieren, oder sie beziehen sich auf Produktion und/oder Handel, oder auf wesentliche Komponententräger beispielsweise bei Waffensystemen, oder auf Bauteile für Atomkraftwerke. Generell wird bei der Auswahl und Legitimation von Ausschlüssen zwischen normbasierter und wertbasierter Umsetzungsstrategie unterschieden. Des Weiteren ist festzulegen, ob die ausgewählten Ausschlusskriterien mit oder ohne Umsatzschwellen angewandt werden.
Normbasierte Umsetzungsstrategien ziehen global anerkannte Standards als Basis für ihre Kriterienauswahl heran. Hierzu zählen unter anderen die UN-Menschenrechtscharta, die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die zehn Prinzipien des UN Global Compact, die Ottawa-Konvention gegen geächtete Waffen und die UN-Biodiversitätskonvention. Auch Divestment-Strategien werden unter dem Stichwort normbasiert diskutiert, da sie Ausschlüsse im Bereich fossiler Energien verwirklichen und damit zum Beispiel die Forderungen internationaler Klimaschutzabkommen aufgreifen.
Wertbasierte Umsetzungsstrategien sind zumeist deutlich weitreichender und fundamentaler in ihrer Kriterienauswahl als normbasierte Strategien. Sie greifen auf die individuellen Wertvorstellungen der Investoren zurück, die sich zumeist durch ein klares Wertprofil auszeichnen, wie kirchliche Einrichtungen, Stiftungen und Family Offices. Speziell die beiden Kirchen haben sich am umfangreichsten zum ethisch-nachhaltigen Investment positioniert. In ihren Dokumenten halten sie fest, welche Ausschlüsse sie auf der Basis ihrer christlichen Wertorientierung legitimieren, ohne diese dabei als exklusiv christlich für sich zu beanspruchen.
Die Qualität norm- und wertbasierter Umsetzungsstrategien ist wesentlich von der Definition der Ausschlüsse abhängig. Hier können zwei strategische Vorgehensweisen angewandt werden. Entweder kommen die Ausschlüsse mit Nulltoleranz, also absolut, zur Anwendung oder mit Umsatzschwellen. Das heißt, geringfügige Umsätze im niedrigen ein- oder zweistelligen Prozentbereich werden bei ethisch-kontroversen Geschäftsfeldern oder -praktiken geduldet. Angesichts der engen Verstrickungen von Unternehmen auf den Kapitalmärkten und der oft weitverzweigten Vernetzung von Unternehmen mit Tochtergesellschaften und Beteiligungen wird der Glaubwürdigkeit halber zumeist mit Umsatzschwellen gearbeitet.
Positiv-/Negativ-Screening
Mit dem zweiten Baustein Positiv-/Negativ-Screening werden ergänzend zu den Ausschlüssen solche Emittenten ermittelt, die unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten vergleichsweise gut gegenüber anderen aufgestellt sind. Die Vielzahl von Kriterien zur Ermittlung der Nachhaltigkeit beispielsweise bei Unternehmen reicht vom fairen Umgang mit seinen Stakeholdern über Umweltmanagementsysteme bis hin zu Fragen einer guten Unternehmensführung, des Risikomanagements und einer transparenten Berichterstattung. Der Baustein Positiv-/Negativ-Screening lässt sich mittels der Strategien Best-in-Class, Best-of-Class, Best-in-Universe oder Best-in-Progress umsetzen. Das Screening kann man sowohl positiv durchführen, mit dem Ziel die jeweils Besten zu ermitteln, als auch negativ, mit dem Ziel die jeweils Schlechtesten herauszufiltern. Anders als die Ausschlusskriterien des ersten Bausteins bedingen Negativkriterien nicht zwangsläufig einen Ausschluss.
Mit dem Best-in-Class-Ansatz werden solche Unternehmen in den einzelnen Branchen identifiziert, die sich den allgemeinen Nachhaltigkeitsherausforderungen vergleichsweise am besten stellen. Mit dem Best-of-Class-Ansatz werden die jeweils nachhaltigsten Branchen ermittelt. Löst man den Nachhaltigkeitsgedanken von den Branchen, können mit dem Best-in-Universe-Ansatz solche Unternehmen herausgefiltert werden, die im direkten Vergleich mit allen anderen Unternehmen am besten abschneiden. Praktisch kommt der Ansatz oftmals als Worst-in-Universe zum Einsatz, mit dem gerade diejenigen Unternehmen zu Tage gefördert werden sollen, die unabhängig von ihrer Branche allgemeinen Nachhaltigkeitsherausforderungen nicht standhalten und deshalb aus dem Universum ausgeschlossen werden. Mit dem Best-in-Progress-Ansatz lassen sich Unternehmen ausfindig machen, die branchenunabhängig über definierte Zeiträume die größten Fortschritte im Umgang mit den allgemeinen Nachhaltigkeitsherausforderungen machen.
