Die Zukunft: unendliche Weiten
Wie lange braucht man noch Portfoliomanager aus Fleisch und Blut? Künstliche Intelligenz kann Aktien besser selektieren. Inzwischen dringen selbstlernende Roboter auch in die Altenpflege vor – und punkten mit „Empathie“.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem die Redaktion von portfolio institutionell nicht mit Pressemitteilungen geflutet wird, die sich der Digitalisierung im Asset Management und ihren Fortschritten widmen. Das geht bei Big Data los und erstreckt sich natürlich über künstliche Intelligenz und das Ende des Portfoliomanagers aus Fleisch und Blut. In den Schadensabteilungen der KFZ-Versicherer kommen längst Maschinen zum Einsatz und regulieren Bagatellfälle.
Wann wird eigentlich eine Software erfunden, die die interessantesten Pressemitteilungen herausfiltert? Zumal die Software „Word“ seit anno dazumal im Stande ist, Rechtschreibfelher und grammatikalische Schnitzer zu erkennen; man erkennt das daran, dass das Wort rot unterstrichen ist. Korrigieren muss man den Fehler aber selbst. Anders gesagt: künstliche Intelligenz ist ein fast schon alter Hut.
Die Entwicklung bei den Anwendungsmöglichkeiten ist aber rasant. In einem Parforceritt nahm der inzwischen selbstständige Unternehmer und Ex-Google-Manager Christian Baudis die Besucher der Uhlenbruch-Tagung in dieser Woche mit in seine Welt, in der sich heute alles um die Suche nach dem nächsten großen Ding und die Vermittlung der besten Startups an Investoren dreht. Der gebürtige Hesse hängte die Äpfel dann auch sehr hoch. Seine Headline: „Wie die Digitalisierung die Welt verändert“.
Los ging es mit einem rüstigen Rentner der globalen Online-Shopping-Welt: Amazon. Der Schreck des stationären Einzelhandels (Achtung: massive Aktien-Hausse) kennt nach Einschätzung von Christian Baudis „das Risikoprofil meiner Familie sehr gut“. Man habe sich jüngst ein Trampolin zugelegt – so könne Amazon auf ein Einfamilienhaus mit Garten schließen. Der Kauf einer Badehose: ein Indiz für die Urlaubsplanung. Der Kauf von Katzenfutter wiederum deutet darauf hin, … . Schon klar. Schon klar? Baudis erzählte, dass er in jüngster Zeit alle paar Wochen Katzenfutter bei Amazon bestellt habe. Während die Lieferung zunächst geschlagene vier Tage auf sich warten ließ, kam die Ladung mit jeder Bestellung schneller an. Wie kann das sein?
Die Lösung bezeichnete Baudis als das „Amazon-Prinzip“. Mit dem geschickten Einsatz künstlicher Intelligenz nutzt Amazon die Daten seiner Kunden so gut, dass es deren Verhalten prognostizieren kann. Konkret: Manchmal wird die Ware, in dem Fall das Katzenfutter, durch Amazon schon in die Auslieferung gegeben, da hat der Kunde sie noch gar nicht bestellt. Wenn Tante Emma das noch erleben würde; sie würde ihren Laden wohl kurzerhand abfackeln.
Nachwuchs und Führerscheinprüfung
Baudis ließ durchblicken, dass seine Kinder auf den Führerschein pfeifen. Warum soll man auch gute 3.000 Euro für den Lappen ausgeben und dann als Fahranfänger in den Anfangsjahren auch noch horrende Versicherungsprämien berappen, weil einem die Versicherer nicht über den Weg trauen? Da kämen in vier Jahren locker 8.000 Euro zusammen. Das Geld ließe sich prima in ein cooles selbstfahrendes Auto investieren, so Baudis. Und das ist keine Zukunftsmusik mehr. Wer will da noch Fahrlehrer werden? Apropos Ausbildung: Das Arbeitsamt vermittelt nach wie vor gescheiterten Fußball-Profis qua Bildungsgutschein einen Lehrgang als LKW-Fahrer. Doch, wer braucht die in Zukunft? Wenn doch auch Trucks bald ohne Lenker auskommen.
Ebenfalls keine Zukunftsmusik mehr ist der vernetzte Weinberg. Jede Rebe lasse sich heute mit einem Sensor ausstatten. Sie werden vernetzt und teilen dem Weinbauern drahtlos und in Echtzeit mit, wo Wasser- oder Düngerbedarf herrscht oder, wo sich die fiese Reblaus gerade zu schaffen macht. So kann der pfiffige Winzer blitzschnell auf den Bedarf jedes Rebstocks reagieren.
Die wilde Fahrt geht noch weiter. Wer Angst um seinen Arbeitsplatz hat, weil eine wissbegierige Maschine seinen Job bald viel besser erledigt als er selbst, dem steht dennoch die Welt offen. Denn die Entwicklung eines neuen Geschäftsmodells kann so einfach sein: Alternative Daten von einem der wie Pilze aus dem Boden sprießenden Anbieter kaufen, Sensoren ordern (billig!), App basteln. Fertig ist so beispielsweise das mit durchschlagendem Erfolg ins Leben gerufene Geschäftsmodell, bei dem der Kunde über Sensoren im Schuh über die möglicherweise falsche Belastung seiner Füße beim Joggen informiert wird. Und der Versandhandel ist in Windeseile mit im Boot. Er liefert prompt neue Turnschuhe, falls die alten Treter auf dem Zahnfleisch laufen.
Medizinische Quantensprünge
In den Startlöchern stehen auch mit dem Handy vernetzte Silikonpflaster. Wer sie sich auf die Haut klebt, spart den schnellen Check beim Allgemeinmediziner. Denn das hauchdünne Pflaster kann eine erste Diagnose stellen. Google wiederum erforscht eine Linse, die über die Tränenflüssigkeit im Auge den Blutzucker misst. Sollte man jetzt überhaupt noch Medizin studieren, wenn es beispielsweise Scanner gibt, die die menschliche Haut besser auf Hautkrebs screenen als ein geschulter Mediziner, der außerdem auch mal Feierabend braucht und sicher mal einen schlechten Tag erwischt, worunter die Anamnese leidet.
Es wird eine Zeit kommen, so Baudis, da lassen sich Krankheiten besser vorhersehen. Mit der Folge (Achtung, liebe Pensionskassen und Rentenversicherer), dass die Lebenserwartung weiter steigt. Und mit Hilfe sogenannter Neuro-Brigdes sind ungeahnte Dinge bei der Behandlung von Menschen mit Gehirnschäden in Reichweite.
Die Liste der Beispiele, die Christian Baudis im Gepäck hatte, umfasste mehrmals die Platzhirsche Apple und Google. Sie schießen Raketen in die Stratosphäre in der Hoffnung, auch die vom Festland entfernteste Insel mit schnellem Internet zu versorgen. Welcher Telekomanbieter würde schon die vielen tausend Atolle Indonesiens mit Glasfaser an den Rest der Welt anbinden? Google & Co machen das aus dem Orbit und sichern sich so gewaltiges Kundenpotenzial.
Zum Schluss noch eine Frage: Was kommt als nächstes, nachdem das Smartphone praktisch jeden Haushalt erreicht hat? Der Haushaltsroboter, meint Baudis. Der werde unser Liebling. Er sei universell einsetzbar und entwickle sich rasant weiter: In Innenstädten verteilt er die Strafzettel, im Krankenhaus umsorgt er Demente – und zeigt so, dass er mehr Empathie hat, als man von ihm je erwartet hätte.
In diesem Sinne wünscht Ihnen die Redaktion von portfolio institutionell ein schönes Wochenende.
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