Strategien
30. Januar 2017

Studie: Kapitalmärkte unterschätzen Risiken beim Carbon-Ausstieg

Deutsche Investoren unterschätzen das Risiko einer möglichen Carbon-Blase für die Kapitalmärkte noch immer deutlich. Zu diesem Ergebnis kommt das Feri Cognitive Finance Institute in einer gemeinsamen Studie mit dem WWF Deutschland.

„Investitionen in Öl, Gas und Kohle sind Gift für unsere Altersvorsorge und müssen aus den Anlageportfolien der Pensionskassen verschwinden.“ Mit dieser Forderung gingen 2014 die Naturschutzorganisationen WWF und Greenpeace hausieren. Und auch der Politiker Reinhard Bütikofer meldete sich seinerzeit plakativ zu Wort. Laut dem Vorsitzenden der Europäischen Grünen Partei fördert die Finanzbranche „eine CO2-Blase, indem sie in CO2-intensive Finanzanlagen investiert ohne klimapolitische Maßnahmen bei ihren Investitionsentscheidungen zu berücksichtigen. Wenn wir die Erderwärmung begrenzen, werden viele dieser Investitionen allerdings rasant an Wert verlieren“, warnt der Grünen-Politiker.
Drei Jahre später analysiert nun eine Studie von Feri mögliche Auswirkungen der Dekarbonisierung im Energiebereich, also einer Abkehr von kohlenstoffhaltigen Energieträgern, auf die Kapitalmärkte sowie die daraus folgenden Risiken für Investoren und spricht von einer massiven Überbewertung von Öl- und Gasreserven. „Industrien und Geschäftsmodelle, die auf fossilen Brennstoffen beruhen, sehen sich derzeit gravierenden Einschränkungen und schärferen Regulierungen durch die Politik ausgesetzt“, sagt Dr. Heinz-Werner Rapp, Gründer des Feri Cognitive Finance Institute und Initiator der Studie.
Im Zuge der UN-Klimaziele veränderten sich Erfolgsaussichten und Risikoprofile von zahlreichen Branchen grundlegend. Speziell die Bewertungen von Öl- und Gasreserven, die sich auch in den Börsenkursen der Unternehmen widerspiegeln, seien vor diesem Hintergrund massiv überhöht. „Dieses Risiko einer Carbon Bubble wird vor allem von Investoren in Deutschland noch stark unterschätzt“, erläutert Rapp. 
In einzelnen Sektoren der Aktienmärkte seien Abwertungen von 50 Prozent und mehr denkbar, wie dies bei US-Kohleunternehmen bereits geschehen ist. Grundsätzlich reiche die Bedeutung des Problems aber weit über den Energiesektor hinaus – nach typischen Unternehmen der Kohle-, Öl- und Gasbranche könnten über Zweitrundeneffekte andere Industrien wie etwa Automobilhersteller ebenfalls stark betroffen sein. 
„Das Platzen der Carbon Bubble ist für uns keine theoretisch denkbare Möglichkeit mehr, sondern Gewissheit“, fügt Rapp hinzu. Das Thema habe vor allem in Deutschland zeitliche Brisanz, da hier in nächster Zeit der regulatorische Rahmen in Sachen Klimaschutz deutlich enger gezogen werde.
Gigantische Vermögensverluste
„Die Aufgabe emissionsintensiver Geschäftsmodelle werden wir in vielen Bereichen auch jenseits von Öl und Kohle sehen“, sagt Matthias Kopp, Leiter des Bereichs Sustainable Finance des WWF Deutschland. Um die Einhaltung der UN-Klimaziele etwa in Deutschland gewährleisten zu können, müssten laut WWF bis zum Jahr 2035 Braun- und Steinkohle komplett durch klimafreundlichere Energien ersetzt werden.
Bereits in den kommenden Jahren müssen knapp die Hälfte heutiger Anlagen anders bewertet werden. Die damit einhergehende Transformation der Realwirtschaft sowie die Regulierung der Emissionsbudgets wirken sich unmittelbar auf die Finanzmärkte aus. Eine gezielte Politik der Dekarbonisierung würde weltweit Vermögenswerte im deutlich zweistelligen Billionenbereich betreffen. Ein Platzen der eigentlichen „Carbon Bubble" könnte nach Schätzungen externer Experten an den weltweiten Börsen Vermögensverluste von bis zu 1,5 Billionen Dollar auslösen. 
Portfoliorisiken für institutionelle Investoren 
Laut der Studie betrifft die Carbon-Blase insbesondere Portfolios von institutionellen Investoren wie Pensionskassen oder Versicherern. „Unsere Szenariorechnungen zeigen, dass Wertverluste aus Carbon-Risiken dort den gesamten Zinsertrag eines Jahres vernichten könnten“, warnt Rapp. Vorsicht sei auch bei den weit verbreiteten passiven Investmentstrategien angebracht. Die in den klassischen Indizes enthaltenen Carbon-Risiken seien Investoren oftmals nicht bewusst.
Noch stärkere Effekte ergäben sich bei Value-basierten Portfolios mit Fokus auf bestimmte Branchen- oder Dividendentitel. Dort könnte ein Platzen der Carbon-Blase zu sehr deutlichen Verlusten führen. „Das betrifft auch Privatanleger“, so Rapp. Bislang hätten sich Investoren in Deutschland mit diesem Thema nicht ausreichend beschäftigt. Eine systematische Risikoanalyse sowie eine strategische Neuausrichtung der Investitionsentscheidungen seien somit dringend erforderlich.
Neuartiger methodischer Ansatz 
In der Studie „Carbon Bubble und Dekarbonisierung – Unterschätzte Risiken für Investoren und Vermögensinhaber“ analysieren Feri Cognitive Finance Institute und WWF das Ausgangsproblem der Carbon-Blase und ermitteln anhand unterschiedlicher Szenarien mögliche Auswirkungen auf die Performance institutioneller und privater Portfolios. Die Studie basiert auf der professionellen Einschätzung eines gemeinsamen Analyse-Teams von Feri und WWF unter Einbeziehung aktueller Forschungsergebnisse, einschlägiger politischer Beschlüsse sowie möglicher Antizipations- und Reaktionsprofile betroffener Kapitalmärkte und Marktteilnehmer.
„Vor allem institutionelle Kapitalanlagen unterliegen heute einem komplexen Zusammenspiel unterschiedlichster Einflussfaktoren aus Politik, Umwelt, Gesellschaft und Finanzmärkten. Daher haben wir nicht nur die grundsätzlichen Zusammenhänge erläutert, sondern auch konkrete Auswirkungen auf typische Portfolios strategischer Investoren mit Zahlen belegt“, erläutert Dr. Heinz-Werner Rapp den neuartigen methodischen Ansatz der Studie. 
portfolio institutionell newsflash 27.01.2017/Tobias Bürger
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