ESG-Integration ist eine Umsetzungsstrategie, bei der die traditionelle Finanzanalyse um ESG-Kriterien ergänzt wird. Die ESG-Kriterien haben bei dieser Strategie also eine unterstützende Funktion, das heißt, sie sind der Finanzanalyse zugeordnet, da mit ihnen Risiken ermittelt werden sollen, welche die Finanzanalyse allein nicht hergibt. ESG wird mit dieser Umsetzungsstrategie zum integralen Bestandteil der konventionellen Geldanlage und dient damit der Optimierung der finanziellen Rendite im Kerngeschäft. Die ESG-Kriterien werden bei dieser Umsetzungsstrategie folglich vorrangig finanziell gedeutet, ihr jeweiliger Leistungsbeitrag respektive Hebel zu einer nachhaltigen Entwicklung ist nicht unbedingt ausschlaggebend. Entscheidend für diese nachhaltige Umsetzungsstrategie ist, dass die ESG-Kriterien nicht einfach nur Berücksichtigung finden, sondern Relevanz und damit Auswirkungen auf die Investmentprozesse insgesamt haben. Die Qualität von ESG-Integration ist abhängig von der Auswahl und Definition der einzelnen ESG-Kriterien sowie dem Implementationsgrad innerhalb der gesamten Investmentprozesse des Anbieters.
Themeninvestments machen es sich zur Aufgabe, positiv ausgewiesene Handlungsfelder einer nachhaltigen Entwicklung zu fördern, die sowohl im ökologischen als auch im sozialen Bereich angesiedelt sein können. Wenngleich es sich um nachhaltige Themenfelder handelt, lassen sich diese erst dann dem nachhaltigen Investment zuordnen, wenn ihnen die ESG-Systematik zugrunde liegt. Dies bedeutet, dass etwa bei ökologischen Themeninvestments auch soziale und Governance-Kriterien zum Tragen kommen, sowie bei sozialen Themeninvestments auch ökologische Kriterien greifen müssen. Schließlich erfordert es der ganzheitliche Charakter des Nachhaltigkeitsparadigmas, bei der Nachhaltigkeitsbewertung ebenfalls Kriterien aus den jeweils anderen Nachhaltigkeitsdimensionen zu analysieren.
Engagement
Mit dem dritten Baustein des nachhaltigen Investments, dem Engagement, soll Einfluss auf die Unternehmen genommen werden. Dies geschieht zum einen durch Dialoge mit den Unternehmen und zum anderen durch die Ausübung von Stimmrechten. Mit Voice-Strategien suchen Investoren aufgrund wahrgenommener Nachhaltigkeitsdefizite aktiv das Gespräch mit den Unternehmensleitungen. Dabei müssen sie nicht zwangsläufig Anteilseigner sein, sondern können auch Anleihen des betreffenden Unternehmens erworben haben. Erklärtes Ziel dieser Umsetzungsstrategie ist es, das Unternehmensverhalten mit Blick auf ESG-Kriterien dauerhaft zu verbessern. Teilweise tun sich die Investoren mit anderen zusammen, um ihren Nachhaltigkeitsanliegen mehr Nachdruck zu verleihen. Die Ergebnisse der Unternehmensdialoge bilden oft die inhaltliche Grundlage für die eigene Vote-Strategie.
Mit Vote-Strategien üben Aktionäre aktiv ihr Stimmrecht auf den Hauptversammlungen mit dem Ziel aus, die Unternehmenspolitik hinsichtlich ESG-Nachhaltigkeitsherausforderungen positiv zu beeinflussen. Während Governance-Themen bei den Hauptversammlungen allein schon aus ökonomischen Gründen bereits zahlreich auf der Tagesordnung stehen, spielen soziale und ökologische Fragestellungen (noch) eine untergeordnete Rolle. Sie kommen meist erst dann auf die Agenda, wenn sich von den einzelnen Nachhaltigkeitsherausforderungen konkrete Risiken für das Geschäftsmodell ableiten lassen. Da die Sensibilität für soziale und ökologische Themen wächst, ist davon auszugehen, dass solche Themenstellungen künftig verstärkt auch auf Hauptversammlungen thematisiert werden. Gerade Investoren mit einer ausgeprägten Wertorientierung werden auf entsprechende Themen drängen.
