Statement
27. Mai 2021

Berücksichtigung des Klimawandels in Anlageentscheidungen

Angesichts seiner langfristigen wirtschaftlichen ­Auswirkungen wird der Klimawandel zunehmend als wesentliches Risiko in Anlageportfolios betrachtet. Zu beachten sind physische ­Risiken und Übergangsrisiken. Die Bewältigung des Klimawandels bietet aber auch Chancen.

Die negativen Folgen des Klimawandels für die Weltwirtschaft dürften erheblich ausfallen. Diese dürfte sich über eine Vielzahl von Erst- und Zweitrundeneffekten bemerkbar machen. Zu ­Ersteren zählen schwerwiegende Dürren, ein Anstieg des Meeresspiegels und ein häufigeres Auftreten von Naturkatastrophen. Ein grösserer Teil der erwarteten Folgen entfällt jedoch auf die Sekundäreffekte, darunter eine verstärkte Migration oder häufigere ­Störungen der Lieferketten.

Angesichts seiner langfristigen Auswirkungen sollten die Aspekte des Klimawandels auch in Anlageportfolios berücksichtigt werden. Aufgrund der komplexen Verflechtungen zwischen der Bekämpfung des Klimawandels und anderen ESG-Zielen sind viele Anleger allerdings oft überfordert.

Es gibt zwei Hauptkategorien von klimabezogenen Risiken: ­physische Risiken und solche, die sich sekundär aus dem ­Klimawandel ergeben. Erstere beschreibt die direkten Folgen des Klimawandels. Die zweite Kategorie umfasst die Risiken, die sich aus dem Unvermögen der Unternehmen ergeben, mit dem ­Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft Schritt zu halten. Im Gegenzug könnte die Bekämpfung des Klimawandels aber auch neue Gelegenheiten zur Förderung dieses Übergangs eröffnen. Dazu sind neue Produkte und Dienstleistungen vonnöten, was attraktive ­Gelegenheiten mit sich bringt.

Physische Risiken: Klimawandel gefährdet Vermögenswerte

Die globalen Auswirkungen des Klimawandels machen sich in Form von häufigeren Hitzewellen, Hurrikans, Lauffeuern und Überschwemmungen bemerkbar. Somit hat der Klimawandel weltweit spürbare wirtschaftliche Verluste zur Folge. Fünf der zehn grössten wetterbedingten Verluste wurden in den vergangenen zehn Jahren verzeichnet, worin die Korrelation zwischen ­steigenden Temperaturen und extremen Wetterereignissen zum Ausdruck kommt. Aber die Sekundäreffekte sind häufig bedeutender:
die heftigen Monsun-Regenfälle in Südostasien von 2011 richteten verheerende Schäden im Technologiesektor an, da ein Grossteil der Festplattenproduktion in einem Gebiet angesiedelt war, das wochenlang überflutet war.

Somit stellt der Klimawandel eine direkte Gefahr für physische ­Vermögenswerte und die Produktionskapazitäten der Unternehmen und ihrer Zulieferer dar. Erfreulicherweise nehmen Unternehmen dies zunehmend auf in ihrer Nachhaltigkeitsberichterstattung. Darüber hinaus wird auch der unternehmensinterne Prozess zum Umgang mit physischen Risiken offengelegt und kann so beurteilt werden.

Klimawandel gefährdet Unternehmensgewinne

Da Regierungen politische Massnahmen und Vorschriften im ­Hinblick auf eine emissionsarme Zukunft durchsetzen, dürften Unternehmen einerseits Druck seitens höherer CO2-Steuern und strengerer Gesetze und andererseits veränderte Kundenpräferenzen und -verhaltensweisen zu spüren bekommen. Diese Ver­änderungen stellen ein Risiko für Geschäftsmodelle dar und ­könnte eine erhebliche Belastung für die künftige Rentabilität ­bedeuten, sollten sie nicht angemessen berücksichtigt werden.

