Pension Management
21. Februar 2022

Quasi-obligatorische bAV über Tarifverträge

Das Altersvorsorgesystem der Niederlande klingt verlockend, da es flexibel und kapitalmarktorientiert daherkommt. Zudem umschifft es auch einige finanzielle Klippen. Die Langlebigkeit ist aber auch für Pensionsfonds ein Problem.

Der Consultant Aon hat in acht mit Deutschland vergleichbaren Ländern bAV-Modelle und deren Erfolgsfaktoren für die Zukunft untersucht. Wie sich Strukturen verschlanken lassen, machten Großbritannien und die Schweiz vor (siehe Ausgaben 10/21 und 12/21) vor. „Mehr Flexibilität und schlanke Strukturen erweisen sich als teilnahmefördernd“, heißt es in der Aon-Studie.

Das liest sich wie eine erste Handlungsanleitung für die neue Bundesregierung. Dafür liefert der Blick über die Grenze in die Niederlande ein exemplarisches Schlaglicht. Gemessen am Global Pension Index (MCGPI) des Consultants Mercer belegt Deutschland unter 43 ­Altersvorsorgesystemen weltweit nur den 14. Rang, während die Niederlande mit am besten abschnitten.

Altersvorsorge in den Niederlanden

Das Rentensystem der Niederlande basiert wie bei uns auf drei ­Säulen: staatliche Rente, bAV und private Altersvorsorge. Doch die gesetzliche Rente ist bei unseren Nachbarn nur als Grundsicherung gedacht. „Die 1957 eingeführte Algemene Ouderdomswe (AOW) ist die gesetzliche Grundrente, die unabhängig von einer Bedürftigkeitsprüfung gezahlt wird“, heißt es in der wirklich guten Studie „Altersvorsorge mit Aktien zukunftsfest machen“, die das Deutsche Aktieninstitut (DAI) bereits 2019 vorgelegt hatte.

Ver­heiratete und ihnen gleichgestellte unverheiratete Paare erhalten je Person rund 1.200 Euro, Alleinstehende 1.660 Euro, abgeleitet aus dem Mindestlohn. Die volle AOW-Leistung fließt erst nach 50 ­Versicherungsjahren; für jedes fehlende Jahr wird die Rente um zwei Prozent gekürzt. Bei Männern trägt die AOW-Leistung rund ein Drittel des Renteneinkommens (Frauen: 50 Prozent).

Der ­Beitrag ist mit 18 Prozent des Bruttoeinkommens etwas günstiger (18,6 Prozent), die Bemessungsgrenze jedoch mit rund 35.000 ­Euro pro Jahr nicht einmal halb so hoch wie bei uns (über 80.000 Euro). Nutznießer sind Arbeitnehmer und Selbstständige.

Ergänzt wird die Finanzierung auch in den Niederlanden durch Zuschüsse aus dem Staatshaushalt (2020: 41 Milliarden Euro = 5,1 Prozent des Bruttoinlandprodukts), während der Zuschuss bei uns schon zehn Prozent des BIP ausmacht und der größte Posten im Bundeshaushalt ist (2020: fast 102 Milliarden Euro).

Gesetzliche Rente in Holland: nur Grundsicherung

Rogier Minderhout, ehemaliger holländischer Investmentbanker, Systemkritiker sowie Gründer und Geschäftsführer des in Deutschland aktiven Fintechs Mypension Altersvorsorge GmbH, hält die gesetzliche Rente in den Niederlanden für deutlich effizienter. „Sie bietet jedem über 67 das gleiche Existenzminimum, und die gesetzliche Rente steht jedem unabhängig von der Zahl der Beitragsjahre zu – trotz halb so hoher Ausgaben wie bei uns. Der deutsche ­Rentner bekommt einen relativ hohen Betrag (48 Prozent des durchschnittlichen Arbeitseinkommens), Besserverdiener bekommen mehr als Geringverdiener.

