Statement
28. Mai 2020

In der Krise die Weichen für die Zukunft stellen

Gastbeitrag von Bernhard Grünäugl, Leiter Investment Strategy und ESG Research, BayernInvest und Interview mit Wiebke Merbeth, Leiterin Nachhaltigkeit, BayernInvest.

Nachhaltigkeit hat viele Facetten. Entsprechend bunt ist der Strauß an Anlagestrategien, die verfolgt werden können. Und ent­sprechend differenziert fällt die Antwort auf die Frage aus, ob die Integration von ESG-Aspekten eine Alpha-Quelle für die Portfolien darstellt. Eine Strategie, die beispielsweise bei Aktien funktioniert, muss bei Renten nicht automatisch ähnliche Ergebnisse liefern. Es zeichnet sich zunehmend ab, dass – analog zur traditionellen Portfolio­konstruktion – eine Diversifizierung auch über ESG-Strategien von Vorteil ist.

Gerade jetzt werden die Weichen für die künftige Portfolioausrichtung bei vielen Anlegern neu gestellt: Die Corona-Pandemie dominiert seit Wochen die Titelseiten der Finanzberichterstattung und die Kapitalmarktentwicklung hängt weiterhin stark von ­medizinischen Nachrichten sowie zunehmend von den sichtbarer werdenden ökonomischen Kosten der in vielen Ländern ­ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus ab. Nachhaltigkeits­aspekte wurden vorübergehend in den Hintergrund gedrängt, aber nach den herben Verlusten an den Märkten seit März dürften viele Anleger ihre strategische Allokation überprüfen und ­gegebenenfalls anpassen. Eine auf die kundenindividuellen Präferenzen ausgerichtete, zukunftsfähige und intelligente Allo­kation wird dabei auf die Integration von ­Nachhaltigkeitsaspekten kaum verzichten können.

Mittelbewegungen der vergangenen Wochen zeigen, dass ESG-orientiertes Investieren in der Corona-Krise weiter an Relevanz gewonnen hat. Dies belegen einmal Mittelzuflüsse bei nach­haltigen Investmentfonds, während traditionelle Anlagen in ­Aktien und Unternehmensanleihen eher Abflüsse zu verzeichnen hatten. Zweitens zeigt sich die größere Relevanz in der direkten Wertentwicklung von entsprechenden Anlagestrategien.

ESG-Ansätze für die Krise und die Zeit danach

Dabei gab es aber durchaus Unterschiede: Manche Ansätze ­konnten insbesondere während der starken Marktturbulenzen bis Mitte März profitieren, andere legten erst mit der später einsetzenden ­Erholungsphase zu. Im Aktienbereich wird dies unter anderem deutlich, wenn die von MSCI berechneten ESG-Leader-Indizes ­ihren jeweiligen Benchmarks gegenübergestellt werden. Anfang März waren nahezu alle Aktien gleichermaßen von hohen Wert­verlusten getroffen. Die den ESG-Leaders zugrundeliegende Best-in-Class-Strategie verzeichnete aber in der Mitte März einsetzenden Erholungsphase eine Outperformance von gut ein bis zwei Prozent bis Mitte April gegenüber marktbreiten Anlagen.

Spread-Ausweitung bei schlechten ESG-Scores

Bei Euro-denominierten Investmentgrade-Unternehmensanleihen wurden Titel mit einem hohen ESG-Rating im März relativ weniger stark von der Ausweitung der Risikoaufschläge getroffen. ­Natürlich muss bei Anleihen anderen relevanten Faktoren, wie Seniorität, Duration, den EZB-Käufen oder auch dem Sitz des Emittenten, in der Analyse Rechnung getragen werden. Auch die Bonität des Emittenten ist ein wichtiger Faktor. Dennoch wird in der Analyse sichtbar, dass zum Beispiel einfach-A geratete Anleihen, die einen hohen ESG-Score und damit eine hohe ESG-Qualität aufweisen, einen um rund 50 Basispunkte geringeren Anstieg der Risikoaufschläge, verglichen mit Titeln schlechterer ESG-Qualität, erlitten. Die Spread-Ausweitung war bei schlechten ESG-Scores also in etwa um den Faktor 1,5 höher. In anderen Bonitätskategorien waren grundsätzlich ähnliche Ergebnisse zu verzeichnen. Im Gegensatz zu Aktien, bei denen die Outperformance erst in der Erholungsphase deutlicher wurde, konnte ein Investment-Ansatz mit Fokus auf ­bessere ESG-Ratings innerhalb der Unternehmensanleihen das Downside-Risiko begrenzen. Auffällig war in dieser Phase auch, dass insbesondere Anleihen mit einer besonders ausgeprägten ­Qualität des „S“ in ESG, profitierten.

