Schwarzer Schwan
22. Juli 2016

Wider die Krisen

Brexit-Votum, Putschversuch und Terroranschlag. Schaut man auf die Börsen, muss man sich fragen: War da was?

Aktienmärkte waren einst Krisenbarometer. Doch damit scheint es vorbei. Trotz diverser Krisen in den vergangenen Wochen bleiben die Bullen erstaunlich cool. Bestes Beispiel ist das Brexit-Votum der Briten. Zwar herrschte an den Märkten zunächst ein erhebliches Maß an Verunsicherung, doch inzwischen ist die Normalität zurückgekehrt. Einige Indizes, wie etwa der S&P 500, verzeichnen sogar neue Höchststände. Auch der deutsche Leitindex Dax hat die zwischenzeitlich gerissene Kurslücke durch das Referendum der Briten wieder geschlossen. Daran konnte auch das Auftauchen einer neuen Krise nichts ändern.
Der gescheiterte Putschversuch am Bosporus war für Dax-Anleger ein absolutes Non-Event. Doch nicht nur ihnen waren die Vorfälle in der Türkei offenbar völlig Wurst, auch in Asien, Australien und anderen Teilen der Welt waren der gescheiterte Putschversuch, die anschließende Entlassungswelle beim Militär, unter Juristen und Beamten sowie die Aussicht auf die Wiedereinführung der Todesstrafe unter Machthaber Recep Tayyip Erdoğan kein Grund, Aktien auf den Markt zu werfen. Vielmehr hat der ausgewiesene Erzfeind des Satirikers Jan Böhmermann einmal mehr bewiesen, dass er mit seinen Kritikern nicht lange fackelt. Alle Gegenspieler werden unvermittelt vor vollendete Tatsachen gestellt; das ist gut für die Börsen, weil es Fakten schafft und Unsicherheit nimmt. Ein Staatsmann wie Recep Tayyip Erdoğan hat eben auch seine guten Seiten. 
Trotz südamerikanischen Temperaments: Bullen bleiben cool
Aktienmärkte als Krisenbarometer taugen auch in Südamerika nicht mehr. Trotz schwerer Krisen eilen die dortigen Börsen von Rekord zu Rekord. Ein Beispiel? Nur wenige Wochen vor den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro herrscht am Zuckerhut äußerst miserable Stimmung. Kein Wunder, denn der Volkswirtschaft geht es so schlecht wie selten zuvor in ihrer Geschichte. Sinnbild dafür sind die jüngsten Absatzzahlen des nationalen Automobilverbands Brasiliens, Fenabrave. Jahrelang konnte dieser immer neue Rekorde vermelden, nicht aber im ersten Halbjahr 2016. Laut einem Bericht der FAZ haben die Brasilianer in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 25 Prozent weniger Autos, Busse und LKW gekauft als im Vorjahr. „Ein nie dagewesener Rückgang in einem Land, in dem wegen des Mangels an öffentlichen Verkehrsmitteln jeder aufs Auto angewiesen ist“, kommentierte die FAZ. Mit Blick auf die herrschende Inflationsrate, die jüngst auf rund zehn Prozent geklettert ist, kann das allerdings kaum verwundern. Da kann einem das Autokaufen durchaus vergehen. Besserung ist vorerst nicht in Sicht. Schätzungen zufolge wird die Wirtschaftsleistung des Schwellenlandes in diesem Jahr um vier Prozentpunkte zurückgehen.
Nun würde man erwarten, dass sich dieser wirtschaftliche Alptraum auch an der Börse widerspiegelt. Mitnichten! Denn was haben wir bereits gelernt? Die Bullen bleiben trotz Krisen cool – auch in Brasilien. In Euro gerechnet hat der Bovespa-Index in den vergangenen sechs Monaten um rund 48 Prozent (YTD) zugelegt. Auf solche Spitzenwerte kommt keine andere der großen Börsen dieser Welt. Noch ein Müh stärker haben sich laut Bloomberg die Aktienkurse in Peru entwickelt – mit gut 50 Prozent. Und selbst im jahrelang gebeutelten Argentinien lässt die Börse ihre Anleger mit einem Plus von 35 Prozent in den vergangenen sechs Monaten wieder jubeln.
Als Erklärung für die Euphorie an den lateinamerikanischen Börsen könnte man nun die Stabilisierung Chinas vermuten. Oder die vorerst vom Tisch genommene Leitzinserhöhung der US-Notenbank Fed. Doch wahrscheinlich ist die Erklärung mit Blick auf die grassierenden Krisen in Südamerika viel einfacher: „Schlimmer geht‘s nimmer“. 
In diesem Sinne wünscht Ihnen die Redaktion von portfolio ein krisenfreies Wochenende.

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