Schwarzer Schwan
6. November 2015

Schwarzer Montag für Indexfonds

Der 24. August 2015 war eigentlich ein ganz gewöhnlicher Börsentag, zumindest bis zum Beginn des Aktienhandels in New York. Dann erlebten Anleger von Indexfonds ihr blaues Wunder beziehungsweise einen Schwarzen Schwan.

Es geht wieder los: Die ersten Weihnachtseinladungen läuten den Jahresendspurt ein. Zeit, dem Christkind einen Wunschzettel und für die Leser Jahresrückblicke zu schreiben. Der 24. August 2015 begann aus Sicht US-amerikanischer Anleger reichlich volatil. Die Börsen in Übersee hatten Verluste von drei bis fünf Prozent eingefahren, der S&P-500-Future notierte kurz vor Börseneröffnung in den Vereinigten Staaten etwa fünf Prozent im Minus. Dann wurde es hektisch: Anleger überfluteten den Aktienmarkt mit unlimitierten Verkaufsaufträgen. Laut der New York Stock Exchange lag das Ordervolumen an jenem Montag im August viermal so hoch im Vergleich mit durchschnittlichen Handelstagen.
Weil die Anleger panikartig große Verkaufsaufträge ohne Kurslimit in den Markt gaben und den Orders nicht genügend Käufer gegenüberstanden, kam es in den ersten 15 Handelsminuten zu extremen Kursausschlägen. Der Vermögensverwalter Flossbach von Storch listet in seinem neuen Quartalsbericht die größten Kurseinbrüche der ersten Handelsminuten auf. So verzeichneten Schwergewichte wie Ford, Colgate-Palmolive und General Electric an jenem Montag Kursverluste von mehr als 20 Prozent. Von den im S&P 500 enthaltenen Titeln fielen bei dem Flash Crash mal eben 105 Aktien kurzfristig um mehr als zehn Prozent. Das operative Geschäft dieser 105 Unternehmen war also innerhalb von ein paar Minuten weniger wert – schließlich hat der Markt immer Recht!  
Betroffen waren interessanterweise nicht nur Einzelwerte, sondern auch Indexfonds, bei denen normalerweise Arbitrage-Mechanismen dafür sorgen, dass sie immer in der Nähe ihres fairen Wertes notieren. Denn Market Maker und auch Investoren kaufen in Windeseile Indexfonds, sobald das jeweilige Produkt mit einem Abschlag zu seinem zugrundeliegenden Portfolio handelt. Das ist im Grunde genommen ein totsicheres Geschäft, ein Free Lunch, wenn man sich noch im selben Augenblick hedgen kann. Unter den meisten Marktbedingungen sorgt diese Handelsaktivität dafür, dass der Kurs eines börsennotierten Indexfonds im Einklang steht mit dem jeweiligen Indexportfolio. 
Nicht so an jenem 24. August! Zahlreiche an Indizes gekoppelte Anlageprodukte sackten zu Handelsbeginn dramatisch ab und notierten mit erheblichen Abschlägen gegenüber den ihnen zugrundeliegenden Portfolios ohne, dass sich Market Maker hier mit Käufen engagiert hätten. Ein ETF des amerikanischen Fondsanbieters Wisdom Tree beispielsweise verlor zeitweise 43,2 Prozent, obwohl die Aktien seiner Benchmark nur 4,7 Prozent im Minus rangierten. Erhebliche Abweichungen gab es laut Flossbach von Storch auch bei den ETF anderer Anbieter. Viele Indexfonds wurden aufgrund der Turbulenzen für kurze Zeit sogar vom Handel ausgesetzt. Wer hätte das jemals für möglich gehalten? 
Auf den letzten Drücker 
Was war passiert? Laut einer brandaktuellen Untersuchung des weltgrößten Asset Managers Blackrock kam es zu einer Kombination gleich mehrerer Faktoren, die die Market Maker in ihrer Aktivität beeinträchtigt haben. Es habe beispielsweise an Preisindikationen für viele Aktien gemangelt. Aufgrund dieses Problems und weiterer Aspekte seien die Market Maker nicht in der Lage gewesen, am „Arbitrage-Mechanismus“ zu partizipieren. Man könnte auch sagen, sie stocherten bei der Bewertung der Aktien und damit auch der Fonds im Nebel. 
Zwischen den Zeilen des Flossbach-Quartalsberichts, der unter anderem von Kapitalmarktstratege Philipp Vorndran verfasst wird, liest man eine gewisse Schadenfreude heraus. Zumal sich die Kölner im Tagesgeschäft als aktive Fondsmanager in Szene setzen und mit Indexfonds nichts am Hut haben. Ob Schadenfreude oder nicht, entscheiden Sie selbst: „Das Liquiditätsversprechen, das ETF abgeben, wurde bitter enttäuscht, was Anleger, deren ‚Stop-Loss‘-Orders weit unter dem fairen Wert der Produkte ausgeführt worden sind, am 24. August schmerzlich zu spüren bekamen“, heißt es in dem Quartalsbericht. Offenkundig sei aber auch die Verlockung, sekundenschnell und mobil noch „verkaufen zu können, bevor es zu spät ist“, für zahlreiche Anleger unwiderstehlich. 
Flossbach argumentiert, dass klassische Index- oder auch Publikumsfonds, die nur einmal am Tag verkauft werden können und keine euphemistische Stop-Loss-Funktion offerieren, für viele Investoren sinnvoller seien. Sie schützten besser vor impulsivem Handeln, das sich an der Börse selten auszahle. Oder wären Investoren besser geschützt, wenn die Banken weniger reguliert wären und antizyklisch kaufen könnten? Diese Meinung gab Jürgen Fitschen, Noch-Vorstand der Deutschen Bank, vor ein paar Wochen treuherzig zum Besten und hat dabei vielleicht noch ein paar Krokodilstränen verdrückt. Man fragt sich nur, warum die Banken vor der Regulierungswelle nie Einbrüche am Aktienmarkt verhindert haben. 
Der Schwarze Montag war für Indexfonds jedenfalls ein echter Schuss vor den Bug, zumal die passiv gemanagten Fonds in den vergangenen Monaten und Jahren von Anlegergeldern nur so überschüttet wurden und Anbieter aktiv gemanagter Fonds ob dieses Trends um ihr Überleben bangen dürften.
In diesem Sinne wünscht Ihnen die Redaktion von portfolio ein erholsames Wochenende. 
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