Seitdem sich die Risikobereitschaft der Marktteilnehmer allerdings wieder verbessert hat, mussten diese Titel jedoch wieder einen Teil der zuvor aufgebauten relativen Gewinne abgeben. Summa ­summarum lieferten Best-in-Class-Ansätze zwischen Februar und April, sowohl bei Aktien als auch bei Unternehmensanleihen, aber dennoch einen echten Beitrag zum Werterhalt des Portfolios.

Corona stärkt Performance nachhaltiger Anlagen

Nimmt man die aus der Corona-Pandemie abzuleitenden poten­ziellen langfristigen Veränderungen unseres wirtschaftlichen, ­gesellschaftlichen und sozialen Zusammenlebens, so dürften die Entwicklungen durchaus fundamental begründet sein. Und sie dürften sich in den kommenden Monaten eventuell noch deutlicher in der Wertentwicklung zeigen.

Digitale Technologien werden noch stärker nachgefragt werden. Selbst bislang noch zögerliche Unternehmen werden zu ­Investitionen in diesem Bereich gezwungen. Anbieter entsprechender Lösungen, denen häufig eine gute ESG-Qualität attestiert wird, dürften ­profitieren. Auch die noch stärker als zuvor zur Disposition ­stehende Globalisierung und die Überarbeitung feinjustierter ­internationaler Lieferketten werden dauerhaft Spuren für die ­Geschäftsaussichten emissionsintensiver Unternehmen aus der ­Industrie oder dem Reise- und Transportsegment hinterlassen. ­Geändertes ­Konsumverhalten der Menschen in Europa und ­möglicherweise eine dauerhaft geringere Nachfrage nach günstig produzierten Konsumprodukten, insbesondere in der Textilbranche, könnten ebenfalls einfließen.

Die Politik spielt mit

Auch die politischen Entscheidungsprozesse sprechen für eine ­nachhaltigere Ausrichtung der Portfolios. Zunehmend verschiebt sich der Fokus im Umgang mit der Corona-Pandemie auf die ­Wiedereröffnung der Wirtschaft und der Lockerung der mit der Eindämmung des Virus verbundenen gesellschaftlichen Einschränkungen. Auf europäischer Ebene wurden umfangreiche Kon­junkturprogramme geschnürt und auch der diskutierte Recovery Fund auf EU-Ebene soll hier einen Beitrag leisten.

Neben den ­hohen Summen, die im Raum stehen, und der Frage der (gemeinsamen) Finanzierung, diskutieren die europäischen Politiker auch über die Mittelverwendung. Insbesondere solche Projekte und Bereiche dürften von den Maßnahmen profitieren, die auf die wirtschafts­politische Strategie der EU beziehungsweise dem Green Deal der EU einzahlen. Denn unter den europäischen Politikern ist weiterhin das Bewusstsein vorhanden, dass drängende Fragen wie der Klimawandel oder sozio-ökonomische Herausforderungen ­angegangen werden müssen und einer Finanzierung bedürfen. ­Hinzu kommt die laufende Strategieüberprüfung der EZB, die ebenfalls die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in Anleihekaufprogramme zur Folge haben könnte.

