Kirchliches Immobilienkapital unter Konsolidierungsdruck
Die Kirche vermittelt christliche Werte – und immer öfter auch Immobilienwerte. Schwindende Steuereinnahmen und oft geringe Auslastungen zwingen Kirchengemeinden, sich von Teilen ihres heterogenen Immobilienbestandes zu trennen. Ebenfalls heterogen fällt die Käuferseite aus. Wie die Veranstaltung der Initiative Ö3 zeigt, birgt eine Neugestaltung des Immobilienbestandes mit ethischem Fokus auch Chancen.
Standards prägen den Immobilienmarkt, wer das Besondere sucht, wird aber ebenfalls fündig. So offeriert der Markplatz kirchengrundstuecke.de auch Sakralbauten. Im Angebot ist beispielsweise eine 1896/97 errichtete Backsteinkirche im neogotischen Stil in Greiz, die 1963 letztmalig innen renoviert wurde. Das Grundstück umfasst üppige 2.704 Quadratmeter und die Kirche ist – wenig überraschend – sanierungsbedürftig. Das Objekt erfordert vom Käufer neben 50.000 Euro für die künftige Verwendung sicherlich auch etwas Fantasie. Beispiele aus anderen Teilen Deutschlands zeigen, dass eine Kirche auch eine Kletterhalle, ein Fahrradladen oder Fitnessstudio werden kann. Der Greizer Bau steht jedoch unter Denkmalschutz und die Kirchengemeinde behält sich im Falle eines Weiterverkaufs ein Vorkaufsrecht vor. Man kann davon ausgehen, dass solche Spezialimmobilien, aber auch Gemeindehäuser oder Pfarrhäuser, künftig öfters zum Verkauf stehen.
Auch wenn es keine genauen Zahlen gibt, zählen evangelische und katholische Kirche zu den größten Grundbesitzern Deutschlands. Laut einer gemeinsamen Publikation der Evangelischen Kirche in Deutschland und des katholischen Verbands der Diözesen Deutschlands werden die evangelischen Landeskirchen und die katholischen Bistümer in Deutschland bis zum Jahr 2060 etwa 40.000 ihrer Immobilien abgeben müssen. Das entspricht fast einem Drittel des gesamten Gebäudebestands. Grund ist, dass sinkende Steuereinnahmen nicht nur für Vater Staat ein Problem sind, sondern auch für die Heilige Mutter Kirche. Dies gilt insbesondere, wenn ein großer Kostenblock beispielsweise aus Kindergärten, Schulen oder Altenheimen zu finanzieren ist. Umso mehr sind die Verantwortlichen einer Kirche gezwungen, sich mit ihrem Immobilienbesitz zu beschäftigen. Dieser beinhaltet einerseits Werte, die nicht nur finanzieller Natur sind, andererseits gehen schrumpfende Einnahmen, die für die nötige energetische Ertüchtigungen fehlen, Hand in Hand mit schrumpfenden Mitgliederzahlen. Letzteres führt auch zu einer geringeren Nutzung der Gebäude.
Was das kirchliche Gebäudemanagement ebenfalls erschwert, ist, dass es sich um einen sehr heterogenen Bestand aus Kirchen, Gemeindehäusern, Pfarrhäusern, Kindergärten oder Altersheimen handelt, der zudem im Besitz der jeweiligen Kirchengemeinden ist. Weitere Challenge: Der sakrale Umgang mit den Immobilienbesitztümern steht unter säkularer Beobachtung. „Die weltliche Gesellschaft schaut sehr genau darauf, wie die Kirche mit ihren Immobilien umgeht, und darum ist hier eine große Sensibilität erforderlich“, erklärte Dr. Eva Baillie auf der zweiten Auflage der Veranstaltung Ö3 – Ökumenisch, Ökologisch, Ökonomisch. „Das kann uns auf die Füße fallen, ist aber auch eine Chance, wenn wir als Kirchen die Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 erstnehmen wollen.“ Eva Baillie ist Referentin der Geschäftsstelle Weltkirche, die dem Bischöflichen Ordinariat Mainz zugehörig ist, – und gemeinsam mit Reinhard Liebing, Geschäftsführer der Sustainable Investing Trust Steuerberatungsgesellschaft, sowie dem Autor dieser Zeilen Initiator und Organisator von Ö3.
