Pensionsfonds
10. März 2014
„Ich glaube nicht, dass die Zeit der Garantien vorbei ist“
Mitte November vergangenen Jahres hat sich die Europäische Union nach zähen Verhandlungen auf neue Kapitalvorschriften für die Versicherungsbranche geeinigt. In einem aktuellen Interview erläutert Karel Van Hulle, an welchen Stellen er bei der Assekuranz Nachholbedarf sieht.
Professor Karel Van Hulle, bis vor kurzem Leiter des Referats „Versicherungen und Altersversorgung“ bei der Europäischen Kommission, hat sich in einem Interview zu Wort gemeldet. Gegenüber „Solvency II kompakt“, einem Projekt, das unter anderem vom Beratungshaus Steria Mummert und der Rating-Agentur Assekurata getragen wird, erläutert der Solvency-Experte, der nach seinem Rückzug aus der EU-Kommission heute unter anderem am House of Finance der Frankfurter Goethe Uni lehrt, mit welchen Herausforderungen die Versicherungsunternehmen im Hinblick auf das neue Aufsichtsregime konfrontiert sind. Während der zwischen dem EU-Parlament, dem Europäische Rat und der EU-Kommission erzielte Kompromiss zur Omnibus-II-Richtlinie in der Versicherungswirtschaft auf ein überwiegend positives Echo traf – der Finanzvorstand der Allianz SE, Dieter Wemmer, erklärte beispielsweise: „Der vereinbarte Kompromiss ist ambitioniert, aber für die Versicherungsbranche in Europa akzeptabel“ –, bemängeln Kritiker unter anderem, dass das geplante Regelwerk den Aufsichtsbehörden nur wenige Eingriffsmöglichkeiten bietet.
Vor diesem Hintergrund betont Hulle: „Über die Einigung am 14. November 2013 habe ich mich sehr gefreut. Die Versicherungsbranche braucht diese Reform dringend.“ Gleichzeitig räumte er ein, dass die Verhandlungen zu lange gedauert hätten und die Gefahr bestanden habe, dass dieses wichtige Projekt bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werde. Eine Einigung vor den nun anstehenden Europawahlen sei daher äußerst wichtig gewesen: „Kritik wird es immer geben, ich stimme dieser Kritik nicht zu.“
Im Hinblick auf die zu lösenden Probleme, etwa wie man mit einer marktkonsistenten Bewertung von Aktiva und Passiva in einer volatilen Welt umgehen muss und daran anschließende Fragestellungen, sagte er: „Die Antworten auf diese Fragen waren nicht evident. Man war gezwungen, hier zu innovieren.“ Aus den vielen, manchmal mühsamen Diskussionen sei letztendlich ein Kompromiss entstanden, so Hulle. „Dieser Kompromiss musste die verschiedenen Produktgestaltungen in den Mitgliedsstaaten berücksichtigen.“ Hulle verweist in diesem Zusammenhang auf die Lebensversicherungsprodukte in den einzelnen Ländern, die noch sehr stark national geprägt seien. Eine Vergleichbarkeit sei daher nur schwer möglich. Deutsche Lebensversicherungen, Annuities aus Großbritannien und Sparprodukte aus Spanien auf einen Nenner zu bringen, sei nicht einfach gewesen, so Hulle.
