Alternative Anlagen
10. August 2016

Versicherungen und Infrastruktur: Zeit für mehr Alternativen

In diesem Gastbeitrag widmen sich Christian Moersch und Dr. Carsten Zielke der Anlageklasse Infrastruktur. Sie argumentieren: Infrastrukturinvestitionen können qualitative Investorenanreize wie Sicherheit, Stabilität und Vorhersehbarkeit von Zahlungsströmen in Aussicht stellen.

Das Kapitalmarktumfeld durchlebt einen umfassenden Wandel. Kapital­marktrenditen traditioneller Anlageformen befinden sich aufgrund des anhaltenden Niedrigzinsumfelds langfristig auf tiefen­ Niveaus.­ Gleichzeitig durchdringt die Regulierung alle Marktbereiche, entfaltet ungewollte Wechselwirkungen und schränkt die Geschäftsmodelle nahezu aller Marktteilnehmer spürbar ein. Bestehende­ Funktionen und Marktstrukturen sind deshalb einem Anpassungsprozess ausgesetzt. Dies ist insbesondere bei Versicherungen und der sich weiterentwickelnden Anlageklasse Infrastruktur zu beobachten.

Die deutsche Lebensversicherungsbranche wird unter anderem durch die Zinszusatzreserve (ZZR) beeinträchtigt. Die ­Versicherungen mussten in den vergangenen drei Jahren ein Drittel ihrer stillen ­Reserven heben, um diese Rücklage zu bedienen. Die Durchschnittsrendite in den Anleiheportfolios der Versicherer sinkt aufgrund der Nachbefüllung der Reserve noch schneller als durch die Marktlage ­ohnehin. Zusätzlich könnte bei einer Fortschreibung des ZZR-Effekts bis ins Jahr 2018 eine Deckungslücke von bis zu 30 Milliarden Euro in der deutschen Lebensversicherungswirtschaft entstehen. Diese würde durch eine grundsätzliche Erweiterung der Anlagepolitik und zusätzlichen Risikokapitalbedarf noch größer. Statt Rücklagen zu befüllen, müsste das Kapital aufgrund stark gesunkener Zinsen in deutlich ­riskantere Anlagen fließen, um die laufende Verzinsung zu halten. Neben der unter Druck stehenden Zinsergebnissituation wiegt die ­geringe Kapitalausstattung der Lebensversicherer von rund 1,4 Prozent schwer. Für eine Vielzahl von Versicherern lägen die Eigenmittel bei sofortiger vollumfänglicher Anwendung von Solvency II ohne Übergangsmaßnahmen unter den künftigen Anforderungen.

Die ­Deckungslücke sollte im Interesse aller Beteiligten über alle Ebenen hinweg zielorientiert diskutiert werden. Folgende Lösungen sind in diesem Zusammenhang zu nennen: die Umwandlung der ZZR in ­Eigenkapital, die Senkung des Garantiezinssatzes auch für „Alt“-Verträge auf ein Prozent ab 2016, eine mögliche Kapital­erhöhung durch alle Lebensversicherer um insgesamt 30 Milliarden ­Euro, die Einführung eines Viability-Tests und Einrichtung zusätzlicher, beispielsweise staatlicher Sicherungsmechanismen, die Ergänz­ung der HGB-Berichterstattung durch IFRS zur Erhöhung der Transparenz für Kunden und die Diversifizierung der Allo­kation sowie die Erhöhung der Sachwertquote zur Erschließung neuer Renditequellen.

Als eine kurz- bis mittelfristig umsetzbare Maßnahme zur Adressierung­ der Deckungslücke erscheint die Anpassung der Asset-­Allokation – insbesondere über alternative Anlagen. Der Anpassungsprozess der Asset-Allokation findet in ­einem sich verändernden ­regulatorischen Korsett statt. Aufgrund der Abkehr von der ­Anlage­verordnung hin zum novellierten Versicherungsaufsichts­gesetz können Versicherungen zur Bestimmung der Eigenmittelausstattung (Solvabilität) nicht mehr den rückwärtsgerichteten, quanti­tativen, quotenbasierten Ansatz nutzen. Diese müssen sich statt­dessen einem ­zukunftsgerichteten, qualitativen und marktwertbasierten Ansatz ­zuwenden. Dies bedingt für Versicherungen oft eine höhere Eigenmittelunterlegung und beinhaltet – vor allem bei der ­Anlageklasse ­Infrastruktur – substanzielle operative Anforderungen. Auch die ­oper­ativen Anforderungen an die Beurteilung und ­Steuerung von ­Risiken sowie die Produktzulässigkeit haben sich durch die ­Anpassung des Versicherungsaufsichtsrechts substanziell erhöht.