Es bestehen verschiedene Möglichkeiten, um das Risiko von ­Unternehmen gegenüber dem Klimawandel zu beurteilen. Am einfachsten lassen sich jene Risiken für Vermögenswerte beurteilen, die explizit durch die Finanzmärkte oder die Rechnungslegungsstandards bewertet werden. Da sich Richtlinien, Technologien und Märkte verändern, besteht bei einigen Vermögenswerten die Gefahr, dass sie frühzeitig abgeschrieben werden. Diese gestrandeten Vermögenswerte (Stranded Assets) sind in der Folge nicht mehr in der Lage, ihre Kapitalkosten vor dem Ende ihrer physischen ­Lebensdauer wieder einzubringen. Bloomberg New Energy ­Finance schätzt, dass es zwischen 2030 und 2035 wirtschaftlich rentabel werden dürfte, ein Kohlekraftwerk abzuschalten und durch eine alternative Energiequelle zu ersetzen, da die CO2-­Steuern steigen und sich die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen zunehmend effizienter und günstiger gestaltet. Kohlekraftwerke mit einer Lebensdauer über diesen Zeitpunkt hinaus werden obsolet. Dasselbe könnte sich auch bei der Produktion von ­Verbrennungsmotoren ergeben, da batteriebetriebene Fahrzeuge immer wirtschaftlicher werden.
Im Zuge des Klimawandels besteht das grösste Risiko ­gestrandeter Vermögenswerte aus fossilen Brennstoffen. Diese konzentrieren sich auf einige wenige Unternehmen und Sektoren wie Energie, Rohstoffe oder Versorger. Auf die zehn am stärksten betroffenen Unternehmen entfällt in der Regel über 75 Prozent des Gesamt-Exposures. Um den vollen Umfang des Risikos zu ­ermitteln, müsste aber die gesamte Wertschöpfungskette analysiert werden. Dazu zählen Zulieferer wie Hersteller von Kompressoren für die Schieferölbranche, Dienstleistungsunternehmen, die Bohranlagen und -mannschaften zur Verfügung stellen, sowie Mid- und Downstream-Unternehmen, welche die Produkte mittels Pipelines oder Zügen befördern. Da auf fossilen Brennstoffen basierende Technologien in Zukunft obsolet und von saubereren Lösungen abgehängt werden dürften, müssten auch die Produktionsanlagen abgeschrieben werden.

Als Näherungswert für dieses Risiko nutzen wir die aktuelle CO2-Intensität eines Unternehmens. Bei dieser Kennzahl werden die Treibhausgasemissionen in Tonnen an CO2-Äquivalent dem ­investierten Kapital des Unternehmens gegenübergestellt. Es hat sich ­gezeigt, dass die CO2-Intensität mit anderen Kennzahlen zur Kostenintensität korreliert und als Qualitätsindikator ­herangezogen werden kann. Da von regulatorischer Seite zunehmend verlangt wird, dass die gesellschaftlichen Kosten von Treibhausgas­emissionen durch Steuern internalisiert werden, besteht darüber hinaus die Gefahr künftig höherer Kosten. Zum jetzigen Zeitpunkt stehen verlässliche Daten zu sogenannten Scope-2-Emissionen zur Verfügung, worunter die direkten Emissionen sowie die indirekten Emissionen aus dem Verbrauch extern produzierter Energie fallen.

Zukunftsgerichtete Kennzahlen analog des Pariser Abkommen

Die Dekarbonisierungsziele, welche sich die Unternehmen selbst gesetzt haben, betrachten wir unter einem zukunftsgerichteteren Blickwinkel. Dabei werden Unternehmen anhand ihrer Bestre­bungen zur Erreichung der Klimaziele des Pariser Vertrages bewertet. Hierzu wird die Ausrichtung an einem Temperaturszenario ­berechnet. Obschon die Berechnung auf Modellierungsent­scheidungen und Annahmen basiert, dürfte sie ein klareres Bild darüber vermitteln können, wie gut die Unternehmen auf die ­Energiewende vorbereitet sind. Beide Kennzahlen bewerten die Unternehmen ­anhand ihrer CO2-Emissionen, verschaffen aber ­unterschiedliche ­Betrachtungswinkel.