Zunächst stand in Mainz bei Ö3 aber der soziale Aspekt auf der Agenda. Über die klerikalen Grundstücke referierte der Moraltheologe Dr. Martin Schneider, Professor an der School of Transformation and Sustainability der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er beschäftigte sich mit der Gemeinwohleffizienz im Kontext stagnierender Kirchensteuereinnahmen und der Frage, wie Immobilien zu bewirtschaften sind. Schneider betonte grundsätzlich: „Wohnen ist ein Menschenrecht – und auf diesem Feld muss sich die Kirche profilieren.“ Die Sozialbindung des Eigentums sei ein Feld, von dem die Glaubwürdigkeit der Kirchen abhängt. Kirchen sollten darum unter anderem mehr Wohnraum für von Armut Betroffene oder für die Caritas zur Verfügung stellen, schließlich müsse man „Zeugnis von der Liebe Jesu Christi ablegen“.
Zeugnis ablegen, und zwar jährlich, müssen auch kirchliche Finanzverantwortliche. Sich an diese wendend sieht Schneider zwar die Herausforderung, die Sorgfalt eines guten Ökonomen walten zu lassen und zugleich den hohen ethischen Ansprüchen der Kirche gerecht zu werden. Aber: „Widersprüche zwischen Verkündigung und Handeln gilt es auch in der Geldanlage zu vermeiden“, zitierte er die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Einer der Adressaten von Schneider: Marco Capisciolti, Projektentwickler und vor allem Praktiker, der im Bischöflichen Ordinariat des Bistums Limburg die Umsetzung der Kirchlichen Immobilien-Strategie, kurz KIS, vorantreibt. „Bei der Optimierung des Immobilienbestands wiegen pastorale Aspekte genauso schwer wie wirtschaftliche – verschenken können wir aber nichts“, erklärte Capisciolti, der zuvor 25 Jahre in der Entwicklung und Vermarktung von gewerblichen Immobilien tätig war. Die Pfarreien vor Ort müssten entscheiden, welche Gebäude aus pastoraler Sicht gebraucht werden. „Eine Reduzierung und Optimierung des Bestands ist aber zwingend.“ Eingangs von Ö3 relativierte er auch den Status der Kirche als marktmächtiger Real Estate Player: „Die Kirche mag eine große Anzahl an Grundstücken und Wohnungen haben. Allerdings ist nur ein kleiner Teil frei bebaubar und der Wohnungsbestand, der bei einer Gemeinde etwa die Hälfte des Immobilienbesitzes ausmacht, ist oft ziemlich alt.“
Eine ähnliche Sicht zu Bestand und Bedarf bei kirchlichen Immobilien hat Carsten Erdt, seit einem Jahr Ökonom im Bistum Mainz: „Am Ende muss der Haushalt aufgehen. Sinkende Kirchensteuern erfordern Veränderungen im Immobilienportfolio.“ Zumal, so Erdt ergänzend, die Bewirtschaftung der Immobilien nicht immer optimal ist. Allerdings brauche es Zeit zu ermitteln, für welche Immobilien kein Bedarf mehr besteht. „Ein dann klar identifizierter Überbestand ist dann marktschonend abzugeben“, sagte Erdt auf der von Reinhard Liebing moderierten Podiumsdiskussion.
