Chinesische Mauer im Portfolio
In den vergangenen Jahren rutschten China-Assets auf der Beliebtheitsskala institutioneller Anleger steil nach unten. Die Aktien- und Anleihenbestände in den Portfolios schrumpften und die Kursentwicklung bekräftigte die Skeptiker in ihrer Einstellung. Doch nun sendet der Aktienmarkt plötzlich wieder Lebenszeichen. Mancher Investor dürfte das zum Anlass nehmen, seine Meinung zu China zu überdenken.
Noch in den 2010er Jahren wurde China als Finanzmarkt der Zukunft gefeiert und die Aktien preisten die scheinbar glänzenden Wirtschaftsaussichten mit hohen Kurszuwächsen ein. Doch ab 2020 legten chinesische Aktien eine Talfahrt hin. Verschreckt von den politischen Einmischungen selbst in die wertvollsten Unternehmen zogen sich internationale Anleger in Scharen zurück, der Lockdown in der Pandemie und der Kollaps des Immobilienmarktes beschleunigten den Exodus. Dass 2022 in einer Analyse der US-Bank JP Morgan zu chinesischen Internetfirmen die Einschätzung „uninvestable“ versehentlich nicht entfernt wurde, passte ins Bild: China-Aktien wollte kaum ein Anleger noch im Bestand haben.
Der Niedergang in Zahlen: Rechnet man China heraus, brachte eine globale Emerging-Markets-Allokation in den vergangenen fünf Jahren rund 85 Prozent Gewinn, der Hongkonger Hang-Seng-Aktienindex war dagegen vor kurzem noch mehr als 30 Prozent unter Wasser. Die miserable Marktentwicklung gab China-Skeptikern in ihrer Untergewichtung Recht. Noch in einer Mitte September erhobenen Umfrage der Bank of America sahen globale Fondsmanager „Short China“ als zweitstärkste Position am Markt – gleich nach „Long Magnificent Seven“. Doch dann kam der Umschwung: Am 24. September legte die chinesische Zentralbank einen Maßnahmenkatalog zur Stimulierung von Wirtschaft, Immobilien- und Aktienmarkt vor. Innerhalb weniger Tagen schoss der Hang-Seng-Index um 20 Prozent nach oben.
Ex-China-Strategien im Kommen
Ein Problem für Investoren ist das enorme China-Gewicht im MSCI Emerging Markets Index (MSCI EM): Zwar ist dieses von weit mehr als 30 Prozent auf rund 27 Prozent gesunken, doch auch damit diktiert China zu einem bedeutenden Teil die Richtung des gesamten EM-Aktienmarktes, ähnlich den US-Megacaps im S&P-500-Index. Für einige Anleger scheint es daher plausibel, China als eigenen Baustein aus dem allgemeinen EM-Block auszuklammern. Bereits 2017 lancierte MSCI eine Ex-China-Variante seines globalen MSCI-EM-Index. Die Zahl der EM-ex-China-Fonds ist seitdem auf fast 50 gestiegen – erst kürzlich firmierte der Vermögensverwalter Abrdn einen EM-Fonds in einen EM-ex-China-Fonds um. „Immer mehr Investoren möchten eine aktive Wahl treffen, wie sie ihr Engagement bezüglich China steuern“, heißt es bei Abrdn.
Die jüngste China-Rallye ließ zahlreiche untergewichtete globale EM-Fonds und Strategien kurzfristig hinter der Benchmark zurückfallen. Je länger sich der Anstieg aber fortsetzt, umso schwieriger wird es für die EM-Aktien-Manager, mit einer vorsichtigen China-Positionierung Alpha zu erzielen. Auch aus dem Grund dürften einige Investoren aufgeschlossen sein, den China-Faktor gewissermaßen auszusourcen. In der Realität bedeutet das wohl, China-Exposure abzubauen. Denn die Vorbehalte der meisten Anleger sind wohl so groß, dass sie ihr China-Engagement auch künftig eng begrenzen wollen. Eine EM-ex-China-Strategie erlaubt das ohne Tracking Error gegenüber der Benchmark.
Auch bei der Apobank bleibt man nach dem Maßnahmenkatalog zurückhaltend. Chief Investment Officer Reinhard Pfingsten zählt dafür ein Bündel an Gründen auf, die von der angespannten Geopolitik über strukturelle Wachstumsprobleme bis zu den Einschnitten in die unternehmerische Freiheit und ESG-Aspekten reichen. Die Apobank orientiert sich bei Schwellenländern am allgemeinen MSCI-EM-Index: „In der taktischen Asset Allocation nehmen wir auf der Aktienseite keine Separierung zwischen China und EM vor“, so Pfingsten. Das negative China-Bild komme aber in der starken Untergewichtung der Emerging Markets zum Ausdruck.
