Banken
15. Februar 2016

Neues vom Bembelboy: Wider die Compliance-Gesellschaft

Was dazu beitragen soll, Korruption zu verringern, führt dazu, dass wir einem Pauschalverdacht ausgesetzt werden. Außerdem findet Korruption nach wie vor statt – wobei es in der Natur der Sache liegt, dass diese sowieso nur ganz oben stattfindet – und nicht unten, wo akribisch auf Compliance-Regeln geachtet wird.

„Bembelboy“ ist ehemaliger Sales-Trader einer großen Bank. Für portfolio institutionell blickt er als Undercover-Agent und Kommentator hinter die Kulissen.
Der Fußballverband Fifa scheint mittlerweile jede Woche für einen neuen Korruptionsskandal gut zu sein. Ein normaler Mitarbeiter bis hin zum Mittelmanagement hätte diese Möglichkeiten zur Korruption gar nicht. Deshalb frage ich mich, ob Compliance, wie wir sie derzeit in der deutschen Industrie leben, überhaupt zielführend ist. Hinzu kommt das Naturgesetz, dass eine Krähe der anderen kein Auge aushakt – wie wir im Fall „Hoeneß“ gesehen haben (um beim Fußball zu bleiben). 
Beim FC Bayern sitzen immerhin Dax-Konzerne wie VW und Telekom im Aufsichtsrat, die sich einer besonders strengen Compliance rühmen – aber Uli Hoeneß bleibt Präsident des FC Bayern – obwohl seine Schuld schon damals unzweifelhaft war, da er sich selbst angezeigt hatte. Umso erstaunlicher ist es für mich, dass Christian Wulff zurückgetreten ist und nicht abgewartet hat, bis seine Unschuld bewiesen wurde. Deshalb scheinen die so gut gemeinten Compliance-Regeln gar nicht ihren augenscheinlichen Zweck zu erfüllen, sondern dienen unserer Beruhigung, „es wird ja was getan“. 
Stichwort „Geschenke“
Alle „Geschenke“ über 50 Euro mussten bei meiner alten Bank „gemeldet“ werden, sonst setzt man sich dem Pauschalverdacht aus, bestochen worden zu sein. Lassen Sie sich etwa für 50 Euro bestechen und damit auf die gleiche Stufe wie eine Laufhaus-Prostituierte stellen? Mich stört diese Unterstellung, so billig zu sein. Sachaufwendungen über 150 Euro dürfen erst gar nicht mehr angenommen werden – es sei denn, man gehört dem Top-Management und seinen „Paladinen“ an. 
Schon das ist eine unglaubliche Diskriminierung, dass ein normaler Mitarbeiter als bestochen gilt, wenn er ein Geschenk annimmt, ein Vorstand hingegen nicht. Fragt man bei der firmeninternen Compliance-Stelle nach, darf man die Geschenke mit einem Gesamtwert von unter 150 Euro behalten – nur schriftlich gab es das in meinem Fall nicht! Also habe ich ein Paket geschnürt und es auf eigene Kosten zurückgeschickt. Obwohl der Absender mir eine Freude machen wollte – man nennt das „menschliches Miteinander“ –, durfte ich es nicht annehmen, weil ich mich heutzutage keinem Korruptionsverdacht aussetzen möchte. Dann ist es auch kein Wunder, warum unsere Gesellschaft sozial total erkaltet. Wenn ich niemandem mehr eine Freude machen darf, weil ich ihn damit dem Verdacht der Bestechlichkeit aussetze, dann wird unser soziales Verhalten bestimmt nicht gefördert. 
Wir entmündigen uns mit diesen „Regeln“ selbst und verlernen, Werte zu leben. Wir wissen immer weniger, was richtig, was falsch ist. Durch die Möglichkeit, unser Berufsleben und dessen Abläufe zu „digitalisieren“, sind den Kontrollmöglichkeiten kaum Grenzen gesetzt. Dadurch kann ein Arbeitgeber auch viel leichter Fehlverhalten „nachweisen“ – und sei es eine ungemeldete Essenseinladung bei der Currywurst-Bude um die Ecke. Durch die wachsende Verunsicherung etwas falsch machen zu können, die durch die besseren digitalen Überwachungsmöglichkeiten noch verstärkt wird, „entscheiden“ wir uns „auf Nummer sicher zu gehen“ – und geben damit dem Pauschalverdacht sogar noch Futter. 