Versicherungen mögen die Anlageklasse Infrastruktur
Die sich entwickelnde alternative Anlageklasse Infrastruktur ist nicht ohne Grund in der strategischen Agenda von vielen Versicherungsunternehmen verankert und bereits in vielen Kapitalanlageportfolios präsent. Infrastrukturinvestitionen können qualitative Investorenanreize wie Sicherheit, Stabilität und Vorhersehbarkeit von ­Zahlungsströmen in Aussicht stellen. Zudem können Diversifikations­effekte über unterschiedliche Branchen, Regionen oder Währungen erzeugt werden. Die Existenz quantitativer Investorenanreize wie eine krisenresistente Wertentwicklung, eine Entkopplung der Korrelation, eine niedrige Volatilität im Vergleich zu traditionellen Anlageklassen, geringere Ausfallraten und ein höheres Wertaufholungspotenzial im Vergleich zu anderen Industriesektoren können angenommen werden. Diese Faktoren sind allerdings schwer zu analysieren. Der Infrastrukturmarkt ist ein komplexes Gebilde – stark fragmentiert bei gleichzeitig unübersichtlicher Datenlage. Es gibt unterschiedliche Marktteilnehmer, Finanzierungsabnehmer, Finanzierungsarten ­sowie standardisierte und individuelle Investitionsformate. Versicherungen haben – je nach Institutsgröße sowie Ausbaustufe und Erfahrung mit der Anlageklasse – Investitionen getätigt beziehungsweise Projekte angestoßen. Die Investitionen erfolgen in direkter und indirekter Form, als Eigenkapital- und Fremdkapitalinvestitionen. Direkte Invest­ments erfolgen über syndizierte Kredite, Projektkredite, Projekt­finanzierungen, Projektanleihen und Verbriefungslösungen. Indirekte­ Investments werden über Asset-Management-Lösungen wie Infrastrukturfonds realisiert.

Im Fokus stehen nationale Projekte im Transport- und Energie­infrastrukturbereich – teilweise über den gesamten Projektlebens­zyklus hinweg. Da die Definition der Anlageklasse Infrastruktur von Haus zu Haus abweicht und Investitionen über verschiedenste ­Formate umgesetzt werden, sind die tatsächliche, relative Allokation und absolute Anlage der Versicherungsunternehmen nur schwer zu beziffern. Eine genaue Bestimmung der gesamten Kapitalanlagen im ­Bereich Infrastruktur ist aufgrund einer heterogenen Datenlage nicht möglich. Die deutsche Erstversicherungsbranche ist laut dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) immer noch zu rund 90 Prozent in traditionelle festverzinsliche Anlagen ­allokiert. Lediglich zwei Prozent entfallen auf alternative Anlageformen. Legt man die Gesamtkapitalanlage aus der Bafin-Statistik­ in Höhe von 1.409 Milliarden Euro zugrunde, entspricht das ­einer Summe von rund 28 Milliarden Euro. Die Definition des GDV von alternativen­ Investitionen umfasst Hedgefonds, Asset Backed ­Securities, Private Equity, Rohstoffe und Derivate. Die vom GDV ­veröffentlichten Zahlen weisen die Anlageklasse Infrastruktur nicht explizit aus. Diese findet sich vermutlich auch anteilig bei Private ­Equity. Die nachfrageseitige Analyse des Infrastrukturmarktes lässt allerdings darauf schließen, dass die Kapitalanlagen seitens der Ver­sicherer im Bereich Infrastruktur wahrscheinlich umfangreicher sind.

