Der Eidgenosse und das Eichhörnli
Das Schweizer Altersvorsorgesystem kommt nicht auf den Hund, sondern auf das Eichhörnchen und profitiert dabei von einem natürlichen Kreislauf.
Ist unser Rentensystem überhaupt noch zu finanzieren? Nachdem der Niedrigzins zum Negativzins mutiert ist, wird diese Frage immer akuter. Aber auch die Langlebigkeit wird für Altersvorsorgeeinrichtungen ein immer größeres Problem. Die Langlebigkeit hat für Pensionskassen, mit Verlaub, aber auch eine positive Seite: Mit ihr gehen Alterskrankheiten wie Demenz einher. Und von Demenzerkrankungen profitiert offenbar das Schweizer Pensionskassensystem.
Wie die Nachrichtenagentur SDA berichtete, sind Altersvorsorgegelder in Höhe von 2,7 Milliarden Franken auf der Suche nach ihren rechtmäßigen Besitzern. Und solange diese nicht auftauchen, parkt das herrenlose Kapital bei der Stiftung Auffangeinrichtung BVG. Die Gelder stammen von 600.000 Schweizer Pensionskassenkonten, deren Inhaber verschollen sind. Wir sprechen hier nicht von besonders großen Beträgen, eher von „Peanuts“. Auf einigen Rentenkonten sollen gerade einmal zehn Rappen liegen; die vermisst sicher niemand. Doch es soll auch einige Konten geben, auf denen jeweils über eine Million Franken parken. Und das herrenlose Kapital wird immer mehr. Seit 2009 ist das von der BVG verwaltete „unzustellbare Kapital“ um etwa eine Milliarde Franken gewachsen. Nach Angaben von BVG-Geschäftsführer Max Meili geraten die Pensionsgelder häufig in Vergessenheit, wenn ein Arbeitnehmer seine Stelle wechselt oder den Job für eine berufliche Auszeit unterbricht.
Trotz hochmoderner EDV-Systeme bleibt die große Mehrheit der Kontoinhaber verschollen. Anspruch auf ihr vergessenes Pensionskassenguthaben haben die Besitzer bis zu ihrem 100. Geburtstag. Wer sein Rentenkonto erst zu spät vermisst und sein Vermögen im Greisenalter an den allgemeinen Rententopf verloren hat, für den hat Emil Steinberger einen guten Rat. „Klar fragen sich Leute, die ihre Stelle oder ihr ganzes Vermögen verlieren: Wie soll ich da noch lachen? Trotzdem ist Lachen noch das Einzige, was übrig bleibt“, erklärte der Komiker einst im Interview der Schweizer Sonntagszeitung.
Anleihen aus dem Tierreich
An dieser Entwicklung lässt sich wieder einmal das segensreiche Wirken von Mutter Natur bestaunen. Mutter Natur? Ja! Denn um nichts anderes als einen natürlichen Kreislauf handelt es sich hier in einem Land, in dem Ökonomie und Ökologie Hand in Hand gehen. Außerdem wird die Schweiz gemäß eines Kanzlerkandidaten ja auch von steuerunehrlichen Indianern bevölkert, gegen die er gerne mit der Kavallerie ausgerückt wäre. Wie das Wasser für den Fisch oder der Dschungel für den Tiger sind Finanzen und Geld, zumindest aus deutscher Perspektive, das natürliche Habitat des Eidgenossen. Ohne Nummernkonto, Obligationen oder Geldkoffer kann man sich den Schweizer nun mal nicht vorstellen.
Um dieses empfindliche Ökosystem – Geld ist bekanntlich ein scheues Reh – in einem natürlichen Gleichgewicht zu halten, hat sich Mutter Natur an den Eichhörnchen orientiert. So wie der Schweizer nämlich für die Rente Vorsorge trifft, legen sich Eichhörnlis für den Winter einen Vorrat an Nüssen an. Die Nüsse werden jedoch nicht auf irgendwelche Konten eingezahlt, sondern kurzerhand vergraben. Eichhörnchen sind aber nicht in der Lage, sich alle Verstecke einzuprägen. Werden die verbuddelten Vorräte vergessen, beginnen die Samen im Frühjahr zu keimen. Deshalb spricht Wikipedia den Eichhörnchen eine wichtige Rolle bei der Erneuerung und Verjüngung des Waldes zu. Gleichsam kommen vergessene Pensionsgeldervorräte dem Pensionssystem zugute, indem diese im Altersvorsorgekreislauf verbleiben und damit das System erneuern und verjüngen. Der Geld-Kreislauf beginnt quasi von vorn. Die Demenz Anspruchsberechtigter kann also als natürlicher Schutzmechanismus des Pensionssystems gesehen werden!
Beweisen lässt sich diese These mit dem deutschen Altersvorsorgesystem, in dem anscheinend den Problemen mit einer Vogel-Strauß-Politik begegnet werden. Dass Riestern als zu komplex kritisiert wird und Rentenbescheide unverständlich sind, dürfte aber einen tieferen, systemerhaltenden Grund haben, der sich auch hierzulande mit dem Eichhörnchen-Prinzip erklären lässt: „Quod erat demonstrandum“, so ein befragtes Eichhörnchen.
In diesem Sinne wünscht Ihnen die Redaktion von portfolio ein schönes Wochenende.
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