Anders in den Niederlanden: „Für Niedrigverdiener liefert das Grundeinkommen einen relativ hohen Beitrag, während es für hohe Einkommen nur einen geringen Teil des durchschnittlichen Arbeitseinkommens darstellt“, erklärt der Mypension-Gründer. „Ein Existenzminimum liefert die deutsche GRV nicht und ist trotzdem ein Sanierungsfall“, so Minderhout.

Aufgefangen wird die relativ niedrige GRV-Leistung bei unseren Nachbarn durch eine quasi-obligatorische bAV, die die Tarifparteien vereinbaren. Quasi-obligatorisch deswegen, weil die Regierung die Möglichkeit hat, ausgehandelte Betriebsrenten für die gesamte Branche verbindlich zu erklären.

Dennoch unterscheidet sich die bAV, hat die DAI-Studie herausgefunden. Typischerweise bringt die Betriebsrente zusammen mit der gesetzlichen Rente 70 Prozent des zuletzt verdienten Einkommens. Davon können deutsche Durchschnittsverdiener nur träumen.

Unternehmen und Beschäftigte teilen sich Beiträge

Die Finanzierung erfolgt meist zu zwei Dritteln durch die Unternehmen und zu einem Drittel durch die Beschäftigten. Der ­Beitragssatz schwankt je nach bAV-System zwischen 15 und 25 Prozent. Die gesetzliche Beitragsbemessungsgrenze liegt bei rund 109.000 Euro.

Günstig und besser als bei uns: Eine Übertragbarkeit der Ansprüche bei Wechsel des Betriebs ist grundsätzlich gewährleistet. Hauptträger der bAV sind Pensionsfonds, die 2018 insgesamt 1,3 Billionen Euro für Erwerbstätige verwaltet haben, und Lebensversicherer (2018: rund 200 Milliarden Euro).

Der regulatorische Rahmen bei unseren Nachbarn verlangt, dass niederländische Pensionsfonds über Vermögenswerte in Höhe von mindestens 130 Prozent aller gegenwärtigen und künftigen Verbindlichkeiten verfügen. Fällt der Deckungsgrad unter die Schwelle von 105 Prozent, muss der Pensionsfonds einen Sanierungsplan vorlegen, der innerhalb von zehn Jahren umzusetzen ist.

Der relativ lange Zeitraum soll verhindern, dass während der Sanierung zu wenig in kurzfristig volatile Anlageformen wie Aktien ­investiert wird. Der Mindestdeckungsgrad wird als Durchschnittswert über ein Jahr berechnet. Dieser Regulierungsrahmen hat im Zusammenhang mit der Niedrigzinsphase seit 2008 dazu geführt, dass 68 von 415 Pensionsfonds ihre Leistungen kürzen mussten, ergab eine Statistik der niederländischen Nationalbank bereits 2013. Die Lage ist seither nicht besser geworden. Im Durchschnitt betrug die Kürzung bis 2018 rund 1,5 Prozent. Im Jahr 2019 lag der Deckungsgrad im Schnitt wieder bei 110 Prozent.

Institutionelle Trennung von Pensionsfonds uns Unternehmen

Aber ganz so flexibel wie häufig geschrieben ist das holländische bAV-System eben auch nicht. Ein zentrales Element stellt die institutionelle Trennung der Pensionsfonds von den beteiligten Unternehmen dar. Ebenfalls nicht unproblematisch sind die Zusage-Arten. 77 Prozent der niederländischen Pensionsfonds basieren faktisch auf dem Prinzip kollektiver Beitragszusagen, einer Mischform aus einer reinen Leistungs- und einer Beitragszusage.