Neue Zugänge der Infrastruktur-Projektfinanzierung
Die Bankenregulierung führt zu einer zunehmenden Entflechtung des Kreditfinanzierungsmarktes. Der Projektfinanzierungsmarkt ist davon besonders betroffen. Banken, die klassischerweise den Großteil der Projektfinanzierung gestellt hatten, agieren nun verhaltener, da das große Volumen und die meist langen Laufzeiten von Infrastruktur-Kreditfinanzierungen die Bilanzen der Institute bezüglich des Risikokapitals belasten. Es besteht gleichzeitig ein hoher ­Bedarf an Ersatzinvestitionen. Daher verändern sich die Primär- und Sekundärmärkte für Infrastrukturfinanzierungen in Bezug auf Angebot, Nachfrage, Teilnehmer, Strukturen, Prozesse und Instrumente.

Viele Versicherer nutzen bei angespannter Risikotragfähigkeit und im Kontext der regulatorischen Anforderungen von Solvency II Übertragungswege, um sich über indirekte versicherungsregulatorisch effiziente Investitionen einen Zugang zur Anlageklasse Infrastruktur zu verschaffen. Bedingt durch die sich einengenden Renditen lassen sich nach Abzug aller Kosten insbesondere mit indirekten Investitionen allerdings kaum die notwendigen Erträge erwirtschaften. Hierbei sollten Versicherungen darauf achten, dass sich die ­Fehler der Finanzmarktkrise nicht wiederholen – Stichwort Kreditverbriefungen wie Asset Backed Securities (ABS) und „One-size-fits-all“-Produkte. An den Risiken solcher Lösungen ändern mögliche Legitimationen durch Rating-Agenturen und eine risikokapitaleffiziente Verpackungslösung weiterhin nichts. Eine möglichst individuelle ­Investition, die eine tiefere Durchdringung der Investitionswertschöpfungskette im Infrastrukturbereich zur Erzielung einer risikoadjustierten Rendite ermöglicht, sollte angestrebt werden. Im Hinblick auf die Regulierung, die Rechnungslegung und die strategische Perspektive eines Versicherungsunternehmens muss vielmehr eine spezifische, risikoadjustierte Renditebetrachtung stattfinden. Dazu müssen Versicherungsunternehmen unter Beachtung der eigenen Evolutionsphase sowie der regulatorischen und bilanziellen Anforderungen die Wertschöpfungskette einer Infrastrukturfinanzierung stärker durchdringen. Eine beispielhafte Wertschöpfungskette könnte aus vier ­verschiedenen Modulen bestehen: Marktüberblick, Asset-Analyse, Umsetzung und Risikomanagement. Welche Teile der Wertschöpfungskette man intern aufbaut und welche auslagert, ist von der individuellen Situation abhängig. Eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Asset-Allokation im Bereich Infrastruktur und der zugehörigen Investitionsprozesse sowie der Risikomanagementstrukturen durch die Versicherungsunternehmen sind meist unumgänglich.

Der Weg ist das Ziel

Die Erweiterung der Diversifikation und die stärkere Durchdringung der Anlageklasse Infrastruktur bringt für Versicherer viele ­Anforderungen. Das betrifft den Asset-Zugang, die Asset-Analyse, die Umsetzung und das Risikomanagement. Diese werden dadurch verstärkt, dass die Infrastrukturrenditen unter Druck stehen. Je weiter vorne in der Wertschöpfungskette der Versicherer investieren kann, desto höher sind die Chancen auf höhere Renditen. Der dahinter­liegende Prozess ist aber hochgradig individuell und bedarf oft noch ­einer situativen Auseinandersetzung sowie einer spezifischen Herangehensweise beim Ausbau interner oder externer Kompetenzen. So kann die Versicherung langfristig ohne oder mit geringer Zwischenschaltung von Intermediären näher an das Asset heranrücken.

Somit stehen Versicherer künftig vermehrt vor der Entscheidung „make or buy“. Der Weg der möglichst individuellen Annäherung an die Anlageklasse bleibt das Ziel, um risikokapitaloptimierte sowie ­risikoadjustierte Renditen bei vertretbarem regulatorischen Aufwand und akzeptablen Kosten zu ermöglichen.

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