Anlagestrategien, die von einer verstärkten Anpassung der wirtschaftlichen Strukturen hin zu einer ökologischeren und auf ein soziales Miteinander ausgerichteten Gesellschaft oder einer ­„grüneren“ Geldpolitik profitieren könnten, sind im Rentenbereich unter anderem Green und Social Bonds. Auch hier zeigt sich, dass Investoren bereits in den vergangenen Wochen die Weichen gestellt haben. Im Euro-Segment haben sich Corporate-Green-Bond-Indizes aber erst ab Mitte März – also in der einsetzenden Erholungsphase – besser entwickelt, als dies vergleichbare Credit-Benchmarks konnten. Insgesamt lag die Wertentwicklung bis Mitte April etwa 0,5 Prozent oberhalb des marktbreiten Index. Auch im Aktienmarkt konnten Strategien, die darauf abzielen, eine ökologische oder soziale Wirkung im Sinne eines Klima- oder SDG-Fokus ­umzusetzen, regelmäßig ihre jeweilige Benchmark schlagen.

Performance und Diversifikation nachhaltiger Strategien…

So vielfältig und facettenreich das Thema Nachhaltigkeit ist, so vielseitig sind auch die denkbaren Strategien. Nachhaltigkeit ist kundenindividuell in die Anlagestrategie zu integrieren. Die ­Corona-induzierten Marktentwicklungen sind dabei sicherlich eine vergleichsweise kurze Periode, um daraus allgemeine Aussagen ­abzuleiten. Die Heftigkeit des Einbruchs sowie die mittelfristig zu erwartenden Implikationen machen die gemachten Beobachtungen aber dennoch zu wertvollen Entscheidungsbausteinen. Sie legen nahe, dass nachhaltige Strategien einen echten Wertbeitrag liefern können, je nach Marktphase aber im Vergleich zu ihren ­Benchmarks unterschiedliche Muster zeigen.

… sind vorteilhaft für das Risikomanagement

Natürlich gilt auch in Zukunft, dass praxisrelevantes Risiko­management gerade in Krisenphasen auf liquide und zum ­Anlagestil passende Derivate angewiesen ist. Hier besteht für ESG-Strategien teilweise noch Nachhol- und Entwicklungsbedarf. Dennoch: Für Anleger, die bislang noch keine Entscheidung getroffen haben, ­welche Nachhaltigkeitsstrategie verfolgt werden soll oder die sich nicht auf eine einzige Strategie festlegen wollen, heißt das, aufgrund der Corona-Krise eine zusätzliche positive Lehre zu ziehen: Diversifikation der ESG-Strategien kann eine sinnvolle Ergänzung des Risikomanagements im Portfoliokontext sein – sowohl lang- als auch kurzfristig.

ESG in der Unternehmensführung verankern

Interview mit Wiebke Merbeth, Leiterin Nachhaltigkeit, BayernInvest

Nachhaltigkeitsratings sind statisch und schaffen Systemrisiken, da sich immer mehr Investoren auf die Rating-Urteile verlassen und somit Blasen entstehen. Ihre Meinung?

Entscheidend ist, wie Nachhaltigkeitsratings in die Anlagerichtlinien und damit in die Restriktionen für das Portfoliomanagement integriert werden. Bei einem Best-in-Class-Ansatz werden die Emittenten mit dem besten Rating über-, die mit schlechteren Scores untergewichtet oder ausgeschlossen. Damit riskiert man eine Blasenbildung. Hinzu kommt, dass Ratings nur von wenigen Agenturen zur Verfügung gestellt werden, wodurch sich dieser Effekt verstärkt.
Die Logik sollte deshalb sein, in innovative und dadurch erfolgreiche Unternehmen zu investieren. Der „Best-in-Progress“-Ansatz berücksichtigt, welche Fortschritte Unternehmen aktuell und vor allem künftig in ihrem Nachhaltigkeitsmanagement erzielen. Wir müssen auch die sogenannten schmutzigen Industrien auf dem Transformationsprozess hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft mitnehmen. Denn wenn wir ausschließlich grün und noch grüner werden wollen, riskieren wir mehr und mehr Stranded Assets.

Impacts und Engagements sind Nachhaltigkeitsschwerpunkte bei skandinavischen Investoren. Sind diese ein Trendsetter für deutsche Investoren?