Die Kombination von Umsetzungsstrategien
Die systematische Klassifikation nachhaltiger Umsetzungsstrategien verdeutlicht, dass sich Nachhaltigkeit nicht mit einem Baustein, geschweige denn mit einer Strategie allein verwirklichen lässt. Eine nachhaltige Anlagestrategie wird sich erst dann als qualitativ hochwertig erweisen, wenn sie die einzelnen Bausteine des nachhaltigen Investments systematisch integriert, wohlwissend, dass die Kombination verschiedener Umsetzungsstrategien nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern zugleich auch intellektuell anspruchsvoll ist. Erst durch die gezielte Kombination verschiedener Bausteine und Umsetzungsstrategien leisten nachhaltige Geldanlagen ihren wirksamen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung. Wie sich die Kombination gestaltet, ist jeweils abhängig von den individuellen Nachhaltigkeitsvorstellungen und -ansprüchen des Investors. 
Ethische Wertorientierung als Profilbildung 
Wie denkt ein ethischer Investor? Was ist ihm wichtig? Sein Anliegen ist es, zusätzlich zu den finanziellen Anforderungen an seine Geldanlage gleichfalls seine moralischen Haltungen, Annahmen und Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen. Schließlich möchte er nicht zum Sponsor ethisch-kontroverser Praktiken werden. Er weiß darum, dass aus ethischer Sicht Geld nicht neutral ist, sondern immer positiv wie negativ Wirkungen zeitigt, wofür er als Asset Owner (mit-)verantwortlich ist. Speziell die Kirchen stehen in der internen und externen Wahrnehmung für konkrete Werte, die für all ihre Handlungsfelder – und damit ebenso für die Finanzen – leitend sind. Als „Orientierungsdirektiven“ bilden christliche Werte das Fundament für ethisch-nachhaltige Anlagekriterien. Vor diesem Hintergrund benutzen die Kirchen auch bewusst den Terminus „Ethisch-nachhaltige Geldanlagen“. Die Bezeichnung „leitfadenkonform“ spricht inzwischen dafür, dass die Nachhaltigkeitskriterien des EKD-Leitfadens sich als wertbasierter Standard in der evangelischen Kirche etabliert haben.
Die Kirchen wissen gleichwie jeder andere ethische Investor, dass jede Geldanlage wertbasiert ist, es also kein „wertfreies“ Investment gibt. Nur zu gut sind sie sich dabei des Spannungsfelds zwischen „dem ethisch Gewollten und dem finanziell Vertretbaren“ bewusst, auf das sie sich bei ihrer Kapitalanlage begeben. Kirchliche Träger legen daher ihren Investments Abwägungs- und Entscheidungsprozesse zugrunde, die ihre christliche Wertorientierung zur Geltung bringen. Ethik ist dabei keine Kategorie neben sozialen und/oder ökologischen Kriterien, sondern eine diesen stets übergeordnete, welche die drei Themenblöcke E, S und G durchzieht, weil diese bereits ethisch imprägniert sind. Sie ist sozusagen die Hintergrundfolie, auf der die ESG-Kriterien materiell entwickelt und normativ legitimiert werden. Letztlich beruhen alle Anlagekriterien auf moralischen Wertvorstellungen, Annahmen und Haltungen, die mit der Wertorientierung des Investors in Einklang stehen sollen.
Wie alle Investoren müssen sich auch kirchliche Träger bei ihrer Kapitalanlage den Chancen und Risiken des Kapitalmarkts stellen. Glaubwürdigkeit und Transparenz sind die Maßstäbe, welche kirchliches Investment auszeichnen sollen. Denn nur so kann das kirchliche Investment das Profil von Kirche als Wertinstitution ganzheitlich sichern und stärken. Denn die Kirchen wollen mit ihren Geldanlagen dazu beitragen, dass, ethisch gesprochen, das Wohl der Menschen dauerhaft freiheits- und zukunftsgerecht gewährleistet wird.
portfolio institutionell, Ausgabe 7/2018 

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