Die Betriebsrente als Wettbewerbsfaktor?
Die betriebliche Altersversorgung (bAV) steigert die Attraktivität von Arbeitgebern, behauptet die deutsche Versicherungswirtschaft. Das ist zwar richtig, das entscheidende Instrument im Kampf um knappe Fachkräfte ist die bAV jedoch nicht. Vor allem zäumt diese Argumentation das Pferd von hinten auf.
Wenn es darum geht, Fachkräfte zu gewinnen und zu binden, steigen die Personalabteilungen deutscher Unternehmen in den Kampfanzug, heißt es beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Der sogenannte „war for talents“ – der Kampf um die Talente – sei in vollem Gange. Bis zu 6,5 Millionen Fachkräfte werden nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2015 fehlen.
Vor allem größere Unternehmen in Deutschland würden darum mit ausgefeilten Strategien und zusätzlichen Leistungen reagieren, um bei Mitarbeitern und Führungskräften zu punkten. Dazu gehöre unter anderem eine gute betriebliche Altersversorgung als Teil eines Gesamtpaketes, um gute Mitarbeiter zu werben und zu halten. Laut einer Studie der Beratungsgesellschaft Towers Watson sagen immerhin 28 Prozent der Arbeitnehmer, das Angebot einer betrieblichen Altersversorgung sei ein wichtiger Grund gewesen, warum sie sich für ihren derzeitigen Arbeitgeber entschieden haben. Und für 41 Prozent ist diese ein wichtiger Grund, um ihrem Arbeitgeber treu zu bleiben. Thomas Jasper, Leiter Retirement Solutions bei Towers Watson, sagt darum: „Für Unternehmen, die sich am Arbeitsmarkt besonders interessant machen wollen, ist die betriebliche Altersvorsorge daher ein interessantes Instrument.“
Diese Aussage führt schnell zu dem Urteil, der deutsche Mittelstand sei dabei, den Kampf um die Fachkräfte zu verlieren, weil dort die bAV-Verbreitung erheblich geringer ist als in Großunternehmen (siehe Grafik). Aber stimmt das? Wie wichtig ist die bAV bei der Arbeitgeberwahl wirklich? Und versagt der Mittelstand im Wettbewerb um Fachkräfte, weil in mittelständischen und kleinen Unternehmen (KMU) die bAV weit weniger verbreitet ist als in Großbetrieben?
Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass die bAV für einen Teil der Arbeitnehmer bei der Wahl des Arbeitgebers zwar wichtig ist, für den größten Teil jedoch nicht entscheidend. „Spielt die bAV für Sie bei der Wahl eines Arbeitgebers eine Rolle?“, fragte das Beratungsunternehmen Pricewaterhouse Coopers im vergangenen Jahr Arbeitnehmer. „Ja ich würde mich für den Arbeitgeber mit dem besseren Angebot an bAV entscheiden“, antworteten 23 Prozent der Befragten. Weitere 30 Prozent sagten ebenfalls „ja“, für sie wäre die bAV aber nicht ausschlaggebend für die Entscheidung. Für 47 Prozent spielt die bAV bei der Wahl des Arbeitgebers überhaupt keine Rolle. Insgesamt stellt die bAV also für 77 Prozent kein entscheidendes Kriterium für die Arbeitgeberwahl dar.
Das Appellieren der Versicherungswirtschaft an die Arbeitgeber, aus Gründen des Wettbewerbs um Arbeitskräfte die bAV einzuführen, ist zwar gut gemeint, aber hilflos. Vor allem werden wieder mal Ursache und Wirkung verwechselt. KMU-Chefs haben nicht deshalb keine bAV, weil sie im Wettbewerb mit Großunternehmen unterlegen wären – damit würde man dem deutschen Mittelstand als wichtigster Säule der deutschen Wirtschaft Unrecht tun – sondern weil die bAV für sie zu wenig attraktiv ist. Der Aufwand ist zu hoch, bAV-Spezialisten im Unternehmen gibt es nicht, es fehlt an Informationen und Unterstützung.
Und da kommt man zu des Pudels Kern: Nicht die KMU sind in erster Linie die Verweigerer, sondern Versicherer und Vertriebe. Das bAV-Geschäft mit den KMU ist zu mühsam. Es ist doch viel einfacher und lukrativer, bAV-Lösungen für einen 1.000-Mann-Großbetrieb unter Mithilfe von Arbeitgeber, Personalabteilung und Betriebsrat zu installieren, als bAV-Verträge in 100 Handwerksbetrieben mit durchschnittlich zehn Beschäftigten zu verkaufen.
Insgesamt 40 Hemmnisse hat Professor Frank Wallau, Mittelstandsexperte von der Fachhochschule für Wirtschaft in Paderborn, im Auftrag der Bundesregierung identifiziert, die eine Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung vor allem im Mittelstand erschweren. Arbeitgeber und Arbeitnehmer wüssten zum Beispiel zu wenig über die Möglichkeiten bei der betrieblichen Altersversorgung.
Er sieht darum auch die Politik in der Pflicht. „Wir müssen nicht nur an einer Stellschraube drehen, sondern an sehr vielen – und das gleichzeitig.“ Die derzeitigen Vorschläge der Bundesregierung zu einem „Sozialpartnermodell Betriebsrente“ („Nahles-Rente“) bewertet er allerdings skeptisch. „Die bringen zu wenig und werden den Verbreitungsgrad nicht entscheidend erhöhen.“ Vor allem würde es erneut an den KMU vorbeigehen und vor allem bAV-Lösungen für Großbetriebe favorisieren.
portfolio institutionell newsflash 29.04.2015/Hans Pfeifer
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