Pech haben ist kein Haftungsgrund
Der im Februar vorgestellte Entwurf für eine Reform des Stiftungsrechts könnte sehr umfangreiche Änderungen des BGB zur Folge haben, die auch neuen Spielraum für die Vermögensverwaltung von Stiftungen eröffnen. Einer der wichtigsten Reformpläne: Die Business Judgment Rule soll künftig auch für Stiftungsorgane gelten. Mit konkreten Vorgaben für die Geldanlage hält sich der Gesetzgeber dagegen weiter zurück.
Wer anfängt, sich mit dem Stiftungswesen zu beschäftigen, wird schon bald diesen Satz lernen: „Die Stiftung ist eine rechtlich verselbstständigte Vermögensmasse.“ Will heißen: Die großen Werke von Alfried Krupp, Karlheinz Böhm, Reinhard Mohn, Dietmar Hopp, Ise Bosch, dem Ehepaar Bucerius und vielen anderen Menschen, die sich vorstellten, wie man die Welt besser machen kann, waren einst nicht mehr als ein Sack voll Geld, den eine Behörde kraft ihres Amtes in eine juristische Person verwandelte. Ohne Mitglieder oder Gesellschafter und ohne gesetzlich vorgeschriebene Kontrollorgane ist eine Stiftung auf sich alleine gestellt und darauf angewiesen, ihr Vermögen klug zu investieren, will sie merkliche gesellschaftliche Veränderungen bewirken.
Bedenkt man, welche immens wichtige Rolle die Geldanlage dabei spielt, ist darüber in den gesetzlichen Regelungen herzlich wenig zu lesen. Im BGB heißt es lediglich, dass das Vermögen der Erfüllung des vom Stifter vorgegebenen Zwecks gewidmet wird (Paragraf 81 Absatz 1 Satz 1). Die Stiftungsgesetze der Länder enthalten in der Regel einen einzelnen Paragrafen zur Vermögensverwaltung. Neben dem Grundsatz des Kapitalerhalts findet sich aber auch dort keine nähere Konkretisierung als zum Beispiel das Vermögen „sicher und ertragbringend anzulegen“ (Hamburgisches Stiftungsgesetz Paragraf 4 Absatz 2, Satz 2) oder dieses „sparsam und wirtschaftlich zu verwalten“ (Paragraf 4 Absatz 1 Sächsisches Stiftungsgesetz). Hieraus haben Stiftungsjuristen geschlossen, dass es sicher unzulässig ist, Anlageinstrumente zu wählen, die in Gänze keinen Ertrag bringen oder bei denen Gewinn und Verlust vom Zufall abhängig sind. Daher dürfte eine Stiftungsaufsicht sowohl gegen CFD-Tradings Einwände erheben als auch gegen die Anlage des kompletten Vermögens in Meißner Porzellan.
Welche Aktienquote ein Stiftungsvermögen haben kann, ob auch Derivate gestattet sind und wie oft umgeschichtet werden darf, darüber sagen die Gesetze nichts aus. Dies gibt zum einen dem verantwortlichen Stiftungsvorstand viel Spielraum, setzt ihn zum anderen aber auch großen Haftungsrisiken aus, wenn doch mal ein Deal danebengeht. Veränderungen könnte die seit nunmehr sieben Jahren geplante Reform des Stiftungsrechts bringen, zu der das Bundeskabinett Anfang Februar dieses Jahres einen Regierungsentwurf vorgelegt hat. Dieser erntete in der Szene – insbesondere beim Bundesverband Deutscher Stiftungen – bereits deutlich mehr Wohlwollen als der im August vergangenen Jahres veröffentlichte und merklich kritisierte Referentenentwurf. Auch wenn eine Reihe von Kritikpunkten verbleiben, wie beispielsweise das nach wie vor stark eingeschränkte Satzungsänderungs-Recht des Stifters, enthält der Regierungsentwurf neben zahlreichen weiteren Neuregelungen bereits einige Verbesserungen, die den Anlageverantwortlichen in Stiftungen das Leben leichter machen werden.
Mit großem Jubel wurde vor allem die geplante Einführung der Business Judgment Rule in das Stiftungsrecht begrüßt. Diese besteht für Unternehmen bereits seit 1997 und findet sich heute in Paragraf 93 Absatz 1 Satz 2 des Aktiengesetzes. Hiernach kann einem Vorstandsmitglied keine Pflichtverletzung vorgeworfen werden, wenn es „bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln“. Diese Klausel findet sich nun fast wortgleich im geplanten Paragraf 84a Absatz 2 Satz 2 BGB. Der Unterschied zum Aktiengesetz ist vor allem ein deutlicher Hinweis, neben dem geltenden Recht auch die Satzungsvorschriften zu beachten. Hat sich ein Vorstand hieran gehalten, muss er künftig nicht mehr befürchten, fürs bloße Pech haben in Anspruch genommen zu werden. Zwingt eine unvorhergesehene Jahrhundertseuche die Aktien kurz vor dem Bilanzstichtag in die Knie, hat dies der anlageverantwortliche Stiftungsvorstand ebenso wenig zu verantworten, wie die Insolvenz eines mit hervorragenden Ratings versehenen Unternehmens, das der neue Geschäftsführer aufgrund einer Liebesaffäre in den Ruin treibt.