Ja! Allerdings kann die Nachhaltigkeitsbrille der Nordics nicht blind übernommen werden, denn deutsche Investoren haben eine ganz andere Affinität zu Aktien. Die Aktienquote deutscher Privatinvestoren liegt unter 20 Prozent. In den skandinavischen Ländern hat man über alle Investorengruppen hinweg einen viel sportlicheren Zugang zu Aktienmarkt-Risiken – oder besser gesagt: Aktienkurs-Chancen. Die Quote ist dort deshalb deutlich höher. Für institutionelle Vermögen ergibt sich ein ähnliches Bild. Aus diesem Grund scheue ich die Vorbildwirkung der Nordländer, wenn es um Impact und Stimmrechtsthemen geht.
Hinzu kommt das bereits skizzierte Risiko der Blasenbildung. Wenn sich alle Investoren einem strengen und gleichen Nachhaltigkeitsansatz verschreiben, wird das unerwünschte disruptive Effekte nach sich ziehen. Denn ein Teil der Unternehmen wird überfragt sein. Andere dagegen, die den Transformationsprozess, das Engagement mit Stakeholdern und den transparenten Wirkungsausweis noch nicht so weit implementiert haben, werden auf der Strecke bleiben.

Nachhaltigkeit hat sich mit „Paris“ stark auf Ökologie und Klimawandel fokussiert. Droht, dass Governance und Soziales vernachlässigt werden?

Das Risiko bestand nach der Pariser Klimakonferenz im Dezember 2015 tatsächlich. Ökologische Maßnahmen wurden zu lange isoliert betrachtet. Mit Blick nach vorne sehe ich aktuell ein ganz klares Bild vor Augen: Neben den Klimarisiken wird den Social- und Governance-Themen mindestens die gleiche Bedeutung zukommen. In einer Studie der TU Darmstadt beschreibt Prof. Dr. Dirk Schiereck den statistisch signifikanten Zusammenhang, wie sich unethisches Verhalten von Unternehmen negativ im Aktienkurs reflektiert. Je nach Branche, Firmensitz sowie Zeitverlauf sprechen wir hier von Kursabschlägen von über drei Prozentpunkten.
Nachhaltigkeit greift also zunehmend in alle Lebensbereiche ein. Das heißt mit anderen Worten: „E“, „S“ und „G“ müssen fester Bestandteil einer Scorecard und strategisches Leitbild jeder Unternehmensführung werden. Ich bin übrigens der festen Überzeugung, dass es bei Nachhaltigkeit in Zukunft gerade auch um ethische Themen gehen wird. Wir brauchen in Zukunft ein weiteres „E“ – „E“ für Enironmental und „E“ für Ethik.

Wie haben sich die Nachhaltigkeits-Diskussionen mit den Investoren verändert?

Der Fokus rückt ganz klar auf die ESG-Qualifikation der Unternehmensführung. Wenn Investoren merken, dass der reine Ausweis von Nachhaltigkeitskennzahlen nicht mehr ausreicht, müssen eigene Nachhaltigkeitsziele formuliert und in die Unternehmensberichte integriert werden.
Einen weiteren Punkt einer veränderten Diskussion mit Investoren sehe ich im Zusammenhang mit der anhaltenden Corona-Pandemie. Es hat sich interessanterweise in den vergangenen Wochen gezeigt, dass sich ESG-Portfolios in der Corona-Krise als robuster erweisen und mit einer vergleichsweise guten Performance überzeugen. Unternehmen mit überzeugenden ESG-Werten reflektieren eine bessere Liquiditätssituation und ein geringeres Insolvenzrisiko. Eine defensive Ausrichtung von Portfolios mit Qualitätstiteln in Kombination mit saubereren Branchen hilft, die aktuellen Marktturbulenzen besser zu durchschiffen.
Insbesondere beim Wiedereinstieg in Aktien müssen sich Investoren deshalb erst recht die Frage stellen, ob Nachhaltigkeitsaspekte nicht noch stärker Eingang in die Allokationsentscheidung finden sollten. Hierfür gibt es gute Gründe: Unternehmen mit sehr gutem Nachhaltigkeitsrating werden auf lange Sicht erfolgreicher sein.

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