Überschussbeteiligung der Lebensversicherer in der Kritik
Die Lebensversicherer sehen sich mit Vorwürfen konfrontiert, sie würden die Kunden für die Niedrigzinsphase zur Kasse bitten und selbst gute Gewinne einstreichen. Die Branche kontert, Reserven und Rückstellungen kämen allein den Kunden zugute.
Ausgelöst hatte den Shitstorm, der über die Lebensversicherer hereingebrochen ist, das Magazin „Ökotest“ mit seiner Februarausgabe. Die Vorwürfe lauten: Die Lebens- und Rentenversicherer klagen lauthals über die anhaltende Niedrigzinsphase, fahren jedoch dicke Gewinne ein und setzten die Kunden auf eine „Nulldiät“. Denn die Versicherten bekommen immer weniger von den Überschüssen ab. Galt einst als Faustregel, dass den Lebens- und Rentenversicherungskunden im Schnitt 90 Prozent vom Rohgewinn zustehen, liege die Beteiligungsquote heute deutlich niedriger. Nach Berechnungen von „Ökotest“ sind es im Branchendurchschnitt nur noch 63,47 Prozent, vereinzelt rutsche sie sogar unter 40 Prozent ab. Gemessen an der Ausschüttungsquote, also jenem Teil der Überschüsse, der in Form der Direktgutschrift oder als laufende Überschussbeteiligung unmittelbar an die Kunden fließt, liege sie sogar nur noch bei 58,37 Prozent.
Üppig seien stattdessen die Erträge und Reserven der Unternehmen. Mit durchschnittlich 4,49 Prozent sei die Nettoverzinsung aus Kapitalanlagen der untersuchten 66 Versicherer in der momentanen Niedrigzinsphase nicht nur üppig. Sie ist im Vergleich zu den Vorjahren auch erstaunlich stabil. Nicht nur im Schnitt der letzten drei Jahre, sondern sogar im Schnitt der letzten fünf Jahre hätten die Versicherer im Branchendurchschnitt eine jährlich Rendite von konstanten 4,38 Prozent erzielt. „Das ist ein stolzes Anlageergebnis im derzeitigen Kapitalmarktumfeld“, heißt es bei „Ökotest“.
Zugleich verfüge die Branche weiterhin über hohe stille Reserven. Die lägen im Schnitt bei 7,37 Prozent der gesamten Kapitalanlagen. Im Zentrum der Kritik von „Ökotest“ steht die Zinszusatzreserve, die die Versicherer verpflichtet sind, als Vorsorge gegen die Niedrigzinssituation zu bilden und für die sie die Kunden auf „Nulldiät“ setze. Die Behauptung, die Branche leide unter den katastrophalen Minizinszeiten, treffe bisher nicht zu, sondern entpuppe sich immer mehr als reine Vernebelungstaktik, um die eigenen Interessen durchzusetzen.
Die Branche, das heißt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), hat auf die Vorwürfe reagiert und sie teilweise zurückgewiesen. Falsch sei die Behauptung, die Zinszusatzreserve erhöhe die Gewinne der Versicherer. Die Autoren rechneten die aufsichts- und handelsrechtlich vorgeschriebene Zinszusatzreserve dem Gewinn der Unternehmen zu. Die Zinszusatzreserve diene aber ausschließlich zur Absicherung garantierter Kundenansprüche, das heißt, sie werde zugunsten der Kunden gebildet. Die Unternehmen hätten auf diese Mittel keinen Zugriff. Bei korrekter Berücksichtigung der Zinszusatzreserve hätten die Lebensversicherer 2013 im Durchschnitt 96 Prozent der erwirtschafteten Mittel an die Kunden ausgeschüttet – das entspreche dem langjährigen Mittelwert.
Bei der Behauptung, die Lebensversicherer erzielten „traumhafte Gewinne“, würde „Ökotest“ übersehen, dass in die Nettoverzinsung auch einmalige Gewinne aus dem Verkauf festverzinslicher Wertpapiere eingehen – aus der Realisierung von Bewertungsreserven. Diese Gewinne – die sich naturgemäß nur einmal erzielen lassen – würden die Versicherer verwenden, um die Überschussbeteiligung aller Versicherten möglichst stabil zu halten. Zudem müssten die Unternehmen in einem Kapitalmarktumfeld mit Renditen deutlich unter 1,0 Prozent vorausschauend agieren und gesetzlich vorgeschriebene Rückstellungen wie die erläuterte Zinszusatzreserve aufbauen. Auch hierzu müssten Bewertungsreserven realisiert werden.
Der Bund der Versicherten (BdV) fühlt sich durch „Ökotest“ in seiner Kritik an den Lebensversicherern bestätigt. Er sieht einen „flächendeckenden Missstand in der Lebensversicherung zu Lasten der Verbraucher“. Flächendeckend würden die Versicherungskunden anscheinend ungenügend an den Überschüssen beteiligt, so Axel Kleinlein, Vorstandssprecher des BdV. Mit Billigung der Aufsichtsbehörde würden die Überschüsse der Kunden nur auf einen Teil der Gewinne gewährt. So sei es derzeitige Praxis, dass die Versicherer vor der Zuweisung der Überschüsse erhebliche Mittel für einen Reservetopf abzwacken. Diese Gelder seien damit dem System der Überschussbeteiligung erst einmal entzogen.
Das deutsche System der Lebensversicherung lebt von einer fairen Beteiligung der Kunden an den Überschüssen der Unternehmen, so der BdV. Nur aufgrund dieses Systems sei es zulässig, dass die Tarife der Lebens- und Rentenversicherungen, wie auch die Riester- und Rürup-Renten, mit exorbitanten Sicherheitsmargen kalkuliert sind. „Der Kunde kauft zuerst ein deutlich überteuertes Produkt und bekommt im Gegenzug dann zusätzlich die Überschüsse“, erklärt Versicherungsmathematiker Kleinlein die Geschäftsgrundlage der deutschen Lebensversicherung. Diese Geschäftsgrundlage sieht der BdV nun aufgekündigt, da die Überschüsse nur noch eingeschränkt gewährt werden.
Mit tatkräftiger Unterstützung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) haben die Versicherer für die Bemessung der Überschusszuweisung die tatsächlichen Gewinne um den Betrag vermindert, der in einen zusätzlichen Reservetopf fließt, kritisiert der BdV. „Die Aufsichtsbehörde hat in ihrem Auftrag als Missstandsaufsicht versagt“, kritisiert Kleinlein. „Sie sollte sich stattdessen ein Beispiel an der Behörde in Österreich nehmen, die hier mit anderen Regeln die Ansprüche der Kunden schützt.“
Die Argumentation der Versicherer mag formal richtig sein, weicht jedoch den wichtigsten Behauptungen von „Ökotest“ aus. Unwidersprochen bleibt der Vorwurf, dass die Reserven, die die Unternehmen zu bilden gesetzlich verpflichtet sind, allein von den Kunden bezahlt werden. Unausgeräumt bleibt durch die GDV-Argumentation auch die Tatsache, dass ausscheidende Kunden durch die Reservebildung benachteiligt werden, weil Teile der von ihren Beiträgen miterwirtschafteten Überschüsse beim Versicherer verbleiben.
Weiterführende Links:Stellungnahme des GDV zu den Vorwürfen von Ökotest
portfolio institutionell newsflash 04.02.2015/Hans Pfeifer
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