Die vieldiskutierte Frage, ob eine auf unbestimmte Zeit angelegte Stiftung ihr Vermögen nominell oder inflationsbereinigt erhalten muss, wird dagegen auch von der Neufassung des BGB nicht beantwortet. Es bleibt zu hoffen, dass hier die Länder nachziehen werden und sich in den Landesstiftungsgesetzen künftig hilfreiche Konkretisierungen (und hoffentlich auch Öffnungsklauseln) finden werden. Zunächst bleibt es aber beim geplanten Paragrafen 83c BGB, der in Absatz 1 Satz 1 lediglich vorschreibt: „Das Grundstockvermögen ist ungeschmälert zu erhalten.“
Hilfreich können allerdings mehrere Ausnahmen sein, welche die folgenden Absätze von diesem Prinzip zulassen. So darf laut Absatz 2 die Stiftung einen Teil ihres Grundstockvermögens verbrauchen, wenn die Stiftung gleichzeitig verpflichtet ist, den Wertverlust wieder aufzuholen. Durch den Einsatz des Dotationskapital für den Stiftungszweck wird eine Stiftung in einer Notsituation weit umfassender Hilfe leisten können, als es allein mit Erträgen aus der Geldanlage möglich ist. Sollten sich humanitäre Krisen wie die Flüchtlingswelle von 2014/15 oder das Erdbeben im Indischen Ozean von Dezember 2004 wiederholen, werden Organisationen aus dem Katastrophenschutz und der Entwicklungszusammenarbeit sicher gerne darauf zurückkommen.
Auch beugt diese Klausel künftig einem altbekannten Ärgernis vor. So sehen es viele Stiftungsberater kritisch, dass der Anlageerfolg einer Stiftung nach dem Kontostand zu einem bestimmten Stichtag bewertet wird. Endet nun das Geschäftsjahr am 31. Dezember und ereignet sich zwischen den Jahren ein Börsencrash, ist Holland in Not. Der Vorstand oder die beauftragte Vermögensverwaltung können dann bis Heiligabend noch so gut gewirtschaftet haben, sie gelten rein bilanziell als Underperformer. Um diesen Eindruck zu korrigieren, wird beispielsweise vorgeschlagen, die Geldanlage über einen Fünf-Jahres-Zeitraum zu bewerten. Auch wird keine Stiftungsaufsicht die Vermögensverwaltung rügen, wenn der Vorstand für die drei anderen Quartale des Jahres eine erfreuliche Entwicklung des Stiftungskapitals vorlegen kann.
Jedoch verbleiben Unsicherheiten. Die Neuregelung gestattet es Stiftungen nun, sich selbst einen gewissen Risikopuffer zu geben (zum Beispiel zehn Prozent des Grundstockvermögens), um bei einer zeitlich ungünstigen Baisse zumindest hinsichtlich der Einhaltung der gesetzlichen und satzungsgemäßen Vorschriften auf der sicheren Seite zu sein. Kreative Ideen, um die Verluste ab Januar wieder aufzuholen, sind natürlich weiterhin vonnöten. Ebenfalls umstritten ist aktuell, ob Umschichtungsgewinne dem Grundstockvermögen zugeführt werden müssen oder für die Verfolgung des Stiftungszwecks verwendet werden können. Diese Frage stellt sich insbesondere, wenn Investmentfonds mit geringen Losgrößen eine erfreuliche Wertentwicklung aufweisen und eine Stiftung Interesse hat, einzelne Fondsanteile zu verkaufen. Hier gehen Fachjuristen meist davon aus, dass speziell bei einem entsprechend dokumentierten Willen der Stifter die beschriebene Vorgehensweise durchaus zulässig ist. Andere plädieren dafür, nach dem Prinzip „spare in der Zeit, dann hast du in der Not“ lieber die Gunst der Stunde zu nutzen und das Grundstockvermögen zu erhöhen.
Nun stellt der geplante Absatz 3 des Paragrafen 83c BGB klar, dass die Satzung bestimmen kann, Zuwächse aus Umschichtungen des Grundstockvermögens für die Verfolgung des Stiftungszwecks zu verbrauchen. Es wird daher bald umso wichtiger werden, sich in der Satzung zu der besprochenen Frage zu positionieren. Denn anders als aktuell kann sich eine Stiftungsaufsicht künftig darauf berufen, dass ein solches Vorgehen vom Stifter gerade nicht gewollt ist, sofern die Satzung dazu schweigt.
Die beschriebenen Erleichterungen für die Vermögensverwaltung und die neuen Handlungsoptionen erfordern allerdings, dass in der Satzung darauf eingegangen wird. Gleiches gilt für die Begründung von Anlageentscheidungen, um in den Genuss der Business Judgment Rule zu kommen. Daher dürften die Satzungen von Stiftungen, eventuell auch deren Geschäftsordnungen künftig noch wortreicher ausfallen. Mehr Handlungsoptionen bedeuten aber auch höhere Risiken, im Einzelfall eine entscheidende Gesetzesklausel zu übersehen. Der Bedarf nach professioneller, rechtskundiger Stiftungsberatung dürfte daher noch weiter steigen. Sofern die geplante Reform umgesetzt wird, können sich also Banken, Sparkassen, Kanzleien und andere Stiftungsdienstleister auf einen Zuwachs an Mandaten freuen.
Autoren: Gregor Jungheim und Tobias M. KarowSchlagworte: Stiftungen | Stiftungsrechtsreform
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