„Grüne“ Umsätze: Die Energiewende schafft Opportunitäten

Für eine erfolgreiche Bewältigung des Klimawandels sind neue ­Lösungen erforderlich, die einen emissionsarmen Ersatz für ­besteh­ende Bedürfnisse ermöglichen. Dadurch können neue Ak­teure ­effektiv mit etablierten Unternehmen konkurrieren. Dies ist in vielen Sektoren zu beobachten. Tesla wurde erst vor 17 Jahren ­gegründet, ist aber bereits jetzt der grösste Anbieter von Luxus­autos in den USA und lässt dabei bekannte Automarken wie ­Mercedes-Benz oder Audi hinter sich. Oder GE, deren Windkraftwerke einen ähnlichen Umsatz erwirtschaften wie ihr Gasturbinen­geschäft. Um ­sicherzustellen, dass Kapital in klima-freundliche ­Aktivitäten ­gelenkt wird, hat die EU 70 Aktivitäten zur Minderung des Klimawandels und 68 Aktivitäten zur Anpassung an den ­Klimawandel definiert Die als „EU-Taxonomie für nachhaltige ­Aktivitäten“ bekannten Bestimmungen messen die mit diesen ­Aktivitäten verbundenen „grünen“ Umsätze. Ein hohes ­Exposure ­dürfte es entsprechenden Unternehmen ermöglichen, Marktanteile zu ­gewinnen und schneller zu wachsen als Mitbewerber.

Eine „Einheitslösung“ gibt es nicht

Die Berücksichtigung der Komplexität des Klimawandels in Anlageportfolios stellt ein beachtliches Unterfangen dar. Es ist an den Vermögensverwaltern und Asset Ownern zu entscheiden, wie ihre Portfolios diesem Rechnung tragen sollten. Dabei steht Anlegern ein immer breiteres Spektrum an Möglichkeiten – von der Beurteilung des Risikos einer Zerstörung physischer Vermögenswerte bis hin zur Nutzung neuer Gelegenheiten – zur Verfügung. Und angesichts der zu erwartenden erheblichen Folgen des Klimawandels ist eine Berücksichtigung in Portfolios mittlerweile unabdingbar.

Grüne Schwäne sind das Ziel der Regulierung

Interview mit Florian Esterer, Head of Core Equities, J. Safra Sarasin Sustainable Asset Management

Wie erleben Sie die Nachhaltigkeits-­Diskussionen mit Ihren Kunden?

Unsere Diskussionen sind ähnlich wie die Diskussionen mit den Regulatoren und ­anderen Marktteilnehmern. Erstens ist die Spanne der diskutierten inhaltlichen ­Themen sehr vielfältig, sie reicht von Klimaschutz bis hin zu sozialen Themen. Zweitens sind die Anforderungen an den Anlageprozess sehr unterschiedlich. Das betrifft Ausschluss­kriterien, die konkrete Integration, der Mehrwert in der Finanzanalyse oder die ­Abbildung von ethischen Bedenken in ­Portfolios. Es gibt zwar regionale Schwerpunktthemen, aber die Erwartungen an Nachhaltigkeit sind sehr unterschiedlich. Es bedarf daher häufig noch eine Auslege­ordnung, was der jeweilige Gesprächs­partner unter dem Begriff konkret versteht.

Wenn wir über die Inhalte diskutieren, scheint die Branche bei ESG auf das E und hier auf das Klima und hier wiederum auf den CO2-Ausstoß fixiert. Kommen viele andere Nachhaltigkeitsaspekte zu kurz?