Es wird eine Rentenhöhe in Aussicht gestellt, die jedoch nicht fest ­garantiert ist („weiche Garantie“) und bei schwieriger Finanzlage der Fonds auch abgesenkt werden kann. Ähnlich der Beitragszusage zahlen die Tarifparteien feste Beiträge ein. Pensionsfonds führen jedoch keine individuellen Altersvorsorgekonten und können Erträge sowie Risiken zwischen den Generationen verteilen. Reine ­Beitragszusage (rBZ) machen in den Niederlanden nur sechs ­Prozent aller Betriebsrenten aus (in Deutschland: null).

Auch die Auszahlungsphase von Betriebsrenten ist in den Niederlanden etwas speziell: Betriebsrenten auf Basis kollektiver Beitragszusagen werden als Leibrenten ausgezahlt. Bei Systemen mit ­reiner Beitragszusage können die Begünstigten seit 2016 zwischen einer Leibrente, einem Entnahmeplan oder einer Kombination aus beidem wählen. Dies ist in Deutschland bisher für Arbeitnehmer eher unüblich, weil die Kapitalabfindung – falls erlaubt – als Alternative zur Verrentung vor allem steuerlich unter „Strafe“ steht.

Übrigens: Festverzinsliche Wertpapiere sind immer noch die wichtigste Anlageklasse für niederländische Pensionsfonds (51 Prozent). Aktien belegten mit 31 Prozent den zweiten Rang. Pensions­fonds unterliegen keinen quantitativen Grenzen für die Anlage in Wertpapiere, sondern sind nur dem Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht („Prudent Person Principle“) verpflichtet.

Vor Abzug von Gebühren und Steuern erzielten die niederländischen Pensionsfonds zwischen 2000 und 2017 jährlich fünf Prozent Kapitalertrag. Das klingt nicht schlecht. Allerdings werden tendenziell durch die Langlebigkeit in Kombination mit dem Niedrigzins längst nicht alle Renditeziele erreicht. Zudem spüren die Rentner, dass die nominalen Ergebnisse aktuell nicht immer reichen.

Umstellung auf beitragsorientierte Zusagen startet erst jetzt

Daher stellen auch die dortigen Pensionsfonds nun nach und nach auf beitragsorientierte Zusagen (DC) um. Noch sind jedoch 94 Prozent der Vermögenswerte in leistungsorientierten Pensions­plänen (DB) investiert, sagt John Gout, Senior Business Development-­Manager der BNP Paribas in den Niederlanden. Aktuell wird der Übergang zu einem neuen beitragsorientierten Altersvorsorge­vertrag politisch vollzogen. Die Reform soll bis 2027 vollständig in Kraft treten. Sie hat laut Gout drei weitreichende Konsequenzen:

1. Die Anlagestrategie muss die Kongruenz zwischen Assets und Verpflichtungen neu austarieren. Unterschiedliche Altersgruppen haben künftig eigene Lebenszyklen und Risikoprofile. Vor allem Immobilien, Private Equity und Infrastruktur dürften im Portfolio von derzeit zehn Prozent in Richtung 20 Prozent wachsen.

2. Die Kommunikation muss besser werden, denn je stärker die AV-Verträge von unterschiedlichen Lebenszyklen und ­Risikoprofilen bestimmt werden, desto individueller werden sie auch in kollek­tiven Systemen. Zudem müssen ESG-Präferenzen und digitale ­Assets sinnvoll umgesetzt und vernünftig kommuniziert werden. Beispiel: Der mit 528 Milliarden Euro größte EU-Pensionsfonds, ABP, will sich von seinen Anlagen in Firmen aus dem Öl-, Gas- und Kohlegeschäft trennen. Das sind 80 Beteiligungen im Volumen von 15 Milliarden Euro.

3. Pensionsfonds müssen ihre Pensions- und Anlageverwaltung optimieren und digital transformieren. Gout spricht hier von ­„feinkörnigerem Reporting gegenüber Kunden, Mitgliedern und Aufsicht“. Dabei dürfte es verstärkt zum Outsourcing an spezialisierte Verwalter kommen.

Autoren:

Schlagworte: |

In Verbindung stehende Artikel:

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert