Über ESG-Scores und Zielkonflikte
Das Thema ESG-Reporting ist in aller Munde, doch grenzt die Beschaffung der erforderlichen Daten teilweise an eine Sisyphos-Aufgabe. Auf der Jahreskonferenz widmete sich ein Panel diesem komplexen Thema. Der BVV und das VZN gaben hierzu wertvolle Einblicke. Auf einem anderen Panel ging es ebenfalls um ESG-Regulierungsthemen und um Zielkonflikte bei Nachhaltigkeit.
Die Berichtspflichten rund um das Thema Nachhaltigkeit sind in den vergangenen Jahren immer komplexer geworden, sodass das Thema ESG-Reporting so manchem Investor schon Schweißperlen auf der Stirn hervortreibt. Und auch die Zusammenarbeit mit Asset Managern gestaltet sich in manchem Fall als schwierig. So wusste René Hermanns, Leiter der Investmentabteilung des Versorgungswerks der Zahnärztekammer Nordrhein K.d.ö.R. (VZN), davon zu berichten, wie der Aufbau eines hausinternen ESG-Reportings nicht immer auf Gegenliebe seitens der externen Asset Manager stößt: „Anbieter behandeln das Thema ESG-Reporting komplett unterschiedlich, angefangen bei solchen, die das ESG schon lange ernst nehmen, bis hin zu jenen, die sich weigern, ein Portfolio einzuwerten.“
Das Verständnis für den Investor und den Zielkunden sei in der Praxis nur bedingt gegeben. Dies gelte nicht nur im außereuropäischen Bereich, sondern mitunter auch für Asset Manager mit Sitz in Europa, wie Hermanns auf dem Podium bekundete, welches von Axel Wilhelm, Geschäftsführer der Imug Rating GmbH, kompetent moderiert wurde.
Hermanns beschrieb den Prozess der Entwicklung eines ESG-Reportings in seiner Organisation. Man sei zu Beginn ins Gespräch mit vielen Stakeholdern, mit KVGen, Verwahrstellen und Asset Managern, über die Lieferung von ESG-Daten gegangen. „Und es ist erschreckend zu sehen, wie jeder Marktteilnehmer wiederum seine eigene Systematik hat, nach der er berichtet. Sprich: Um eine konsolidierte Sichtweise für die Investorenebene zu erstellen, ist der Investor dazu angehalten, eine eigene Systematik zu etablieren“, so Hermanns.
Der BVV Versicherungsverein des Bankgewerbes a.G. verfügte Ende 2022 über eine Bilanzsumme von rund 33 Milliarden Euro und ist demnach die größte Pensionskasse in Deutschland. Dessen Leiter Risikomanagement und Controlling, Christian Wolf, gab zunächst Einblick in die ESG-Historie der Altersvorsorgeeinrichtung: Schon im Vorfeld der EbAV-II-Richtlinie, die im Januar 2017 in Kraft trat, habe man sich beim BVV intensiv mit dem Thema ESG-Risiken und folglich auch mit dem ESG-Reporting beschäftigt. In der Folge hätten die beiden Abteilungen Risikomanagement und Portfoliomanagement beim BVV sehr intensiv zusammengearbeitet, um unter anderem ein aussagekräftiges ESG-Reporting zu entwickeln.
Damals war die Offenlegungsverordnung (SFDR) noch gar kein Thema, aber die Kernfrage sei gewesen: „Was wollen wir mit dem ESG-Reporting erreichen? Geht es in erster Linie um die Erfüllung der Regulatorik oder will ich Risiken messen, will ich Impact messen?“, fragte Wolf in die Runde der Gäste. Schließlich habe man sich beim BVV zunächst dafür entschieden, die liquiden Assets zu scannen und nutzte dafür ESG-Daten des Anbieters MSCI. „Sie standen uns methodisch am nächsten unter anderem im Hinblick auf das Thema Materialität und deren Ableitung und überzeugten auch von der Coverage her.“ Im liquiden Bereich gebe es in der Regel gute Daten und „man bekommt auch ein Gefühl für Risiken“, so Wolf.
Zudem habe man damals auch die Bandbreite an ESG-Instrumenten im Portfolio ausgeweitet, von Ausschlusslisten hin zu einem zusätzlichen Engagement-Overlay, welches heute Columbia Threadneedle Investments, ehemals BMO, für den BVV betreut. „Bezüglich der illiquiden Assets haben wir beim BVV ab 2018 angefangen, ein Questionnaire zu implementieren, welches an alle externen Manager im illiquiden Bereich ging“, erinnert sich Wolf. „Unsere Fragen teilten sich in die vier Themenblöcke Policy, Governance, ESG-Instrumente und Reporting.“ Mittlerweile schicke der BVV sein Questionnaire an alle Asset Manager – für illiquide wie für liquide Anlagen. Auch für Neuinvestments ist er Wolf zufolge fester Bestandteil der Due Diligence.
Das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Nordrhein dagegen befinde sich aktuell im dritten Jahr mit dem ESG-Reporting und verfolge einen pragmatischen und zugleich sehr transparenten Ansatz, so Hermanns: Jenseits von Artikel 6, 8, oder 9, die zwar für neue Assets dienlich seien, aber nicht für den Bestand, frage man nun regelmäßig bei den Asset Managern ab, wie diese ihr Portfolio auf der Asset-Ebene einstufen. „In Zahlen von eins bis 100, von eins bis fünf, oder in Schulnoten. Das setzt ein Stück weit Vertrauen voraus. Nach Möglichkeit ist die Aussage von einem Wirtschaftsprüfer bestätigt – umso schöner! Darauf arbeiten wir hin“, so Hermanns.
Anschließend rechnet das Versorgungswerk auf Basis eines eigenen, spezifischen Formelwerks diese Angaben in einen hausinternen ESG-Score um. Dieses Verfahren müsse jedoch auch ermöglichen, dass bestimmte Assets, die vielleicht eine schwachen ESG-Score haben, aber aus portfoliotheoretischen Gründen sinnvolle Investments sind, ebenso Berücksichtigung fänden. „Neben dem aktuellen Score, der sich im oberen Quartil bewegt, ist vor allem die Bewegungstendenz entscheidend. Und hier stimmt der Pfad, der Score wird von Jahr zu Jahr besser. Er wird einmal im Jahr aktualisiert“, so Hermanns.
Beide Investoren, Christian Wolf vom BVV wie René Hermanns vom VZN, waren sich einig, dass sich mit der Zeit und durch regelmäßige Nachfragen bei Asset Managern zu ESG-Themen, die Dinge verbessern. So berichtete Hermanns: „Wir gehen mit den Asset Managern in Diskussion und übermitteln da, wenn nötig, auch einen Sense of Urgency. Im Zweifel könnte man überlegen, einen Exit zu generieren.“ Und Christian Wolf betonte: „Man sieht über die Zeit, dass eine Entwicklung stattfindet. Wenn der Investor immer öfter fragt, bewegt sich auch der Asset Manager.“
Zielkonflikt zwischen Rendite und Risiko
Beim Nachhaltigkeits-Panel „Für Ökologie und Soziales – und für Rendite und Risiko“ am Nachmittag der Jahreskonferenz ging die Vorstandsvorsitzende des Sustainable-Finance-Beirates, Silke Stremlau, in ihrer Funktion als Moderatorin der Diskussionsrunde auf verschiedene Zielkonflikte bei Nachhaltigkeit ein und wählte dabei unter anderem aktuelle Beispiele aus der Asset-Klasse Immobilien, wo das ESG-Thema aktuell immer relevanter wird. Stremlau trat im Juni als Noch-Vorständin der Hannoverschen Kassen in Erscheinung, ab dem 1. September beginnt sie ein Fellowship bei der Stiftung Mercator.
Ihr Podium beehrten zwei kirchliche Investoren und zwei Asset Manager: Alliance Bernstein und Amundi. Dass institutionelle Investoren leicht in solche Zielkonflikte geraten können, illustrierte Dr. Stefan Fritz, Geschäftsführer der Stiftungen der Erzdiözese München & Freising, anhand eines konkreten Beispiels: Eine Sozialstiftung vermietet in einem begehrten Münchner Stadtteil Wohnraum zu Marktpreisen. Hierauf kommt es zu negativen öffentlichen Reaktionen, weil Sozialstiftung und gehobene Vermietung auf den ersten Blick nicht zusammenpassen.
Doch Fritz erinnerte daran, das Gesamtportfolio im Blick zu behalten: „Wenn eine Stiftung neben teurem Neubau auch günstigen, insbesondere sozialgebundenen Wohnraum vermietet, leistet sie einen erheblichen Beitrag zur Entlastung der Mieterinnen und Mieter in einem Ballungsraum.“ In jedem Fall sei es für Investoren wichtig, Anlageziele klar zu kommunizieren: „Steht die soziale Komponente bei dem Investment im Vordergrund oder die Ertragskomponente? Entscheidend sei es in der Folge, diese Ziele im Bestandsportfolio auszubalancieren. Sein Counterpart Dr. Jörg Mayer, Oberlandeskirchenrat und Leiter der Abteilung für Finanzen der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig ist seit Kurzem auch zuständig für deren Immobilienanlagen, für das sogenannte Pfarrpfründevermögen. Er wusste dagegen zu berichten, dass es bei Wohnungen und Gebäuden, die die Landeskirche vermiete, bereits zum Zielkonflikt zwischen dem Faktor Soziales und dem Ertragsfaktor gekommen sei, in diesem Fall zulasten der Erträge: Vermietungen und Verpachtungen sind weit unter Marktpreis.“ Jedoch entspreche dies nicht dem eigentlichen Auftrag, der nämlich in der Finanzierung der Pfarrbesoldung besteht, gab Mayer zu Bedenken.
Philipp Lehner, Senior Vice President und Managing Director bei Alliance Bernstein, berichtete auf der Fremdkapitalseite von Wohninvestments mit explizitem sozialem Charakter: „Wir schauen uns natürlich insbesondere Projekte und Ideen an, die die Equity-Fonds zu uns bringen. Finanzierungsseitig haben wir immer wieder Transaktionen gemacht, die in die Richtung Social Housing gehen, zum Beispiel in London, aber auch in Kontinentaleuropa.“ Bei solchen Investments vergebe der Sponsor zum Beispiel für einen längeren Zeitraum einen festen Mietpreis, könne an einer Wertsteigerung des Objekts partizipieren oder im Fall eines Verkaufs heute, zum entsprechenden Marktpreis einen Teil des zu erwirtschaftenden Gewinns für sich in Anspruch nehmen.
Beim Thema Kreislaufwirtschaft in der Immobilienbranche, zum welchem Silke Stremlau die Panelisten befragte, gab Lehner zu Bedenken, dass hier „die Immobilienwirtschaft sich sicherlich noch schwertut“. Immobilien seien per se, aufgrund CO₂-intensiver Baustoffe wie Beton und Stahl, ein „ESG-Offender“. Unter anderem seien zum Beispiel Maßnahmen der Energieeffizienz auf absehbare Zeit geeignet, Immobilien nach vorne zu bringen.
Im zweiten Teil des Nachhaltigkeits-Panels ging es um Engagements. Jörg Mayer, der neben seiner Tätigkeit für die Landeskirche in Braunschweig seit März dieses Jahres als Leiter des Arbeitskreises Kirchlicher Investoren (AKI) fungiert, beschrieb die wichtige Rolle der Bündelung von Investoreninteressen. Man habe mit dem AKI allein in den vergangenen zwei Jahren 44 Gespräche „einmal quer durch den Dax durch“, geführt, und das oftmals mit Banken und Corporates auf Vorstandsebene. „Wir sind bei Engagements sehr stark unterwegs, weil allein die Bündelung so vieler Akteure und so vieler Investoren auf evangelischer Seite dazu führt, dass wir gehört werden“, konstatierte Mayer.
Gewichtiges zu Engagements zu sagen hatte denn auf dem Panel auch Dr. Andreas Steinert, Head of ESG Business bei Amundi Deutschland. Fondsriese Amundi hatte in 2022 auf über 10.000 Hauptversammlungen abgestimmt. „Engagement und die Stimmabgabe auf Hauptversammlungen muss man zusammendenken. Zu den weiteren Instrumenten im Werkzeugkasten, mit denen wir die Strategie von Unternehmen der Realwirtschaft verändern können, gehört auch eine dynamische Ausschlusspolitik, die wir schrittweise auf globaler Ebene verschärfen“, so Steinert. Bündelung und Reichweite seien wichtig. Es handele sich bei Engagements um ein Multi-Projektmanagement, wobei man über Jahre hinweg ein Unternehmen immer wieder zu einem Thema begleite.
Autoren: Daniela EnglertSchlagworte: ESG-Berichtspflichten | ESG-Rating | Jahreskonferenz portfolio institutionell | Nachhaltigkeit/ESG-konformes Investieren | Titelstory | Wohnimmobilien
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