Es kommt darauf an, was man erreichen will. Aus einer finanzanalytischen Perspek­tive ist für viele Firmen der CO2-Ausstoß keine wichtige Kennzahl, um den ökonomischen Wertgenerierungsprozess, die Finan­cial Materiality, darzustellen.
Der CO2-­Ausstoß als relevante Kennzahl ist sinnvoll bei Unternehmen, die einen starken ­Ressourcenverbrauch haben. Hier ist der CO2-Ausstoß hoch korreliert mit dem ­Verbrauch anderer Rohmaterialien und der ­Effizienz des Produktionsprozesses. So lässt sich zum Beispiel bei vielen produzierenden Industrieunternehmen ein Zusammenhang zwischen dem CO2-Ausstoß und der ­Bruttomarge feststellen.
In anderen Sektoren wie beispielsweise ­Software oder Healthcare sind wir eher an Themen wie Personalentwicklung interessiert; bei Konsumgüterunternehmen ­schauen wir auf die Lieferketten-Überwachung. ­Daher müssen Kennziffern häufig sektorspezifisch festgelegt werden und über den ­Klimabereich hinausgehen. Dieses Vorgehen hilft Investoren, Unternehmen besser zu ­ver­stehen und aus ESG-Sicht zu beurteilen.

Die Regulatorik forciert nachhaltige Investments. Ist das gut oder schlecht?

Das Verhalten insbesondere der europäischen Regulatoren in diesem Bereich ist verständlich. Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, müssen klare Ziele an Unternehmen und Finanzmarktteil­nehmer gesetzt werden. Das Erreichen ­dieser Ziele ist aber nicht immer im Eigeninteresse der Unternehmen. Daher bedarf es einen ­gesellschaftlichen Prozess, der die Leitplanken und die Umsetzungsgeschwindigkeit festlegt. Die resultierenden Regularien sind Umsetzung des politischen Willens und sind über einen politischen Prozess entstanden. Daher wäre eine Kritik an der Regulatorik eine Kritik an dem politischen Prozess. Wie wir die Diskussionen im Parlament verfolgt haben, scheint dieser vernünftig funktioniert zu haben, inklusive den immer noch ausstehenden Diskussionen über den Einbezug von Gaskraftwerken in die EU Taxonomie.

Was folgt aus Taxonomie und Offen­legungsverordnung?

Im Augenblick gibt es sehr viele Offenlegungs- und Reporting-Standards, was zu ­einer hohen Unsicherheit bei den Marktteilnehmern und einer hohen Komplexität führt. Wir befürworten daher eine zunehmende Standardisierung. Man muss aber unterscheiden, was jeweils erreicht werden soll mit den einzelnen Anforderungen. Bei Taxonomie und Offenlegungsverordnung geht es primär um die Umsetzung der politischen Ziele der EU. Hier könnte man sich sicher eine bessere Koordination über die regionalen Grenzen wünschen. Aber es ist klar, dass sich die Taxonomie-­Anforderungen in vielen künftigen Regularien wieder finden werden, wie zum Beispiel die Offenlegungsverordnung, den Klima-Benchmarks, oder einem EU Ökolabel für ­Finanzprodukte.
Im Gegenzug geht es bei der Initiative des IFRS mit der Einberufung eines ­Sustainability Standards Board um eine ergänzende Nachhaltigkeits-Berichterstattung mit einem ­Fokus auf materielle ­Inhalte für Anleger. In einem globalen Kontext haben wir höhere Erwartungen an diese Initiative, da sie mit den Regulatoren aus Asien und Amerika ­koordiniert ist.

Drohen durch den regulatorischen Druck und die Fixierung auf die ESG-Daten von einigen wenigen Anbietern ESG-Blasen? Existieren grüne Schwäne?

Die Entstehung von grünen Schwänen ist das erklärte Ziel der Regulierung. Indem man Anreize setzt, dass Finanzmarktteil­nehmer stärker in nachhaltige Unternehmen investieren, sollen die Kapitalmarktkosten dieser Firmen reduziert werden. Implizit werden Anleger gezwungen für ­diese Unternehmen geringere Renditen zu akzeptieren. Für die Unternehmen hingegen bedeutet dies, dass sie leichter zusätzliches Kapital aufnehmen und mehr investieren können. Und damit werden die privat-getriebenen Investitionen in diesen Bereichen zunehmen, was politisch gewünscht ist.

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