Ebenfalls spricht gegen eine kirchliche Marktmacht, dass der Immobilienbesitz sehr zersplittert ist. Allein die Evangelische Kirche in Deutschland zählt mehr als 12.000 Kirchengemeinden. Das (katholische) Bistum Limburg zählt über 100 Pfarreien. Naheliegend ist darum der Ansatz von KIS, zunächst einmal eine einheitliche Datenbasis als Informationsgrundlage zu schaffen, und dann mit den Kirchengemeinden als Immobilieneigentümern zukunftsfähige Gebäudekonzepte zu erarbeiten sowie eine Gebäudeklassifizierung vorzunehmen. Bei KIS hängt die Einordnung eines Gebäudes von der pastoralen Notwendigkeit, der wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit, der ökologischen Verantwortbarkeit und von personellen Ressourcen ab, beispielsweise „bis hin zur Frage, wie viele Pfarrer es für all die Kirchorte noch gibt“, so Capisciolti. Bislang hat KIS etwa 1.400 Kirchen, Gemeinde- und Pfarrhäuser erfasst und knapp 700 danach klassifiziert, ob das Gebäude in der Gesamtbetrachtung der erwähnten Faktoren (noch) notwendig oder nicht mehr notwendig ist. Etwa 200 Objekte beziehungsweise 30 Prozent der Gebäude hat das KIS-Team als „nicht mehr notwendig“ klassifiziert. Bei diesen Gebäuden geht es nun um deren Entwicklung oder Abgabe.
Ein protestantisches Pendant zu Capisciolti war bei Ö3 Oberkirchenrat Thorsten Hinte, Dezernent für Finanzen, Bau und Liegenschaften in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. „Wir beraten die Kirchengemeinden, welche Gebäude beziehungsweise Gebäudekombinationen über Kirchengemeindegrenzen hinweg zukunftsträchtig sind. Eine solche Bedarfsplanung kann nur bedingt zentral gelingen.“ Diesen Bottom-up-Ansatz komplementieren die Protestanten mit einem sanften Top-down-Druck: Ziel ist eine Einsparung von 20 Prozent. „Diesen Teil werden wir nicht mehr finanzieren. Das zwingt die Kirchengemeinden, Immobilien umzunutzen beziehungsweise abzugeben“, erläuterte Hinte.
Die Neugestaltung des Immobilienbestands kann eine Chance sein, wenn die künftige Nutzung kirchlichen Anliegen gerecht wird. Nachnutzungs-Beispiele, die Capisciolti nennt: Im Idealfall kann ein Pfarrhaus ein geförderter Wohnbau oder ein Frauenhaus werden, das Gemeindehaus kann künftig als Jugendhaus, Bürgertreff oder Tagespflegeeinrichtung der Allgemeinheit dienen. Ein Kirchengebäude kann, wie Beispiele zeigen, künftig eine Kita sein oder auch an eine andere christliche Gemeinde übergeben werden. Capisciolti: „Warum sollten wir eine Kirche in bester Lage aufgeben und eine stark wachsende christlich-orthodoxe Gemeinde ihr Dasein in einem Industriegebiet fristen?“ Zudem sollten insbesondere dort, wo es pastoral vertretbar ist und/oder der konkreten Refinanzierung von seelsorgerischen oder caritativen Projekten dient, aber auch deutlich ertragsorientiertere Nachnutzungen wie freier Wohnungsmarkt, gewerbliche Nutzungen wie Supermärkte oder Gesundheitszentren „nicht verteufelt werden“, so Capisciolti.
Immobilienfonds oder Family Offices sind mögliche Käufer
Eine Nachfrage nach kirchlichen Gebäuden ist durchaus gegeben. Capisciolti empfahl, potenzielle Käufer zielgruppengerecht anzusprechen. Er nennt Nachbarn, strategische Partner wie die Caritas, Kommunen oder andere soziale Organisationen, Stiftungen, vor Ort ansässige Family Offices – Capisciolti: „die muss man kennen“.
Sogar institutionelle Immobilienfonds seien an kirchlichen Immobilien interessiert. „Zwar ist eine Rendite von vielleicht drei Prozent eher mäßig, ESG-Vorgaben zwingen aber Fondsmanager, auch Sozialimmobilien in ihren Portfolien zu berücksichtigen“, so Capisciolti. Der Gebäudetyp „Sozialimmobilie“ sei aber auch bei privaten Investoren gefragt, die einen sozialen Verwendungszweck und Sicherheit schätzen. „Nachhaltig genutzte Gebäude erwirtschaften auch nachhaltige Erträge“, so der KIS-Mann.