Auch der Übergang von Solvency I auf Solvency II sei eine Herausforderung gewesen, wie Hulle ausführte: „Ich könnte mir vorstellen, dass es in Deutschland viele Versicherungsnehmer gibt, die sich heute darüber freuen, in der Vergangenheit einen Versicherungsvertrag mit einer dauerhaften, festen Garantie oberhalb des heute geltenden Marktzinses abgeschlossen zu haben.“ Für die Versicherer, die diese Produkte in der Vergangenheit angeboten haben, müsse dies aber schmerzhaft sein. Eine sofortige Diskontierung mit dem Marktzins, wie sie zwischenzeitlich im Gespräch war, „hätte katastrophale Konsequenzen für die betroffenen Unternehmen“, wie Hulle es formuliert. Nicht nur Deutschland habe unbedingt eine Übergangslösung gebraucht. Was die zähen Verhandlungen und die dreimalige Verschiebung der Einführung von Solvency II betrifft, rief Hulle in Erinnerung, dass es sich um die wichtigste Reform in der Versicherungsbranche seit über 30 Jahren handelt. Gleichwohl sei der erreichte Kompromiss für ihn keine definitive Lösung:„Man wird in den nächsten Jahren Erfahrungen sammeln und Anpassungen werden notwendig sein.“ Darum sei es wichtig, dass der Kompromiss sowohl Transparenz über die angewandte Methode als auch eine Revision nach einigen Jahren vorsieht.
Ambitionierter Zeitplan
Was den weiteren Fahrplan betrifft – Solvency II soll am 1. Januar 2016 in Kraft treten –, zeigte sich Hulle zuversichtlich: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Omnibus-II-Richtlinie nicht vor den Europawahlen verabschiedet wird.“ Auch wenn der Zeitplan sehr ambitioniert sei, hält Hulle eine weitere Verschiebung auf den 1. Januar 2017 für ausgeschlossen.
Gleichwohl sieht er für die großen Versicherungen die Gefahr, dass die Regelungen so sehr ins Detail gehen, dass sie zum Beispiel nicht mehr in der Lage sind, „rechtzeitig ein internes Modell genehmigt zu bekommen, weil auf die letzte zu verabschiedende Bestimmung gewartet werden muss.“ Im Gegensatz dazu müsse man bei den kleinen Versicherungen vorsichtig sein, keine unrealistisch komplizierten Anforderungen zu stellen. „Da spielt meiner Meinung nach ganz klar das Prinzip der Proportionalität eine große Rolle. Das könnte auch zu einem ‚soften‘ Übergang führen.“ Gleichwohl habe die Omnibus-II-Richtlinie die Lage der kleinen Versicherer durch eine Konkretisierung dieses Prinzips in Bezug auf die Berichterstattung wesentlich verbessert, wie der Fachmann betont.
Danach befragt, ob der europäische Regulierungszwang die kleinen Versicherungsunternehmen ruiniert, entgegnet Hulle: „Ich kann mir gut vorstellen, dass einige Versicherer das Lebensversicherungsgeschäft eingestellt haben. Das war auch zu erwarten.“ Dies habe jedoch weniger mit Solvency II zu tun als mit den Änderungen im Markt: „Heute gibt es nicht mehr die schönen Zinsen von früher.“ Die Unternehmen müssten sich hier anpassen. Es habe keinen Sinn, die neuen Marktverhältnisse zu ignorieren. Vor diesem Hintergrund betont er: „Es müssen in der Lebensversicherung neue Produkte angeboten werden. Ich glaube nicht, dass die Zeit der Garantien vorbei ist. Das hört man heute in verschiedenen Kreisen.“ Man sehe auch, so Hulle, dass einige Versicherer jetzt Unit-Linked-Produkte anbieten, wobei das Risiko auf den Versicherungsnehmer ausgelagert werde. „Das halte ich nicht für eine gute Entwicklung. Ein Versicherer sollte versichern und sich nicht wie eine Bank oder Investmentfonds verhalten.“
Abschließend zeigte sich Hulle davon überzeugt, dass Solvency II die kleinen Versicherungsunternehmen nicht ruinieren wird. Nur für mittelgroße Versicherer, die noch nicht entschieden hätten, welchen Geschäft sie eigentlich anbieten wollten, sieht der Experte Probleme und erläutert: „Sie werden sich entscheiden müssen, ob sie genügend Kapital haben, um verschiedene Produkte anzubieten. Gegebenenfalls werden sie sich neue Aktionäre suchen oder sich mit anderen Marktteilnehmern zusammenschließen müssen.“
portfolio institutionell newsflash 10.03.2014/Tobias Bürger
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