„Compliance“ beinhaltet natürlich nicht nur Korruption, sondern auch die Befolgung interner Arbeitsabläufe, Indexierungen (vor allem bei Banken beziehungsweise Währungskursen, Goldpreisen oder Zinssätzen) oder den Verzicht auf kriminelle Machenschaften (Geldwäsche, Finanzierung von Terror-Organisationen). Diese ganze „Regulatorik“ ist ein Korsett, welches uns das Leben noch sehr schwer machen und nicht einmal ihr Ziel erreichen wird. Denn durch die Digitalisierungsmöglichkeiten arbeitet das Management daran, jegliche Verantwortung weg zu delegieren beziehungsweise auf eine „App“ zu verlagern („Das Management gibt Dir ´ne App – und Du bist weg“). Die Arbeitsprozesse werden demnach so gestaltet, dass das Management, welches meiner Ansicht nach wirklich für Korruption zuständig ist, nicht zu belangen ist. Das sieht man beispielsweise an den „Pseudo-Schulungen“ bei Banken zum Thema „Geldwäsche“, bei denen die Mitarbeiter alle zwei Jahre einen Test bestehen müssen. Da dieser Test zum Glück nicht schwer beziehungsweise für jeden normalen Mitarbeiter zu bestehen ist, unterstelle ich mal, dass dies auch so vom Management gewünscht ist – denn nur so können sie Ihre Verantwortlichkeit an die Belegschaft delegieren. 
Der Segen von Smartphones
Natürlich ist das kein neues Lied, das es eben „Gleichere unter den Gleichen“ gibt. Neu ist, dass wir uns dieses Korsett freiwillig anziehen und dem Pauschalverdacht damit einmal mehr Berechtigung geben, obwohl es nur um 100 Euro geht. Da die Regeln ja transparent sind, weiß jeder Bescheid. Also, ich kenne kaum jemanden, der wirklich alle Compliance-Regeln en détail kennt. Außerdem ist das ja eine weitere Komponente des Reinwaschens des Managements – das Verkünden von (neuen) Arbeitsprozessen via E-Mail –, auch wenn diese Information erst nach 18 Uhr versendet wird und ab dem nächsten Arbeitstag gilt. Da muss dann wohl keine Sorge mehr dafür getragen werden, dass das alle verstanden haben. Worum auch? Können ja alle lesen. Dass neue Arbeitsanweisungen auch mal gute 40 eng beschriebene Textseiten umfassen, darf in den Augen des Managements kein Hinderungsgrund sein, nicht die neuen Regeln bereits am nächsten Tag zu kennen. Dafür haben die Mitarbeiter schließlich tolle Smartphones bekommen, damit die ständige Erreichbarkeit implizit dazu führt, dass sie über alles rechtzeitig informiert sind, ob sie die Mitteilung nun gelesen haben oder nicht, ist damit irrelevant. 
Compliance, wie sie jetzt von uns verlangt wird, funktioniert nicht. Sie lähmt unsere Gesellschaft und fördert soziale Verkümmerung. Auch die Grenze von 50 Euro ist nicht zeitgemäß, denn ein Geschäftsessen muss dann bescheiden ausfallen, um bloß keine Grenze zu überschreiten. Deshalb ist es auch schon ein Akt der Gnade, wenn man einen Kunden einladen darf, selbst wenn man jede Woche mit ihm Geschäfte macht. Laden wir den Kunden allerdings nicht ein, dann fragt er sich, „bin ich nicht etwa ein guter Kunde?“. 
Wo ist hier die Grenze? Eine Frage, die sich vor allem durch die Einführung von Compliance aufdrängt. Denn früher wusste man schließlich noch, welche Art von Aufmerksamkeit dem menschlichen Miteinander dient und welche eine Bestechung sein muss. Und genau das ist meiner Ansicht nach der gangbare Weg. Denn sage ich jetzt zum Beispiel „5.000 Euro oder drei Monatsgehälter“, führt das dazu, dass sich ein Vorstand 120.000 Euro schenken lassen kann, ohne Fragen beantworten zu müssen, wenn sein Gehalt mehr als 500.000 Euro beträgt. 
Christian Wulff konnte alle Verdachtsmomente ausräumen, bis es am Schluss um eine Einladung zum Oktoberfest im Wert von unglaublichen 300 bis 400 Euro ging. Natürlich vermuten Insider, dass Herr Wulff aufgrund seiner Euro-kritischen Haltung und seiner Ablehnung von Euro-Bonds „zum Rücktritt gebeten wurde“. Und diese Missbrauchsmöglichkeit ist der eigentliche Zweck von Compliance – gegen jeden etwas in der Hand zu haben, wenn man es braucht. Sepp Blatter ist übrigens offiziell noch immer der Capo di tutti i capi der Fifa. 
portfolio institutionell newsflash 15.02.2016 
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