Portfoliomanager Marian Heller von dem auf ethisch-nachhaltige Anlagen spezialisierten Vermögensmanager BKC Asset Management sieht zwar nur selten grundsätzliche Ablehnung bei institutionellen Kunden, doch die Zurückhaltung sei groß: „Insbesondere durch die verlustreichen Erfahrungen mit russischen Aktien im Zusammenhang mit der Ukrainekrise hat sich die Sensibilität für sanktionsbedingte Risiken chinesischer Aktien in unserer Kundenlandschaft erhöht“, so der Portfoliomanager. Dabei hat auch die MSCI-ex-China-Lösung ihre Grenzen: Sie adressiert vor allem spezifische chinesische Länderrisiken. Systemische geopolitische Risiken in der Region Südostasien dürften aber auch Ex-China-Ansätze mit einer hohen Gewichtung in Taiwan und auch Südkorea nur teils absorbieren können.
Nach der langen Schwächephase gilt Chinas Aktienmarkt als unbestreitbar günstig: „Die Bewertung ist auf dem niedrigsten Stand der vergangenen zehn Jahre angekommen“, sagt Jasmine Kang, Portfoliomanagerin bei Comgest. Anfang September lag das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) beim Neunfachen des erwarteten Gewinns, deutlich unter dem KGV von rund zwölf für das gesamte EM-Universum. Kang sagt: „Damit sich die Erholung des chinesischen Aktienmarkts langfristig fortsetzt, müssen wir in den kommenden Quartalen eine positive Reaktion der Konjunktur auf die Umsetzung der angekündigten Konjunkturmaßnahmen sehen.“
Auch China-Anleihen haben die meisten Investoren weitgehend aus ihren Portfolios verbannt. Investoren-Befragungen deuten an, dass Anleger zuletzt Staats- und Unternehmensanleihen sowohl in Hartwährungen als auch in Renminbi untergewichtet hatten. Portfoliomanager Heller von der BKC, zu deren Kunden überwiegend Stiftungen und kirchliche Institutionen zählen, sagt: „Chinesische Staatsanleihen werden aufgrund ethischer Bedenken regelmäßig von einer Investition ausgeschlossen.“ Auch der BKC-eigene Nachhaltigkeitsfilter schließe China-Staatsanleihen aus. Zudem ist das relative Gewicht von Chinas Hartwährungsstaatsanleihen gering. Ein Beispiel: Bei der Apobank findet sich China unter der Position „Staatsanleihen Emerging Markets“, die mit fünf Prozent beim reinen Rentenmandat in der Benchmark „Bloomberg EM USD Sovereign Index“ enthalten sind. China spiele aber mit rund einem Prozent Gewicht in dieser Benchmark eine stark untergeordnete Rolle, so Anlagechef Pfingsten: Er sieht die eigenen Entscheidungen hinsichtlich der Gewichtung dieses Renten-Bausteins durch die Entwicklungen in China daher so gut wie gar nicht beeinflusst.
Etwas anders liegen die Dinge bei Unternehmensanleihen in Hartwährung. Hier sind weniger ethische Bedenken als vielmehr die Markteinschätzungen der Grund für die verbreitete Untergewichtung. Carlos de Sousa, EM-Debt-Stratege bei Vontobel, sagt: „Infolge der Immobilienkrise ist ein sehr großer Teil des Marktes derzeit in Default.“ Wenn die neuen Maßnahmen dazu führen, dass mehr Immobilienunternehmen ihre ausgefallenen Schulden umstrukturieren oder aus der Notlage herauskommen, dann könnte sich dieses Segment tatsächlich stark erholen, glaubt der Vontobel-Experte. Allerdings bezweifelt er, dass Anleger überhaupt Appetit auf eine Allokation haben: Zu groß seien ihre Verluste in den vergangenen drei Jahren gewesen und zu groß die Unsicherheit, ob und wann die Maßnahmen den Immobilienmarkt überhaupt stabilisieren werden.
Über Umwege zu Zins- und Währungsexposure
Investoren, die Zins- und Währungsexposure benötigen oder eingehen möchten, nutzen daher oft Renminbi-denominierte Anleihen supranationaler Institutionen wie der Asiatischen Entwicklungsbank. Gerade in den Lokalwährungsindizes GBI EM oder auch Bloomberg EM Local Currency Liquid Government kommt China auf rund zehn Prozent. Doch aus Bewertungssicht gelten diese Papiere nicht als attraktiv. Auch die Währungsrisiken werden aufgrund der niedrigen Zinsen derzeit ausgesprochen schlecht bezahlt, so BKC-Experte Heller. Im Fall eines Wahlsiegs des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump droht zusätzlicher Ärger: Dann könnte es zu weiteren Zöllen gegen China und einer damit verbundenen Abwertung der Währung kommen. Der jüngsten Börsenerholung könnte dann rasch wieder die Luft ausgehen
Autoren: Jochen HägeleSchlagworte: Aktien | China | Emerging Market Debt
In Verbindung stehende Artikel:
Schreiben Sie einen Kommentar