Versicherungen
30. November 2020

Lebensversicherer trotzen Niedrigzinsphase

Assekurata: Bewertungsreserven wieder gestiegen. Korridormethode nivelliert durch negativen Zinstrend.

Die Ergebnisse des diesjährigen Assekurata-EKG-Checks zu Lebensversicherern erscheinen auf den ersten Blick paradox: Die extremen Zinsbedingungen verschaffen den Lebensversicherern mehr Handlungsspielraum bei der Ausfinanzierung ihrer Zinszusatzreserve. Dies liegt an der neuerlichen Talfahrt der Zinsen, wodurch die Bewertungsreserven in den Handelsbilanzen wieder gestiegen sind. Langfristig ist die Zinsentwicklung aber herausfordernder denn je. Dies ist ein wesentliches Ergebnis aus dem Ertragskraft-Garantie-Check (EKG-Check), den Assekurata aktuell zum fünften Mal durchgeführt hat. Dabei hat die Rating-Agentur zahlreiche Kennzahlen zu Ertrag, Sicherheit und Beständen von 70 Lebensversicherern untersucht.

Elf Milliarden Euro fließen in ZZR

Zum Jahresanfang hatte Assekurata prognostiziert, dass die Lebensversicherer der Zinszusatzreserve (ZZR) in diesem Jahr zwischen neun und elf Milliarden Euro zuführen müssen. „Angesichts des erneuten Zinsverfalls seit Ausbruch der Pandemie gehen wir nun vom oberen Ende dieser Spanne aus“, schätzt Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei Assekurata, und verweist auf den diesjährigen Referenzzins von 1,73 Prozent (Vorjahr: 1,92 Prozent), an dem sich die Lebensversicherer bei der Nachreservierung orientieren müssen. Um diese elf Milliarden Euro an ZZR-Zuführungen zu finanzieren, müssen die Unternehmen aus ihren Kapitalanlagen einen Nettozins von gut einem Prozent erwirtschaften, zusätzlich zu den Erträgen zur Bedienung der eigentlichen Garantieverpflichtungen.

Viel schwerer wiegt aber der langfristige Aufbau der ZZR, den die Analysten in der EKG-Studie für verschiedene Szenarien errechnet haben. Geht man von anhaltenden Nullzinsen aus, steigt der Reservetopf bis 2030 demnach auf ein Gesamtvolumen von knapp 170 Milliarden Euro. In Summe sind dies 15 Milliarden Euro mehr als bei den letzten Hochrechnungen zum Zinsniveau am Jahresanfang. „Mit dem Ende 2020 aufgebauten ZZR-Bestand von rund 85 Milliarden Euro hätten die Lebensversicherer also in diesem Szenario gerade einmal die Hälfte der Strecke geschafft“, rechnet Lars Heermann vor. „Der Weg zur Ausfinanzierung ist damit weiter als gedacht.“

Negativzinsen wiegen positive Effekte auf

Anhand dieser Entwicklungen wird deutlich, dass der positive Effekt aus der 2018 eingeführten Korridormethode, mit der die Aufbaugeschwindigkeit der ZZR gedrosselt werden sollte, vom negativen Zinstrend nivelliert wird. Aus Sicht der Kölner Analysten ist daher ein sorgfältiges Ertragsmanagement wichtiger denn je. Insoweit untersucht der EKG-Check, inwieweit die Lebensversicherer mit ihren Erträgen in der Lage sind, die Rechnungszinsen, also die Garantien und ZZR-Zuführungen, zu finanzieren. In der aktuellen Studie stellte Assekurata fest, dass die EKG-Quote 2019 im Marktdurchschnitt mit 512,49 Prozent um fast 100 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr gestiegen ist. Dies bedeutet, dass das Ertragsvolumen der Branche im Extremfall ausreicht, um die Rechnungszinsanforderungen im Geschäftsjahr 2019 mehr als fünf Mal zu finanzieren. Die Steigerung gegenüber dem Vorjahr ist maßgeblich auf die gesunkenen Zinsen und den daraus resultierenden Anstieg der Bewertungsreserven in den HGB-Bilanzen zurückzuführen. Diese gehen definitionsgemäß zu 50 Prozent in die EKG-Quote ein und waren bereits in den vergangenen Jahren die wesentliche Finanzierungsquelle der Lebensversicherer für die notwendigen ZZR-Zuführungen.