Einen besonders hohen Konsolidierungsdruck sieht Oberkirchenrat Thorsten Hinte bei Gemeindehäusern. „Diese sind mitunter schlecht ausgelastet, zumal sich Kirchen mit geschickten baulichen Lösungen auch kombiniert für profane Zwecke nutzen lassen, was wiederum zu Lasten des Bedarfs an Gemeindehäusern geht.“ Der EKHN-Dezernent hält eine Halbierung des Gemeindehäuserbestands für notwendig. Am unkompliziertesten ist die Abgabe von Pfarrhäusern als Wohnimmobilien. „Weniger Pfarrerinnen und Pfarrer, weniger Pfarrhäuser“, nannte Hinte einen leicht nachvollziehbaren Zusammenhang, der zu Veränderungsbedarf führt.
Der Verkauf von Wohnraum auf dem freien Markt scheint finanziell sinnvoll und muss auch nicht im Widerspruch zu karitativen Gesichtspunkten stehen. Es ist kein Einzelfall, dass Mieter von kirchlichen Wohnungen seit Jahren weniger als vier Euro pro Quadratmeter zahlen. Die energetische Sanierung kann so kaum finanziert werden und es erscheint auch wenig sozial oder gemeinnützig, wenn Alleinstehende in einer großen Wohnung residieren, weil diese unschlagbar günstig ist, während finanziell arme, aber an Kindern reiche Familien keinen Wohnraum finden. Ein Abschied von solchen Immobilien kann also verschiedene Chancen bieten – auch für das Gesamtportfolio: „Trennungen schaffen Möglichkeiten“, erläuterte Carsten Erdt. „Das eine kann man tun, weil man das andere gelassen hat.“
Dazu passt das Leitbild der Berliner Hilfswerk-Siedlung: „Eine solide Rendite ist unser erklärtes Ziel. So werden wir auch Kapital für kirchlich-soziale Aufgaben gewinnen und die Spielräume diakonischen Handelns vergrößern.“ Die Hilfswerk-Siedlung ist einer der verschiedenen Dienstleister, die auf kirchlicher Seite entstanden sind. Diese Gesellschaft bietet kirchlichen Einrichtungen Hilfestellung bei der Verwaltung und Entwicklung von unterschiedlichsten Immobilienbeständen an, um zu helfen, die übergeordneten Ziele der kirchlichen Immobilieneigentümer nachhaltig erreichen zu können.
Nach Auffassung von Reinhard Liebing hat Ö3 gezeigt, dass die „Glaubwürdigkeit des eigenen Handelns sowie die damit verbundene Transparenz und Governance zentral ist für die Zukunft der Kirchen. Themen wie Digitalisierung, Vernetzung und auch die Einbindung von externen Spezialisten gehören in den Blickpunkt dieser immobilienwirtschaftlichen Transformation, um den Kirchen und Gemeinden konkrete Hilfestellungen bei den komplexen Entscheidungsprozessen zu geben sowie den Menschen Raum zum Leben und zur Begegnung.“ Ö3 hat zudem gezeigt, dass kirchliches Immobilienmanagement mehr sein kann als ein kontrollierter Rückzug. Dies zeigen die möglichen Nachnutzungsbeispiele von Capisciolti – oder auch der Vortrag von Stefan Heinig, der als Geograph und Stadtplaner nun am Zentrum für gesellschaftliche Verantwortung (ZGV) der EKHN viel mit Theologen zu tun hat. Er stellte unter anderem mit der „Apfelbutze“ ein Projekt für gemeinwirtschaftliches Wohnen vor, für das ein kirchliches Gebäude in Erbpacht abgegeben wurde. Für dieses bieten die Erbpachtnehmer auch Externen Finanzierungsmöglichkeiten an. Direktkreditgeber mit sozialer Ader können Nachrangdarlehen mit einer qualifizierten Rangrücktrittsklausel für eine Verzinsung von 0,01 bis 1,5 Prozent geben. Kredite zu geben ist weniger komplex als eine Kirche zu erwerben und umzugestalten.
Autoren: Patrick EiseleSchlagworte: Arbeitskreis kirchlicher Investoren | Immobilien | Kirche
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