Für den weiteren ZZR-Aufbau in der Zukunft ist zu berücksichtigen, dass sich der Effekt gesunkener Zinsen schneller in den Bewertungsreserven niederschlägt als in der Zinszusatzreserve. Während der Referenzzins methodisch über mehrere Jahre in einem definierten Korridor bestimmt wird, wodurch sich die ZZR-Zuführungen vom aktuellen Marktzins entkoppeln, steigt der Marktwert von festverzinslichen Wertpapieren bei sinkenden Zinsen unmittelbar an, was in hohen bilanziellen Bewertungsreserven resultiert.

Langfristige Gefahr durch steigende Zinsen

„Wenn die Bezugszinsen in den kommenden Jahren dauerhaft am Nullpunkt oder sogar darunter liegen, sehen wir in der kurzen Frist keine Gefahr für die Lebensversicherer“, betont Lars Heermann. „Dies sieht allerdings anders aus, wenn die Zinsen langfristig wieder steigen sollten und dann zu wenig Bewertungsreserven zur Deckung der ZZR-Zuführungen vorhanden sind.“ Um dieser Bedrohung entgegenzuwirken, kommen die Lebensversicherer aus Sicht von Assekurata nicht umhin, ihr Geschäftsmodell konsequent auf garantieärmere Produkte im Neugeschäft umzustellen, wie es auch der Marktführer Allianz zum kommenden Jahreswechsel angekündigt hat. Auch die Finanzaufsicht Bafin hat in jüngster Zeit zu einer höheren Sorgfalt bei der Kalkulation von Garantien aufgerufen, was die Rating-Agentur insoweit als folgerichtig ansieht. „Unter dem Strich verschaffen die höheren Bewertungsreserven den Lebensversicherern etwas mehr Zeit zum Umbau ihrer Geschäftsmodelle. Angesichts des massiven Zinsfinanzierungsbedarfs ist eine Neuausrichtung aber auch radikal notwendig“, zeigt sich Lars Heermann überzeugt.

Vielfach Auflösung von Bewertungsreserven

Für Assekurata-Geschäftsführer Dr. Reiner Will kann sich der Umbau durchaus lohnen. „Trotz niedriger oder sogar negativer Zinsen sehen wir Perspektiven für die Lebensversicherung, weil die Sparquote der Kunden in der Corona-Krise deutlich gestiegen ist. Mit Blick auf die Anbieter zeigt unsere EKG-Studie allerdings, dass die wirtschaftlichen Voraussetzungen individuell sehr unterschiedlich sind.“ Grundsätzlich positiv sieht der Assekurata-Chef, wenn ein Lebensversicherer über eine breit gestreute Kapitalanlage mit substanziellen Bewertungsreserven und eine stabile und ausgewogene Ertragsstruktur verfügt. Hiervon profitierten dann nicht nur Altersvorsorgesparer, sondern auch die Kunden von Berufsunfähigkeits- und Risikolebensversicherungen, da die Gefahr geringer ausfiele, dass der Versicherer zur Abwehr drohender Kapitalanalageverluste einen Teil seiner Risikoergebnisse querverrechnet. „Wenn dies passiert, können die Beitragszahlungen der Kunden steigen, auch wenn der eigentliche Tarif sorgfältig kalkuliert und der Bestand insgesamt profitabel ist“, erläutert Dr. Reiner Will. „Und dass ein negatives Kapitalanlageergebnis keineswegs aus der Luft gegriffen ist, zeigt sich wiederum daran, dass viele Gesellschaften dies bereits heute vielfach nur durch die Auflösung von Bewertungsreserven vermeiden können.“

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